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Streitpunkt: Umweltschützer kritisierten Wasser von Nestlés Marke Vittel. Der Konzern reagierte. Quelle: Imago

Die Tage des Marken-Wassers sind gezählt

Kein Vittel-Wasser mehr bei Lidl: Umwelt und Haltung sind in aller Marketing-Munde. Aber nützen die Themen der Marke? Oder schaden sie ihr gar, wie ein prominenter Marketing-Professor meint? Eine Neubewertung.

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Wasser ist Leben. So heißt es. Nun wird es knapp, zumindest das von Vittel bei Lidl. „Nestlé zieht umstrittenes Wasser Vittel zurück“ überschrieb das „Manager Magazin“ seine Meldung: „Wegen der umstrittenen Wassergewinnung im französischen Vittel steht Nestlé seit Jahren in der Kritik. Jetzt scheint der Konzern zu reagieren: Als einer der wichtigsten Vertriebspartner in Deutschland wird Lidl das Mineralwasser künftig nicht mehr verkaufen.“

Weiter heißt es: „Nestlé steht mit dem Mineralwasser Vittel seit Jahren in der Kritik. Das Wasser wird seit Anfang der 1990er-Jahre in der französischen Kleinstadt Vittel in den Vogesen aus verschiedenen Brunnen an die Oberfläche gefördert. Anwohner und Naturschützer kritisieren jedoch, dass dadurch der Grundwasserspiegel in Vittel sinke – die Ortschaft trockne nach und nach aus. Berichten zufolge geht es mit dem Grundwasserspiegel in Vittel insbesondere aufgrund der Aktivität des Lebensmittelriesen Jahr für Jahr um etwa 30 Zentimeter abwärts.“

Doch das Geschäft mit dem Wasser fließt nicht mehr. Nestlé verbuchte im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von neun Prozent auf insgesamt rund 79 Milliarden Euro. Bei Utopia liest sich die Geschichte anders. Hier titelt man: „Lidl wirft Nestlé-Wasser aus dem Sortiment“. Demnach erklärte Lidl gegenüber „Zeit Online“, der Verkauf von Wasser in Plastikflaschen sei ein rückläufiges Geschäftsmodell: „Das beeinträchtige seit Jahren Nestlés Umsatz. Ob auch der zunehmende Druck von Aktivisten zu der Entscheidung beigetragen hat, bleibt offen. Eine Expertin für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe vermutet allerdings, dass die öffentliche Kritik an den umweltschädlichen Vorgehen hier Wirkung gezeigt hat. 2019 vergab die Umwelthilfe den Negativpreis für die unsinnigste Verpackung an das Mineralwasser Vittel.

Die Tage des Marken-Wassers sind gezählt

Tatsächlich dürften unter umweltbewussten Verbrauchern die Tage des in Plastikflaschen abgepackten Trinkwassers gezählt sein. Zumal die Qualität des Leitungswassers in Deutschland als sehr gut gilt. Der Deutschlandfunk kommentiert: „Die Verbraucherzentralen in Deutschland sind als durchaus kritisch bekannt. Auf Leitungswasser in Deutschland singen sie aber geradezu ein Loblied. Denn es ist etwa 100-mal billiger als Mineralwasser aus der Flasche und umweltfreundlicher obendrein, weil der Transportweg vermieden wird.“

Der Schlussfolgerung von Utopia ist nichts hinzuzufügen: „Wasser im Ausland in Einweg-Plastikflaschen zu füllen und dann quer durch Europa zu transportieren, ist ökologisch eine Katastrophe: sowohl die Plastikflaschen als auch die Transportwege sowie der Eingriff in die Natur (sinkender Grundwasserspiegel).“

Ob Nestlé somit aus rein ökologischen Gründen handelt oder dem öffentlichen Druck nachgibt, bleibt offen. Im „Purpose Statement“ heißt es: „All over the world, people strive to enjoy healthy and fulfilling lives, sometimes in difficult situations. The use of natural resources puts stress on our environment and on the stability of communities. Yet human creativity, technology and a commitment to progress open up new possibilities every day to improve lives and help create a healthy and sustainable future for all.“ Nun beweist das Nestlé-Management womöglich, dass es ihnen damit ernst ist.

Tue Gutes und rede drüber

Der größte Konsumgüterkonzern der Welt schlägt längst andere Töne an: „Ich glaube, dass wir als Marke einen sehr großen Beitrag für ein besseres Morgen leisten können.“ Große Worte. Ausgesprochen von Kristina Bulle, Chief Marketing Officer bei Procter & Gamble in Schwalbach, dem zugleich größten Werbungtreibenden der Welt, anlässlich ihres Impulsvortrags auf dem diesjährigen Horizont-Kongress. Für Bulle ist gerade die große Werbepräsenz ein Mandat zum Engagement: „Mit unserem großen Werbedruck haben wir auch eine gesellschaftliche Verantwortung.“ Sichtbarstes Signal des Umdenkens bei P&G ist die während der Corona-Pandemie entstandene Kampagne „Gemeinsam stärker“ in deren Rahmen sich das Unternehmen sozial engagiert.

