Werbesprech

Die Werbebranche ist arm geworden

Der Werbemarkt ist so hysterisch wie selten zuvor in seiner Geschichte. Ein Buzz folgt auf den nächsten, bevor er urplötzlich von den Werbe-Gurus wieder zu Grabe getragen wird. Es fehlt den Agenturen an Lichtgestalten, die in unsicheren Zeiten den Weg weisen.

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Ein Mann zeigt das innere seiner Hosentasche. Quelle: dpa

In der Werbung ist die reinste Hysterie ausgebrochen. Das Web und die Digitalisierung der Medien sollte alles besser und einfacher machen. So versprachen es die Internet-Jünger. Die Menschen wären besser und gezielter zu erreichen, das Web würde die Werbung wirksamer und zugleich effizienter machen, die neuen Umsätze würden nur so sprudeln. Und dann kam alles ganz anders.

Das Internet sollte Marketing und Werbung bereichern. Big Data, Online- und Mobile-Werbung, Influencer und Content Marketing - ja die vollständige Digitalisierung der gesamten Wirtschaft - das waren die Buzzwords und zugleich die angeblich neuen Wege zum Markterfolg. Schlag auf Schlag folgte ein Hype auf den nächsten. Nun hat sich die Künstliche Intelligenz („Artificial Intelligence“) als neueste Errungenschaft hinzuaddiert. Auch um KI muss sich jedes Unternehmen nun fortan, aber schleunigst kümmern. Sonst droht das baldige Aus.

Doch besser wurde bislang nichts. Außer Spesen nichts gewesen. Kaum eines der traditionellen Unternehmen meldet sonderliche Erfolge seit Einführung der hippen, neuen, digitalen Maßnahmen. Im Gegenteil: Die Marketingentscheider und Werber wissen nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Alleine der Umsatz von Procter & Gamble (Marken wie Lenor, Ariel oder Always) brach seit dem signifikanten Shift ihrer TV-Gelder hin zu Targeting, digitalen und Social Media weltweit im vergangenen Jahr um 8 Prozent ein.

Bücher, TV, Streaming? Diese Medien finden die Deutschen unverzichtbar

Es ist unfassbar, was alleine in den letzten Wochen an digitalen Themen durch die Fachpresse geisterte. Und mehr als verwirrend. Denn statt die neuen Themen zu befeuern, statt Erfolgsnachweise zu liefern, statt zu erläutern, wie man mithilfe der digitalen Hypes Umsatz und Marktanteil gewinnt, werden die vermeintlichen Buzzes der letzten Monate nun plötzlich eines nach dem anderen wieder zu Grabe getragen.

Eine digitalbesoffene Branche

Agentur-Guru André Kemper, Gründer von antoni und Betreuer des renommierten Mercedes-Etats, plädiert dafür, nicht auf Big Data zu setzen, wenn die große Idee fehlt und auch in Zeiten von Social Media nicht kleinteilig zu werden, sondern auf große Würfe zu setzen. Auf dem Deutschen Medienkongress ging der Telekom-Marketer Hans-Christian Schwingen hart mit Facebook ins Gericht: "Bewegtbild dort wird phänomenal überbewertet!" Und: "Wir stecken viel zu viel Geld ins Digitale". Er hält die Werbungtreibenden für digitalbesoffen.

Für Markus Hündgen ist Influencer Marketing ein Horror. Er schreibt: „Um es ein für alle mal zu sagen: Influencer Marketing ist tot. Aber ehrlicherweise: Es hat nie gelebt. Wie Frankensteins Monster irrlichtet ein aus Marketing-Versatzstücken gebautes Werbe-Monstrum durch sämtliche Medienkanäle.“ Er muss es wissen. Er ist der Macher des Webvideopreises Deutschland und damit selbst so etwas wie der Godfather der Influencer.

Content kann jeder?

