Werbesprech

Werber, wo bleibt euer Wumms?

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Hier irrt der Bundeswirtschaftsminister

Bei all diesen Rechnungen wird davon ausgegangen, dass Unternehmen die Senkung vollumfänglich an die Endverbraucher weitergeben. Doch das wird nicht immer der Fall sein. Ökonomen wie der Marketing-Professor Martin Fassnacht erwarten keinen großen Preiseffekt von der Mehrwertsteuersenkung: „Ich glaube nicht, dass die Preise auf breiter Front signifikant runtergehen werden.“ Die Maßnahme sei nicht mehr als ein psychologisches Signal an die Verbraucher, meint Fassnacht.

Einen „Aufschwung für alle“, wie ihn sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vom Konjunkturpaket verspricht, wird es wohl auch deshalb nicht geben, weil Händler nicht mitziehen und die Ersparnis gleich ganz einbehalten. Bis zu einem Drittel der Einzelhändler werde die Steuersenkung nicht weitergeben, sagte etwa Handelsexperte Sirko Siemssen dem Magazin „Spiegel“. Dort heißt es weiter: „Doch bei Modehändlern, Möbelverkäufern und anderen Einzelhändlern außerhalb der Lebensmittelbranche verweigern sich etliche Unternehmen. Sie sind in der Coronakrise besonders gebeutelt worden, da sie wochenlang ihre Läden nicht öffnen durften.“

Bedenken, ob sich Altmaiers temporäre Maßnahmen dann wenigstens für die Händler lohnen, kommen aus Rheinland-Pfalz, wo Vize-Ministerpräsident Volker Wissing (FDP) die Sorge umtreibt, die zweifache Umstellung der Mehrwertsteuer bedeute für die Unternehmen einen hohen Aufwand und wäre somit wenig zielführend.

Preiserhöhung statt Steuerschenkung

Noch ärger trifft es die Verbraucher bei typischen Sommerprodukten. Eine Analyse der Vergleichsplattform Idealo fördert zutage, dass Sommerprodukte wie Gartenmöbel, Sommerschirme und Zelte, deren Preise zu Saisonbeginn traditionell zurückgehen, während der Coronakrise um bis zu 23 Prozent teurer waren als in den Vorjahren. Unklar bleibt, wie sich die Reduzierung der Mehrwertsteuer hier positiv auf die Verbraucherpreise auswirken kann. Denn sie reicht nicht aus, um diese Preissteigerungen wettzumachen.

Selbst die in der Vergangenheit beliebten Mehrwertsteuer-Schenk-Aktionen von Media Markt und Saturn bleiben aus. Anfang Juni gab es lediglich eine kleine „19% Mehrwertsteuer geschenkt auf ausgewählte Samsung Produkte“-Aktion und bis Mitte Juni eine gleichlautende Promotion für vereinzelte Huawei-Produkte. Logisch, denn wenn die Steuer ohnehin sinkt, reagieren vermutlich weniger Verbraucher auf solche Aktionen.

Tote Werbe-Hose

Was sich sonst in Zeiten der Corona-Werbung tut? Nicht viel. Es herrscht tote Hose. Wenigstens Katjes setzt in einer neuen Kampagne nach dem Beginn der Lockerungen auf Selbstverantwortung und fordert uns auf, besonders auf die Risikogruppen zu achten: „Jedes Leben ist wertvoll“. Unter den Kampagnen des Lebensmitteleinzelhandels, die in den letzten Wochen kräftige Umsatzsteigerungen verzeichneten, geht Penny als Sieger hervor: „Penny zeigt wahren Purpose, berührt seine Kunden über das eigentliche Geschäftsfeld hinaus, unterhält und informiert.“

McDonald’s startet wieder durch, bewarb Ende Mai fröhlich seinen „Stay Happy Day“ und nun auch neue Gutscheine („Mit Abstand das beste Angebot“). Immerhin. Wenigstens etwas Aufsehen erregt einzig die Kampagne der Premium-Pizzamarke Gustavo Gusto, die zum Boykott von Tiefkühlpizzen aufruft. Aus Solidarität empfiehlt man, die Gastronomie zu unterstützen. Um dann mit einem Augenzwinkern anzumerken: „Und wenn es doch mal eine Tiefkühlpizza sein soll, dann... naja, ihr wisst schon.“

Und Volkswagen? Statt sich um seine Käufer zu kümmern, beschäftigt sich der weltgrößte Automobilkonzern mit den Auswirkungen eines rassistischen Instagram-Clips und gibt dabei ein geradezu peinliches Bild in der Öffentlichkeit ab. Statt durchzustarten, begnügt man sich in Wolfsburg mit einem unnötigen Skandal.

Die Werbebranche, die wie keine Zweite für Kreativität, Mut, Fröhlichkeit, Aufschwung und das Meistern von Herausforderungen stehen will, hat eine Gelegenheit verpasst. Sie besaß nicht die Kraft, ihre Auftraggeber davon zu überzeugen, gerade in Krisenzeiten mit ihren Zielgruppen zu kommunizieren und um Vertrauen für Marken zu werben.

Bleibt zu hoffen, dass beide Seiten – Werbungtreibende und Agenturen – daraus für die nächste Krise lernen. Denn die kommt so sicher wie das Amen in der Kirche.

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