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Ende 2018 gingen Experten davon aus, dass Influencer-Marketing bereits seinen Höhepunkt erreicht habe. Quelle: REUTERS

Influencer-Marketing steckt in der Krise

Ist der Influencer-Marketing-Boom schon bald vorbei? Oder geht es jetzt erst richtig los? Die Experten sind sich uneins. Dabei liegt die Antwort auf der Hand.

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Für die einen ist der Hype um die Influencer bald wieder Geschichte, für die anderen ist Influencer-Marketing aus dem Portfolio der Marketers nicht mehr wegzudenken. Das Thema pendelt derzeit irgendwo zwischen „einigermaßen erfolgreich“ und „kalter Kaffee“. Es spaltet die Branche. Zeit also für einen Realitätscheck.

Noch Ende vergangenen Jahres gingen Experten davon aus, dass das Influencer-Marketing, das vor gut zwei Jahren den Werbemarkt überschwemmte, bereits seinen Höhepunkt erreicht hat. Toan Nguyen von der Spezialagentur Jung von Matt/Sports ließ im „Spiegel“ verkünden: „Der Boom ist vorbei.“ Zu diesem Zeitpunkt gaben die Unternehmen allein auf Instagram angeblich schon drei Milliarden Euro für Werbung aus.

Das wäre fürwahr eine stolze Summe, denn der Online-Vermarkterkreis im BVDW schätzt die gesamten Werbeaufwendungen für Online- und Mobilewerbung im Jahr 2018 auf lediglich zwei Milliarden Euro. Schon daran ist zu erkennen, dass mit den Influencer-Zahlen etwas nicht stimmt. Sie sind, wie so viele Zahlen aus dem digitalen Werbemarkt, völlig überzogen.

Mehr Geld für die modernen Litfaßsäulen

Einer Befragung des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) ist zu entnehmen, dass 61 Prozent der werbungtreibenden Unternehmen in diesem Jahr dennoch höhere Investitionen für die zu modernen Litfaßsäulen mutierten Social-Media-Stars planen. Sie erhoffen sich auf Kanälen wie Instagram und YouTube für ihre Werbebotschaften mehr Aufmerksamkeit und Relevanz bei jüngeren Verbrauchern. Denn 40 Prozent der 17 Millionen deutschen Instagram-Nutzer sind in den Zwanzigern.

Diese jungen Verbraucher sehen immer weniger fern und bereiten den TV-Sendern erstmals Umsatzsorgen. Für die Meinungsbildung ist das Netz für sie mittlerweile das wichtigste Medium. Der aktuelle Medienvielfaltsmonitor bescheinigt dem Internet mit einem „Meinungsbildungsgewicht“ von 54,5 Prozent die mit Abstand höchste Relevanz unter den 14- bis 49-Jährigen.

Ein Land von Influencern

Im Gegensatz zu den wenigen Hundert sogenannten „Testimonials“, prominenten Schauspielern, Popstars und Fußballern, die in Anzeigen, TV- und Radio-Spots für Marken auftreten, sind Influencer keine Seltenheit. Laut einer Studie gilt jeder elfte hierzulande als „Influencer: Leute, deren Beiträge die Meinungsbildung in den Sozialen Medien prägen.“ Das wären fast 5 Millionen Deutsche im Alter zwischen 18 und 65 Jahren.

An solch inflationären Zahlen, die von der digitalen Werbewirtschaft gerne und unkommentiert übernommen werden, erkennt man, dass wir es mit einer Blase zu tun haben, die nur darauf wartet, dass jemand eine Nadel hineinsticht.
Dennoch glauben 84 Prozent der Marketingverantwortlichen, dass Influencer Marketing wirksam ist. Tatsächlich zeigt eine aktuelle BVDW-Studie, dass jeder Fünfte bereits aufgrund der Aussage oder Bewerbung eines Influencers ein Produkt gekauft oder eine Marke ausgewählt hat. Doch wie eine Studie aus gleicher Quelle zeigte, „reagieren überwiegend Kinder auf den Hype. Insbesondere 14- bis 17-Jährige kauften schon einmal ein Produkt, das von einem Influencer beworben wurde.“

Inzwischen ist das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Spätestens seitdem der bislang in einer breiten Öffentlichkeit unbekannte „CDU-Zerstörer“ Rezo mit einem YouTube-Video ganz offensichtlich Einfluss auf die Europawahl nahm, spricht das ganze Land von ihm. Allerdings ist gleichzeitig von einer „fortschreitenden Infantilisierung des öffentlichen Diskurses“ die Rede.

