Derweil erschrecken die digitalen Medien mit Horrormeldungen und falschen Zahlen. In Deutschland werden 800 Millionen Euro für Online-Werbung ausgegeben, die niemand sieht. Experten gehen davon aus, dass bis zu 90 Prozent des Online-Traffics einer Kampagne aus Bot-Traffic bestehen kann. Und eine Studie des Marketing-Analysten Ebiquity zeigt, dass 60 Prozent der programmatisch ausgelieferten Online-Werbung verschwendet sind.
Zu Fake-News kommen Fake-Zahlen
Facebook wurde immer wieder überführt, überhöhte Zahlen zu liefern. Nun stehen ihre Nutzerzahlen in der Kritik. Nach einem von ihnen veröffentlichten Bericht erreichen sie 1,5 Millionen Schweden im Alter von 15 bis 24 Jahren. Doch von ihnen gibt es nur 1,2 Millionen. Für die USA meldet der Facebook-Ad-Manager eine Reichweite von 41 Millionen im Alter von 18 bis 24. Dort leben jedoch nur 31 Millionen in dieser Altersgruppe. Ebenso bei 25- bis 34-jährigen Amerikanern: Es gibt davon 45 Millionen, doch Facebook erreicht angeblich 60 Millionen.
In UK verzeichnet Facebook ein „potential reach“ von zwei Millionen mehr 18- bis 24-Jährigen als laut Zensus existieren. In Australien melden sie 1,7 Millionen mehr Menschen in der Altersgruppe 15 bis 40 Jahre, als dort überhaupt leben. In Deutschland liegt Facebook ebenfalls um drei Millionen neben der Spur und behauptet in der Altersgruppe der Twens (20 bis 29 Jahre), von denen es 9,2 Millionen gibt, eine Reichweite von stolzen 12 Millionen.
Verständlich, dass der Werbekundenverband OWM immer eindringlicher fordert: „Online-Werbung muss endlich erwachsen werden“. Das Bewusstsein dafür, wie wichtig den Werbungtreibenden Themen wie Sicherheit, Transparenz und Qualität sind, sei bei den Anbietern „erschreckend gering“. Susanne Kunz, Mediachefin von Procter & Gamble, beschreibt das Problem mit den Worten: "Wir erleben momentan in Digital einen großen Vertrauensverlust und viel Verunsicherung."
Kaum eine Zahl, die von den Online-Anbietern geliefert wird, ist überprüfbar. Viele erweisen sich schlichtweg als falsch. Umso erstaunlicher ist, dass Werbekunden und Agenturen dennoch immer mehr Geld in die digitalen Medien pumpen.
Online only begünstigt AfD
Genau in dieses Horn stößt der Appell der G+J-Frontfrau Julia Jäkel. Während sie an das politische Gewissen der Unternehmen appelliert, fordert "Zeit"-Chef Rainer Esser mehr gesunden Menschenverstand: „Die Qualitätspresse hat sich über viele Jahrzehnte hinweg das Vertrauen ihrer Leserinnen und Leser erarbeitet. Marken wie "FAZ", "Süddeutsche", "Handelsblatt" oder "Die Zeit" stehen für zuverlässige Information und Orientierung in einer Welt, die immer schneller und komplexer wird.“
Der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger verweist angesichts der Zuwendung vieler Wähler zu Parteien mit antidemokratischen Tendenzen wie der AfD auf ein weiteres Problem: Viele Wähler unterlägen einem Irrtum, seien unzureichend informiert. Dabei spiele die Mediennutzung eine entscheidende Rolle. Es wachse der Anteil jener, die sich nur noch im Internet informierten.
Demnach geht es bei der Diskussion über den Fortbestand von Qualitätsmedien um weitaus mehr als nur um Appelle an Gewissen und Menschenverstand. Vielmehr geht es darum, zuverlässige Medienplattformen zu erhalten, die Werbungtreibende auch in Zukunft dringend benötigen werden, um gebildete, kaufkräftige und daher besonders attraktive Zielgruppen werblich überhaupt zu erreichen. Selbst wenn das Unternehmen wie Allianz, Commerzbank, Conti & Co vor lauter Effizienzwahn und digitaler Besoffenheit offenbar nicht mehr erkennen.