Werbesprech

Nein, Herr Samwer, Marketing ist nicht am Ende!

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Emotionsloses Marketing

„Als vor drei Jahren der erste Roboter-Kreativdirektor seinen Dienst bei der japanischen Niederlassung der Agentur McCann-Erickson aufnahm, war es ein Gimmick, der der Agentur weltweite PR bescherte. Seitdem hat sich eine Menge getan, und künstliche Intelligenz ist zu einem beherrschenden Thema in Werbung und Marketing geworden“, schreibt Holger Mai, Managing Director von Accenture Applied Science.

KI könne das Kundenerlebnis verbessern, glaubt man bei Accenture. Noch ist das Gegenteil der Fall: Der Internet-User bekommt häufig Angebote für Produkte, die er gerade gekauft hat, längst besitzt oder gar nicht gebrauchen kann. Um hier zu optimieren, müssten mehr Daten gesammelt und schlauer ausgewertet werden. Solange aber, schrieb ein Twitterer, Amazon nach dem Kauf eines Kühlschranks weitere Kühlschränke anbietet, habe er keine übertriebenen Ängste vor KI.

Bezeichnenderweise greift auch Accenture zu Beispielen aus der Medizin, um die Vorzüge von KI zu demonstrieren. Beispiele aus dem Marketing sind Mangelware und die Gefahren lauern überall: „Eine Gefahr beim Einsatz im Marketing besteht darin, dass die KI keine eigene Markenstimme besitzt und stattdessen in einer austauschbaren, emotionslosen Tonalität daherkommt, die einer x-beliebigen Marke zugeordnet werden kann.“

Unaufgeregtere Töne stimmt Dirk Ploss, Head of Global eCommerce bei Beiersdorf im Interview mit Johannes Ceh an. Er betont, dass durch KI freigesetzte, menschliche Ressourcen für sinnvollere Dienste mit höherer Wertschöpfung einsetzt werden könnten. Kritiker werden dagegenhalten, dass auf Gewinn ausgerichtete Unternehmen jede Chance nutzen werden, um die teure, menschliche Arbeitskraft durch Maschinen zu ersetzen.
Damit wäre das Fiasko, das der Philosoph Richard David Precht in seinen aktuellen Vorträgen und Interviews anstimmt, perfekt. Und Marketing wie Werbung wären ebenso zum Untergang verdammt.

Empathie statt nur KI

Christian Rätsch, CEO von Saachti&Saatchi stimmt versöhnlichere Töne an. Er begrüßt die Vorzüge der Marketing-Automatisierung bei einer zielgenaueren Kommunikation, kommt aber gleichwohl zum Fazit: „Die Digitalisierung schafft eine neue Nähe zum Kunden. Jedoch bedarf es neben der technologischen Brücke auch einer emotionalen Bindung. Um diese zu erreichen muss Werbung neu interpretiert werden. Weniger als Information, denn als kommunikativer Mehrwert. So verstanden… sorgt sie bei der Fan-Gemeinde der Marke dafür, dass sie ihr Bewegungspotenzial ausspielt und durchs Netz getragen wird.“

Rätsch hat recht. Richtig ist einzig, in beides zu investieren: In Technologie und in Menschen. Die emotionale Bindung zwischen Menschen und Marken können Algorithmen nicht erzeugen. Der Künstlichen Intelligenz fehlt es an der Empathie, die noch auf lange Zeit nur Menschen erzeugen können. Zalando und Oliver Samwer werden es als Erste merken.

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