Respektlose Selfies aus der Tschernobyl-Sperrzone

Von sich reden machen Influencer derzeit vor allem durch kaum nachvollziehbare Respektlosigkeit. In Scharen reisen sie nach dem Erfolg der HBO-Serie „Chernobyl“ an den Unglücksort, um dort Selfies auf der Jagd nach Likes hochzuladen: „Eine junge Frau sitzt fröhlich grinsend in einem der verlassenen Autoscooter, als könne sie jeden Augenblick damit losfahren. Auf einem Bild sind zwei Männer zu sehen, die in einer Rapper-Pose vor dem Riesenrad in Pripyat stehen, ein anderer Nutzer macht an derselben Stelle das ‚Ok‘-Zeichen. Eine junge Frau fast blank: Ihr Foto zeigt sie nur spärlich bekleidet und mit herunterhängendem Schutzoverall in der Schutzzone.“

Nicht alles ist also Gold, was im Land der Influencer glänzt. Auch Top-Stars sind auf diesem Parkett nicht vor Misserfolgen gefeit. Verona Pooth, ehemals erfolgreiches Werbegesicht für Iglo-Spinat (Der mit dem „Blubb“) landete mit ihrem Instagram-Post für den Energieriesen E.On einen fulminanten Flop.

Im Gegensatz zu anderen Online-Werbemaßnahmen schätzen die Werbungtreibenden am Influencer Marketing die Authentizität der Werbe-Protagonisten. Doch gerade um die Glaubwürdigkeit der digitalen Meinungsmacher ist es schlecht bestellt. Während die meisten TV-Testimonials ihre Werbeengagements selbst gründlich darauf prüfen, ob die Marke zu ihnen passt („Brand Fit“) und ihrem eigenen Image zuträglich ist, halten viele Influencer gerne jede Marke vor die Kamera, die ihnen Geld dafür bietet.

Das Ende der „Anziehpüppchen“

Vor mangelnder Glaubwürdigkeit und zweifelhaftem Brand Fit warnen selbst die Experten. Sie müssen befürchten, dass ihnen das schöne Geschäft bald zerrinnt. Laut einer Studie sind die Zeiten, in denen Konsumenten Influencer als unabhängige Ratgeber ansehen, vorbei: Für 57 Prozent der Befragten sind Influencer in erster Linie Personen, die mit sozialen Medien Geld verdienen. Die Folge des schlechten Images: Für über zwei Drittel der Verweigerer sind sie nichts weiter als eine neue Werbeform. Sie empfinden Influencer generell als unglaubwürdig (61 Prozent) und nicht authentisch (57 Prozent).

Das Influencer-Marketing steckt schon nach nur zwei Jahren in einer „drastischen“ Vertrauenskrise. Ausgerechnet die Mode-Branche wendet sich bereits ab. Trend-Forscherin Lidewij Edelkoort: „Die wahre Avantgarde hat sich längst wieder von dieser Plattform abgewendet. Wir alle dachten am Anfang, Social Media bringt mehr Vielfalt, aber im Grunde bringt es eher Gleichförmigkeit.“ Die Influencer sind für sie keine Trendsetter, sondern „Nachahmer oder schlicht Anziehpüppchen“.

Betteln statt Werben

Den Spruch „Influencer Marketing ist gekommen, um zu bleiben“ hört man meist nur noch von Gründern der Influencer-Marketing-Agenturen.

Das härtere Vorgehen von Instagram gegen Fake-Follower wird ohnehin für viele Influencer das baldige Aus bedeuten. Und den plötzlichen Trend zu Micro-Influencern kann man auch als das letzte Aufbäumen interpretieren.

Die ersten Insta-Stars haben das inzwischen offenbar begriffen. Sie begnügen sich nicht mehr mit Honoraren aus Werbeverträgen, sondern betteln ihre Follower gleich um Bargeld an. Das ist der Anfang vom Ende.

Einigen wir uns darauf, dass Influencer nichts weiter sind als die digitale Ausgestaltung der guten, alten Testimonials. Wenn sie eines Tages so professionell werden wie Testimonials, bleiben nicht viele übrig. Dann ist der Spuk vorbei. Und wir können uns endlich wieder um Marketing kümmern, das unsere Marken wirklich nach vorne bringt.

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