Werbesprech

Nie war die Botschaft so wertlos wie heute

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Ein neues Internet - ohne Werbung

Wenn selbst Jan Böhmermann in seiner Keynote auf dem Gründerfestival Bits & Pretzels die Zerschlagung von Google und Facebook fordert, ist das Thema wohl bald in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ernster wird Silicon Valley jedoch eine Initiative nehmen müssen, die der WWW-Erfinder Tim Berners-Lee ankündigte. Er stellt das Konzept des Internets komplett auf den Kopf und arbeitet an einer dezentralisierten Plattform namens „Solid“, in dem alle Apps, Funktionen, vor allem aber die anfallenden Daten beim einzelnen User verbleiben. Berners-Lee ist es schon seit Jahren leid mit anzusehen, dass Google und Facebook aus seinem Internet eine Überwachungsmaschinerie gemacht haben. “We have to do it now,” sagt der Internet-Pionier, “It’s a historical moment.”

Wenn also die bevorstehende E-Privacy-Verordnung das Tracking der User zu kommerziellen Werbezwecken nicht verhindert, dann wird spätestens Berners-Lees „Solid“ es gänzlich unmöglich machen.

Die Werbebranche steht vor harten Zeiten. Oder positiv betrachtet: Es stehen bessere Zeiten für die Verbraucher an. Das Ende des digitalen Werbe-Schrotthaufens liegt in greifbarer Nähe und die Werber wären gezwungen, wieder auf teurere Werbekanäle auszuweichen. Der unaufhaltsamen Zunahme des täglichen Werbemülls wäre ein jähes Ende gesetzt.

Würden sich die angeblich so Kunden-zentrierten Werber mit der Frage beschäftigen, welche Medien die Verbraucher tatsächlich nutzen und für welche sie mehr Geld auszugeben bereit sind, würden sie ihr blaues Wunder erleben. Genau das hat der „Trendmonitor 2018“ soeben getan. Das Ergebnis: Die Mehrheit der Verbraucher will in Zukunft für Medienprodukte noch tiefer in die Tasche greifen. An erster Stelle auf der Einkaufsliste stehen jedoch keinesfalls Bezahlfernsehen oder Musik-Streaming, sondern… Bücher!

Dass die Menschen alles tun, um der Werbung zu entgehen, ist nicht neu. Dass mehr als 40 Prozent der Online-User Adblocker installiert haben, spricht Bände. Auch dass 56 Prozent sagen, die meiste Online-Werbung beleidige ihre Intelligenz. Wenn sie nun vermehrt zu Büchern (ohne Werbung) greifen, dürfte es zumindest die Herzen der Feuilletonisten höherschlagen lassen.

Eine schallende Ohrfeige

In dieser Situation sind Mediaagenturen, die Werbekunden bei der Wahl der Kommunikationskanäle beraten, leider ein Teil des Problems, jedenfalls keine große Hilfe. Im Gegenteil: In den USA gerieten die multinationalen Agenturholdings aktuell erneut ins Visier des FBI.

Untersucht werden offenbar deren Praktiken beim Einkauf der Medienplätze, insbesondere der digitalen Medien sowie beim programmatischen Einkauf. Dass Mediaagenturen ihren Kunden dabei Rabatte vorenthalten, heißt es in einem Bericht des Wall Street Journal, sei zwar in Europa „gängige Praxis“, würde in den USA jedoch „skeptisch“ gesehen. Eine schallendere Ohrfeige für die Werbekunden hierzulande hat es wohl noch nie gegeben. Zumal ein Großteil der europäischen Big Spender amerikanische Wurzeln besitzt.

Das Thema Werbung und Aufmerksamkeit ist um einiges komplexer geworden. Doch eines wird immer klarer: Die Lösung des Dilemmas finden die meisten Werbungtreibenden nicht in digitalen Werbekanälen. Denn sie sind das Problem. 

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