Werbesprech

Die Werbebranche ist arm geworden

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Hysterie ist ein schlechter Ratgeber

Tatsache ist, Marketer und Werber sind sich völlig uneins über die Richtung, in die sich der Kommunikationsmarkt bewegen soll. Die Rede ist von massiven Divergenzen. Im „2017 New Year Outlook Report“ monieren die Marketer, dass es den Agenturen an strategischem Denken und digitalem Know-how fehle. Den Marketern werfen die Agenturen vor, nur auf kurzfristige Erfolge aus zu sein und immer häufiger auf Projektbasis zu arbeiten. Sie verzichteten zunehmend auf eine Leadagentur.

Aber damit nicht genug. Auf Fake News folgten Fake Tests. Die Aktion #keingeldfürrechts, bei der es darum geht, Werbung auf Websites mit rechter Gesinnung zu verhindern, versetzt Agenturen und Werbungtreibende in hellste Aufregung.

Derweil plant die EU eine deutliche Einschränkung des Gebrauchs von Cookies in der Werbung, was die Online-Medien und damit Online-Werbung ohnehin in Teilen in Frage stellen würde. Und SAP-Vorstand Bernd Leukert warnt die Werber vor dem Missbrauch von Künstlicher Intelligenz.

Der Werbemarkt ist tatsächlich so hysterisch wie nie zuvor in seiner Geschichte. Hysterie ist jedoch ein schlechter Ratgeber.

In der Werbung herrscht tote Hose

Warum Marketer zunehmend auf eine Leadagentur verzichten, hat seine Gründe. Früher war die Werbebranche wegweisend. Sie galt als Vorreiter, künstlerisch wie kulturell. Werbung war gesellschaftlich relevant. Die Kampagnen von Charles Wilp („Afri Cola“), Michael Schirner („Werbung ist Kunst“) oder Oliviero Toscani („Benetton“) galten als Meilensteine. Sie wurden auf der Straße ebenso wie in den Feuilletons der meinungsbildenden Presse diskutiert und lockten Tausende von kreativen Köpfen in die Werbung.

Ein öffentlicher Diskurs gelang zuletzt 2002 Constantin Kaloff von der Hamburger Agentur Jung von Matt mit der „Geiz ist geil“-Kampagne für Saturn. Doch seit 15 Jahren herrscht in der Branche tote Hose. Dass sie lauthals den mangelnden Zufluss an klugen Köpfen und jungen Wilden beklagt, verwundert nicht.

Ob das CDU-Engagement von Jung von Matt für den diesjährigen Bundestagswahlkampf daran etwas ändert, wird sich zeigen. Der Werbebranche fehlt es an Lichtgestalten, die Furore machen und in unsicheren Zeiten den Weg weisen. Es hat sie in jedem Jahrzehnt gegeben. Doch wo sind sie heute? Es gibt sie nicht mehr. Die Werbebranche ist arm geworden.

So lange die Werbebranche vor sich hindümpelt und nur von sich reden macht, weil die Qualität der Kampagnen immer weiter nachlässt, ist der heutige Marketingchef auf sich alleine gestellt. Ohne Impulsgeber ist er vereinsamt und unsicher. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als Ruhe zu bewahren. Er muss klare Ziele setzen, darf sich nicht vom Weg abbringen lassen, sollte dabei neue Wege ausprobieren. Und lernen. Jedoch keinesfalls jedem neuen Spuk folgen, den sich fragwürdige, selbsternannte Werbe-Gurus einfallen lassen.

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