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Facebook steht vor der größten Krise seiner jungen Geschichte Quelle: imago images

Ist das Ende von Facebook nah?

Die Datenschutz-Krise trifft Facebook ins Mark. Denn Kritik kommt zunehmend auch aus den eigenen Reihen. Die AdTech-Branche steht vor Umwälzungen, die niemand überblickt. Nur eins ist sicher: Die Werbung gehört zu den Verlierern.

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Nach dem Datenmissbrauch durch Cambridge Analytica und weiteren Datensammlern steht Facebook vor der größten Krise seiner jungen Unternehmensgeschichte. Dem aktuellen Quartalsgewinn konnte das noch nichts anhaben: Im 1. Quartal 2018 erreichte der Umsatz des Internetkonzerns zwölf Milliarden Dollar bei einem Nettogewinn von fünf Milliarden Dollar. Damit stieg der Umsatz gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 49 Prozent, der operative Gewinn des weltgrößten sozialen Netzwerks konnte gar um abenteuerliche 69 Prozent gesteigert werden.

Ganz beiläufig erfahren wir, dass Facebook auch Daten von Menschen sammelt, die keinen Facebook-Account besitzen. Dazu legen sie Schattenprofile („shadow profiles“) dieser Menschen an, deren Daten sie unter anderem über Tracking sammeln und speichern. Tun kann man dagegen nichts...

Vor dem US-Kongress hatte Facebook-Chef Mark Zuckerberg noch behauptet, von diesen „shadow profiles“ keine Kenntnis zu haben. Diese dreiste Lüge entlarvten nun die Verantwortlichen von Burdas Browser Cliqz. In einem offenen Brief, veröffentlicht in mehreren überregionalen Zeitungen und der Werbefachpresse, bezichtigen sie Zuckerberg, in diesem Punkt gelogen zu haben. Weiter schreiben sie: "Das gibt den Konzernen aber nicht das Recht, Ihnen auf praktisch allen Webseiten heimlich hinterher zu schnüffeln und dort Ihre persönlichen Daten abzugreifen."

Während sich Zuckerberg scheinheilig entschuldigt für die Versäumnisse seiner Firma und zugibt, dass man nicht immer die nötige Verantwortung an den Tag legte, regen sich die Geister der Silicon-Valley-Gründer. Google-Mitgründer Sergey Brin fordert eine breite Diskussion über die Folgen der technologischen Entwicklung wie der Künstlichen Intelligenz. Er fragt, wie sicher diese Technologien seien und wie damit Menschen manipuliert werden können.

In einem Brief wandten sich mehr als 3000 Mitarbeiter von Google an den Vorstandsvorsitzenden Sundar Pichai, um gegen die Kooperation ihrer Firma mit einem Projekt des US-Verteidigungsministeriums zu protestieren. „Wir glauben, dass sich Google nicht am Geschäft des Krieges beteiligen sollte“, hieß es in dem Schreiben, das die „New York Times“ veröffentlichte.

Während es schon immer Kritiker der „Tech Industry“ gab, kommen die schärfsten Kritiker inzwischen aus ihren eigenen Reihen. Sean Parker beispielsweise, der erste Facebook-Präsident, hält Social Media für eine gefährliche Form der psychologischen Manipulation. Es sind die Architekten des Internets und der Social-Media-Plattformen, die uns heute vor den Folgen warnen.

Wie die Erfindung der Atombombe

Derweil bereiten Verbraucherschutzgruppen in den USA eine Klage gegen YouTube vor. Der Vorwurf lautet, die Videoplattform verletze die Rechte von Kindern auf Privatsphäre und Datenschutz. Man wirft der Google-Firma vor, dass sie persönliche Informationen über ihre jungen Nutzer sammle und damit Geld verdiene.
Ich kann nicht anders, als diese Entwicklung mit der Erfindung der Atombombe zu vergleichen. Die Menschen haben immer erfunden, wozu sie fähig waren. Über die Konsequenzen machten sich die Entwickler keine Gedanken. Erst spätere Generationen, von den Folgen betroffen, griffen ein und versuchten die Entwicklung wieder zu stoppen. Doch angesichts der technologischen Disruption unserer Zeit sind es erstmals die Entwickler selbst, die sich angehalten fühlen, uns vor den Folgen ihrer eigenen Erfindungen zu warnen.

