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Im Unternehmen für Haltung, neudeutsch Purpose, zu kämpfen, erfordert Mut. Quelle: imago images

Haltung braucht Mut. Doch davon ist wenig zu sehen…

Haltung ist angesagt. Und ein veritables Mittel gegen steigende Markenuntreue. Doch viele Unternehmen haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sie führen ihre Marken auf die Verliererstraße.

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Haltung ist ein großes Wort, ein hoher Anspruch. Aber auch ein diffuser Begriff. Es kann Anstand bedeuten oder aber Nachhaltigkeit, es kann soziales Engagement bedeuten oder politisches. In jedem Fall bedeutet Haltung, Mut zu besitzen. Spätestens aber in der Frage nach Mut schießt sich der Kreis um die verschiedenen Bedeutungen von Haltung.

Im Unternehmen für Haltung, neudeutsch Purpose, zu kämpfen, erfordert Mut. Mut zur Veränderung, die fast immer mit einer Investition einhergeht. Verdient ein Unternehmen sein Geld damit, zuckerhaltige Süßwaren an Kinder zu verkaufen, kann der Weg zur Vermeidung von Zucker und Steigerung der Gesundheit künftiger Käufer ein Risiko für den derzeitigen Umsatz bedeuten. Verdient ein Unternehmen sein Geld mit Wasser, ist der Weg zu mehr Nachhaltigkeit zunächst teuer.

In einer Absatzwirtschaft-Umfrage berichten nur 38 Prozent der Befragten von der konkreten Einführung eines Purpose in ihrem Unternehmen. 67 Prozent berichten dann von einem Anstieg der Gesamtperformance, 64 Prozent von einem Plus an Produktivität, 62 Prozent von erhöhten Neukundengewinnen. Sogar 75 Prozent machen eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit aus. Image und Markenwert steigen ebenfalls an. Purpose und Haltung machen offenbar Sinn.

Ein Mittel gegen steigende Markenuntreue

Es gibt gute Gründe für das Unternehmensmarketing, mutig neue Wege zu beschreiten. Der aktuelle „PoS-Marketing-Report 2021„ zeigt, dass sich die Markentreue, vor allem im Bereich der Fast-Moving-Consumer-Goods, weiter im Sinkflug befindet. Stimmten im Jahr 2013 nur 20 Prozent der Befragten der Aussage „Beim Lebensmittelkauf könnte ich ganz auf Markenprodukte verzichten“ zu, waren es 2015 24 Prozent, 2017 schon 29 Prozent und 2020 bereits – aus Markensicht erschreckende – 44 Prozent. Die Marken sind gezwungen, etwas gegen diese Entwicklung zu unternehmen.

Unter dem Titel „Warum Marken heute eine Haltung brauchen“ schrieb Werben & Verkaufen: „Weil immer mehr Produkte im Regal stehen, die im Netz alle miteinander verglichen werden können, ist Marke allein kein Kaufkriterium mehr. Die Studie b4p Trends rät Marketern dazu, ihre Marken in einen gesellschaftlich relevanten Kontext zu stellen.“ Der Studie zufolge wünschen sich mit „77 Prozent die große Mehrheit eine Marke, die eine verantwortungsvolle gesellschaftliche Haltung einnimmt – zum Beispiel zu Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Arbeitsbedingungen. Unter jungen Frauen im Alter von 16 bis 29 Jahren teilen sogar 87 Prozent diese Einstellung.“

Mit gutem Beispiel voran

Beispiele gab es während der Corona-Pandemie durchaus. Volkswagen setzte 3D-Drucker dazu ein, statt Modellprototypen Bauteile für Beatmungsmaschinen zu produzieren. H&M bestellte bei seinen Fabrikanten in Asien Atemschutzmasken. Diese Marken zeigen beispielhaft: Jetzt gilt „Unselling“ statt Hardselling – natürlich mit der richtigen Dosierung von PR-Arbeit: Tue Gutes und rede darüber.

Verbraucher belohnen Marken, die Haltung zeigen. YouGov hat in seiner Studie „Brand Purpose in Zeiten der Corona-Krise“ den Nutzen von Haltung bei Marken im Auge der Verbraucher analysiert. Das Resultat: In Deutschland steht der Großteil der Verbraucher sich positionierenden Marken positiv gegenüber. Zwei Drittel finden, dass Unternehmen und ihre Marken über ihre Ansichten zu einem Thema kommunizieren sollten. Und ebenso viele sagen, dass sie Marken, die sich mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigen, mögen.

Die Marke Oatly aus Schweden macht es vor: Der Haferproduzent gibt auf der Verpackung seiner Haferdrinks den ökologischen Fußabdruck jeder Packung in CO2-Äquivalenten an. So können Verbraucher sehen, welchen Einfluss ihr Konsum auf das Klima hat. Der Konsument kann auf der Website die CO2-Emission für jeden Produktionsschritt im Vergleich zu Kuhmilch sehen und so die Klimafreundlichkeit von Hafermilch im Vergleich zu Kuhmilch nachvollziehen. Damit nahm Oatly eine Vorreiter-Rolle im Bereich der Milchalternativen ein.

Mit Nachhaltigkeit gegen die Großen

Ein weiteres Beispiel, diesmal aus Deutschland, ist die 2007 gegründete Marke followfood. Mit followfish brachte man die erste nachhaltige Fischmarke in den Handel und erfand den Tracking-Code, um Lieferwege und Produzenten offenzulegen. Ein Novum, über das die Konkurrenz zunächst lachte. Heute besitzen fast alle Marken einen solchen Tracking-Code und der Wettbewerb – die Schwergewichte Iglo und Costa – verkauft nur noch zertifizierten Tiefkühl-Fisch. Followfood brachte später den ersten Fair Trade Thunfisch in den Handel und seither auch zahlreiche Nicht-Fischprodukte auf den Markt.

Das treibt auch Kai Blasberg an. Der ehemalige Marketingchef von Kabel eins und ProSieben und zuletzt erfolgreicher Senderchef bei Tele5 kehrte der TV-Branche den Rücken und züchtet neuerdings unter der Marke Süderhöfter Weiderinder in Schleswig-Holstein.

Ein solches Wagnis erfordert Mut. Wir werden jedoch in Zukunft immer mehr Beispiele solcher Jungunternehmer erleben, die den großen, jahrzehntelang etablierten Marken immer mehr Marktanteile abjagen. Großkonzerne wie Unilever oder Beiersdorf müssen mitansehen, wie junge, oft in der digitalen Welt entstandene Marken, ihnen schrittweise Anteile des Marktes stehlen, bis sie sich in Summe zu einem mächtigen Konkurrenten entwickeln.

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