Plötzlich behaupten die Mediaagenturen, Content Marketing besser zu können als jeder andere im Markt. Frank-Peter Lortz, Chef von Publicis Media und Jens Nagel-Palomino, CEO der Publicis-Mediaagentur Newcast formulierten eine wahre Kampfansage: „Content und Kreation kann im Prinzip jeder.“ Und: „Nahezu alles, was diese Player aus dem klassischen Corporate Publishing können, können wir besser.“ Die Antwort auf diese überhebliche Selbstüberschätzung ließ nicht lange auf sich warten. Sie kam vom Markenberater Johannes Ceh. Er fragt die Publicis-Manager: „Behauptet da tatsächlich jemand der ‚Klassenbeste‘ zu sein, der gleichzeitig Content als völlig austauschbare Stangenware von der ‚Imbissbude um die Ecke‘ einstuft?“ Und hält dagegen: „Die Gestaltung von Inhalten ist nicht austauschbar. Sie ist die Butter auf dem frisch gebackenen duftenden Brot. Dessen Rezeptur über Jahrhunderte verfeinert und mit den frischesten Zutaten angereichert wurde. Damit es auf der Zunge und im Herzen der Menschen aufgeht.“

Der Mann hat recht, aber welchem Marketingmanager ist nicht spätestens jetzt schwindelig? Zumal Richard David Precht auf dem Deutschen Medienkongress mahnte, dass „Content“ ein zynisches Wort für jeden Kulturschaffenden sei und zivilisatorisch gar ein Rückschritt.

Hysterie ist ein schlechter Ratgeber

Tatsache ist, Marketer und Werber sind sich völlig uneins über die Richtung, in die sich der Kommunikationsmarkt bewegen soll. Die Rede ist von massiven Divergenzen. Im „2017 New Year Outlook Report“ monieren die Marketer, dass es den Agenturen an strategischem Denken und digitalem Know-how fehle. Den Marketern werfen die Agenturen vor, nur auf kurzfristige Erfolge aus zu sein und immer häufiger auf Projektbasis zu arbeiten. Sie verzichteten zunehmend auf eine Leadagentur.

Aber damit nicht genug. Auf Fake News folgten Fake Tests. Die Aktion #keingeldfürrechts, bei der es darum geht, Werbung auf Websites mit rechter Gesinnung zu verhindern, versetzt Agenturen und Werbungtreibende in hellste Aufregung.

Derweil plant die EU eine deutliche Einschränkung des Gebrauchs von Cookies in der Werbung, was die Online-Medien und damit Online-Werbung ohnehin in Teilen in Frage stellen würde. Und SAP-Vorstand Bernd Leukert warnt die Werber vor dem Missbrauch von Künstlicher Intelligenz.

Der Werbemarkt ist tatsächlich so hysterisch wie nie zuvor in seiner Geschichte. Hysterie ist jedoch ein schlechter Ratgeber.

In der Werbung herrscht tote Hose

Warum Marketer zunehmend auf eine Leadagentur verzichten, hat seine Gründe. Früher war die Werbebranche wegweisend. Sie galt als Vorreiter, künstlerisch wie kulturell. Werbung war gesellschaftlich relevant. Die Kampagnen von Charles Wilp („Afri Cola“), Michael Schirner („Werbung ist Kunst“) oder Oliviero Toscani („Benetton“) galten als Meilensteine. Sie wurden auf der Straße ebenso wie in den Feuilletons der meinungsbildenden Presse diskutiert und lockten Tausende von kreativen Köpfen in die Werbung.

Ein öffentlicher Diskurs gelang zuletzt 2002 Constantin Kaloff von der Hamburger Agentur Jung von Matt mit der „Geiz ist geil“-Kampagne für Saturn. Doch seit 15 Jahren herrscht in der Branche tote Hose. Dass sie lauthals den mangelnden Zufluss an klugen Köpfen und jungen Wilden beklagt, verwundert nicht.

Ob das CDU-Engagement von Jung von Matt für den diesjährigen Bundestagswahlkampf daran etwas ändert, wird sich zeigen. Der Werbebranche fehlt es an Lichtgestalten, die Furore machen und in unsicheren Zeiten den Weg weisen. Es hat sie in jedem Jahrzehnt gegeben. Doch wo sind sie heute? Es gibt sie nicht mehr. Die Werbebranche ist arm geworden.

So lange die Werbebranche vor sich hindümpelt und nur von sich reden macht, weil die Qualität der Kampagnen immer weiter nachlässt, ist der heutige Marketingchef auf sich alleine gestellt. Ohne Impulsgeber ist er vereinsamt und unsicher. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als Ruhe zu bewahren. Er muss klare Ziele setzen, darf sich nicht vom Weg abbringen lassen, sollte dabei neue Wege ausprobieren. Und lernen. Jedoch keinesfalls jedem neuen Spuk folgen, den sich fragwürdige, selbsternannte Werbe-Gurus einfallen lassen.

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