Das Ende von Facebook

Der Fall Facebook erschreckt nicht nur Datenschützer und Experten, sondern auch die Nutzer. Nach einer Umfrage der Marktforscher von Innofact gaben mehr als ein Drittel der deutschen Befragten an, sie würden als Konsequenz des Datenmissbrauchs ihre Aktivitäten auf Facebook einschränken oder gar komplett einstellen und ihren Account löschen. „Nachdem sich der erste Ansturm von Niedergangstimmung und #deletefacebook gelegt hatte, kam in der Folgewelle die Meinung auf, dass die Nutzer unbeeindruckt weitermachen würden. In Wahrheit zeigt sich allerdings nun, dass mehr als ein Drittel der Facebook-Nutzer in Deutschland reagiert hat oder reagieren will“, sagte Christian Thunig, Managing Partner von Innofact.

Ein Nachbeben erzeugte der Facebook-Datenmissbrauch auch bei AdTech-Experten. Bei einer Befragung glaubten 75 Prozent von ihnen, das Ende von Facebook wurde mit dem Datenleck eingeläutet und ein neuer Player würde das soziale Netzwerk ablösen. Uneinsichtig reagieren nur die Werbekunden: Bei einer Umfrage des Portals "Business Insider" gaben zwölf von 18 Dax-Unternehmen an, dass sie an ihren Facebook-Kanälen festhalten wollen.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Facebook und Co keinesfalls gegründet wurden, um die Welt besser zu machen. Das Geschäftsmodell dieser Unternehmen gründet darauf, die Daten seiner Nutzer an die Werbung und, wie wir heute wissen, auch an zwielichtige Unternehmen zu verkaufen. „You‘re not Facebook’s customer. You’re Facebook’s product.“ schrieb Edward Morrissey. Wir sind keinesfalls Facebooks Kunden, wir sind das Produkt selbst.

Für die Befürworter der am 25. Mai verabschiedeten Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) kommt Facebooks Debakel gerade recht. Gemeinsam mit der vermutlich folgenden E-Privacy-Verordnung soll die DSGVO die Spielwiese der AdTech-Branche gezielt einschränken. Dem unliebsamen, digitalen Stalking der Konsumenten würde damit Einhalt geboten. Das alleine, schätzt der Online-Vermarkterkreis OVK, könnte 30 Prozent der deutschen Onlinewerbung eliminieren und im digitalen Werbemarkt zu einem Umsatzverlust in Höhe von 500 Millionen Euro führen.

Auch der Hype um Programmatic, der automatisierten Auslieferung von Onlinewerbung, gerät ins Wanken. Nach der „Global Ad Trends 2018“-Analyse (Warc) fließen 55 Prozent dieser Werbegelder an AdTech-Dienstleister, 5 Prozent an Mediaagenturen und lediglich 40 Prozent erreichen die Medien selbst - und damit auch die Endverbraucher. Branchenriese Procter & Gamble strich bereits 90 Prozent der Medien, bei denen programmatisch eingekauft wurde, von ihrer Einkaufsliste.

Kein Stein auf dem anderen

Sicher ist also, dass nach Abschluss der Diskussion um Datenmissbrauch, der Rolle von Facebook und Seinesgleichen und um den Wert der Onlinewerbung auf diesen Portalen in der digitalen Werbewelt kein Stein mehr auf dem anderen stehen bleiben wird. Da hilft auch nicht die Ankündigung von Facebook eine Dating-Funktion einrichten zu wollen. Im Gegenteil.

Womöglich werden sich Werbungtreibende und ihre Agenturen wieder auf die alten Medien besinnen müssen. Zumal diese in ihrer Leistung den digitalen oftmals überlegen sind. Eine Studie in Großbritannien fand heraus, dass 18- bis 34-jährige Leser von Printausgaben britischer Tageszeitungen täglich 23 Minuten mit der Lektüre verbringen, die Leser der Onlineausgaben jedoch nur 43 Sekunden. Da bleibt keine Zeit für die Wahrnehmung von Werbebotschaften.

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