Werbesprech

Es reicht! Werbung hat uns genug belogen

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Je größer die Marke, desto größer die Lüge

Die Dating- und Seitensprungportale Ashley Madison und Lovoo füllten ihre Portale mit gefakten Mitgliederaccounts. Die Gründer von Lovoo wurden festgenommen. Viele Hotelbuchungsportale sind unangenehm aufgefallen, weil sie mit gefälschten Meldungen wie „Nur noch 2 Zimmer“ oder „20 weitere Besucher“ die Kunden zur Buchung drängten.

Die gesamte Online-Marketingwelt fällt derzeit ohnehin eher durch kriminelle Machenschaften auf. Nach Schätzungen des renommierten US-Werbers und Bloggers Bob Hoffman zählt der Betrug mit gefälschten Online-Zugriffen („Ad Fraud“) bald zur weltweit zweitgrößten Quelle des organisierten Verbrechens - nach dem Handel mit Drogen.

Lug und Trug bis zum Abwinken

Letzte Woche erfuhren wir, dass Mozilla und Google eine umstrittene Erweiterung aus ihren Angeboten entfernten. Nach einer Recherche des NDR greift das Add-on von seinen Nutzern die eingegebenen WWW-Adressen ab und verkauft diese Daten weiter. Das Browser-Plugin trägt den bezeichnenden Namen „Web of Trust“.

Von „Mogelmilch“ bis Schummel-Schinken
Die Mogelpackung des Jahres ist nach Ansicht von Verbrauchern die Bebe Zartcreme. In einer Online-Abstimmung der Verbraucherzentrale Hamburg votierte knapp ein Drittel von insgesamt mehr als 26.000 Verbrauchern für das Kosmetikprodukt aus dem Hause Johnson & Johnson, wie die Verbraucherschützer am Montag mitteilten. Die Bebe Creme ist ihren Angaben zufolge durch neue Füllmengen um bis zu 84 Prozent teurer geworden. Quelle: Screenshot: bebe
Die Verbraucherzentrale Hamburg verleiht den Negativpreis Mogelpackung des Jahres seit 2013. An der Wahl 2016 nahmen insgesamt 26.132 Verbraucher teil, sechs Mal so viele wie im vergangenen Jahr. 2014 erhielt die Windelmarke Pampers von Procter & Gamble den Negativpreis. Diese Produkte waren in diesem Jahr nominiert... Quelle: dapd
Der Konsumgüterriese hat im vergangenen Jahr die Füllmenge seiner Dentagard-Zahnpasta von 100 Milliliter auf 75 Milliliter reduziert. Doch die Tube sei weiterhin in den meisten Drogerien und Supermärkten zum gleichen Preis verkauft worden, sagen die Verbraucherschützer. Der geschrumpfte Inhalt entspreche einer versteckten Preiserhöhung von 33,3 Prozent. Quelle: Screenshot: Dentagard
Auf den ersten Blick wurden die Schinkenspezialitäten von Herta sogar billiger. Statt 2,19 Euro oder 2,29 Euro kosteten sie laut Verbraucherzentrale nur noch 1,89 Euro oder 1,99 Euro. Gleichzeitig sei die Füllmenge der neuen Packungen aber drastisch reduziert worden – von 150 auf 100 Gramm. Dadurch ergebe sich eine Preiserhöhung von rund 30 Prozent. Quelle: Screenshot: Nestlé
Bei der sogenannten Kopfsteher-Flasche seines Curry Ketchups hat das Unternehmen die Füllmenge von 500 auf 400 Milliliter reduziert. Da gleichzeitig auch der Preis etwas gestiegen sei, entspreche das einer versteckten Preiserhöhung von bis zu 28 Prozent, beklagen die Verbraucherschützer. Zudem sei die ganze Palette der verschiedenen Heinz-Kopfsteherflaschen kleiner geworden. Quelle: Screenshot: Heinz
Der Kaffeekonzern hat die Füllmenge der Kapselpackung um fast die Hälfte reduziert. Sie sank von 475,2 auf 264 Gramm. Außerdem hat das Unternehmen laut den Verbraucherschützern statt echter Milch in Form von Vollmilchkonzentrat nun „Mogelmilch“ verwendet. Diese werde aus Sahneerzeugnis, Milchproteinen, Milchmineralien und Wasser zusammengefügt und von Verdickungsmittel zusammengehalten. Quelle: Screenshot: Jacobs

Und Facebook musste kürzlich gegenüber seinen Werbekunden zugeben, dass die veröffentlichten Daten zur Sehdauer von Videos über zwei Jahr hinweg irrtümlich falsch, nämlich um 60 bis 80 Prozent überhöht ausgewiesen wurden. Wie kann es sein, dass ein Technologie-Gigant wie Facebook jahrelang falsche Metriken verwendete - und es selbst nicht merkte? Verständlich, dass die werbungtreibende Industrie derzeit vor Wut kocht. Aber schön, dass die Werbebranche selbst auch einmal Opfer mutmaßlicher Tricksereien wurde. Das geschieht ihr ganz recht.

Tatsächlich ist die Werbebranche selbst nicht besser als das Ergebnis ihrer Arbeit. Der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf her. Die Mediaagenturen, die sich gern als Berater ihrer Werbekunden darstellen, erweisen sich als Mitglieder einer „pervertierten“ Branche, die lügt und betrügt. Ein Gutachten des EMR Instituts für Europäisches Medienrecht kommt zum ernüchternden Schluss, dass die Branche wegen ihres möglichen Einflusses auf die Medienvielfalt aus verfassungsrechtlicher Sicht als "potentielle Gefährdung" gilt und daher vom Gesetzgeber reguliert werden sollte.

Diesen Marken vertrauen die Deutschen

Je größer die Marke, desto größer die Lüge

Auffällig am wachsenden Problem mit den Lügen der Werbebranche ist: Es sind die ganz Großen, die am meisten tricksen, lügen und betrügen. Es sind die großen Unternehmen mit ihren größten und bekanntesten Marken, die sich offenbar nur auf unlauterem Weg behaupten können. Umsatzziele und Renditezwänge sind dafür keine Entschuldigung. Im Gegenteil: Eine verantwortungsvolle, gewissenhafte und nachhaltige Markenführung verlangt nach Vertrauen. Doch dieses Vertrauen verspielen sie immer mehr.

Man hatte uns das digitale Zeitalter als das transparenteste aller Zeiten versprochen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Es wird mehr gelogen denn je. Die Digitalisierung hat höchstens ein neues Kapitel aufgeschlagen und die Möglichkeiten für Lug und Betrug um ein Vielfaches vergrößert.



Die Verbraucher sollten Marken, die lügen, konsequent abstrafen und boykottieren. Die sozialen Netzwerke geben ihnen die Macht, sich öffentlich zu wehren. Sie sollten besser den kleinen Marken vertrauen, die sich bemühen, mit ehrlichen Produkten und vertrauenswürdiger Werbung gegen die Großen zu bestehen. Auch dann, wenn der Preis einmal höher ist. Wir sollten gelernt haben, dass Lügen uns am Ende teurer zu stehen kommen.

Es ist durchaus begrüßenswert, dass inzwischen fast alle großen Unternehmen in Deutschland einen Chief Compliance Officer installiert haben. Was sie jedoch in Wirklichkeit und viel dringender brauchen, ist ein CWO. Einen Chief Wahrheits-Officer. Und es wäre wünschenswert, wenn Unternehmen wie Volkswagen und Audi, Procter & Gamble und Beiersdorf mit gutem Beispiel voran gingen.

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