Der Spruch „Tue Gutes und rede darüber“ bekommt in diesem Zusammenhang einen neuen Sinn. Dass soziales Engagement sich für das Marketing auszahlt, ist für Bulle erwiesen: Auf dem Kongress präsentierte sie erste Erfolgszahlen zur Kampagne. Demnach hat das Unternehmen mit Bürgerinitiativen rund 1,2 Millionen Euro an Spenden gesammelt. Die Kampagne baute eine Reichweite von 135 Millionen Kontakten auf und löste 6,7 Millionen Interaktionen aus. Bulle: „Ob das schon eine soziale Bewegung ist, müssen andere beurteilen. Aber mit diesen Erfolgszahlen müssen wir uns sicher nicht verstecken.“

GigaGreen, gute Schokolade und Rewe vs. Uli Hoeneß

Ins gleiche Horn stößt Vodafone. Gregor Gründgens, Director Brand Marketing, sagt: „Aufgabe des Marketings ist, gesellschaftliche Spannungen aufzulösen.“ Mit einer GigaGreen-Strategie und der „Mission Green“ hat der Düsseldorfer Konzern eine Initiative für mehr Nachhaltigkeit ergriffen. Für dieses Engagement wurde Vodafone als „Ökokönig“ mit dem Siegel „besonders nachhaltig“ ausgezeichnet. Und bei Aldi verspricht man mehr Tierwohl.

Auch die #entdeckedasgut-Kampagne von Ritter Sport hat sich der Nachhaltigkeit verschrieben. Auf der Homepage des Schokoladen-Herstellers heißt es: „Woher Kakao kommt und unter welchen Bedingungen er angebaut wird, ist auf dem Weltmarkt oft nicht transparent nachzuvollziehen. Deshalb nehmen wir unseren Kakaobezug aktiv selbst in die Hand. In jeder Ritter Sport steckt seit 2018 Kakao aus 100% zertifiziert nachhaltigen Bezug.“ P&G, Vodafone, Aldi und Ritter beispielsweise nehmen die Themen Umwelt, Nachhaltigkeit und Haltung offenbar und glaubhaft ernst.

Bisweilen aber treibt das Thema skurrile Blüten. Uli Hoeneß, FCB-Ehrenpräsident und bekanntlich Mitgründer einer Wurstfabrik, sagte kürzlich: „Vegetarisch akzeptiere ich noch ein bisschen, vegan überhaupt nicht.“ Die Begründung: Der Verzicht auf tierische Produkte mache die Leute auf Dauer nur krank. Zudem seien Veganer militant: „Wenn du heute die kritisierst, greifen sie dich an.“ Rewe reagierte auf Instagram: „Mia san für alle, Uli!“ hieß es dort. Man „glaube an alle Ernährungsformen“ und das Bild zeigt einen weinenden Uli Hoeneß vor diversen Packungen veganer Speisen wie Tofu Natur, Frischcreme Schnittlauch auf Soja-Basis oder Ingwer Hummus. Schön und gut.

Führt Purpose zum Tod der Marke?

Doch es gibt durchaus auch Wermutstropfen. Nicht immer tun Verbraucher, die immer stärker gesellschaftliches Engagement von Unternehmen verlangen, was sie sagen. Was Werbelegende David Ogilvy aussprach, gilt noch heute: „Consumers don’t think how they feel, they don’t say what they think and they don’t do what they say.“

Der wohl einflussreichste Marketing-Professor der Welt, Byron Sharp, warnt sogar, Purpose und Haltung könnten zum Markentod führen. Sein Argument: Je mehr Marken versuchten, sich über ihre Haltung zu differenzieren, desto ähnlicher würden sie und könnten leicht von Handelsmarken kopiert und verdrängt werden. Das gelte ebenso, wenn Marken ihren Käufern suggerierten, nur bei Unternehmen zu kaufen, die für karitative Zwecke spendeten. Das könnte zum Ende der Marken führen. Marketing sollte stattdessen mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen und begreifen, dass Marken Gutes tun – auch ohne nach einem höheren Sinn zu suchen.

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Sind also Selbstbewusstsein und Haltung ein Widerspruch? Keinesfalls. Dass Marketing mehr Selbstbewusstsein braucht, wie Byron Sharp argumentiert, steht außer Frage. Dass Unternehmen die Welt lebenswert und mit ihr eine gesunde Verbraucherschaft erhalten sollten, mit denen sie schlussendlich gedeihen, gilt aber ebenso.

Mehr zum Thema: Marketing ist für das Familienunternehmen Alpla eine Herausforderung. Alpla ist mit einem Produkt groß geworden, das in Verruf geraten ist: Plastikverpackungen. Jetzt hat die nächste Generation übernommen – und muss mit strengeren Gesetzen und veränderungsunwilligen Kunden fertig werden.

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