Werbesprech

Marketing mit dem Rücken zur Wand

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Keine Ahnung von digitalen Nebelkerzen

Wenn der Vorwurf zutrifft, dass sich die Marketingabteilungen zu intensiv von offensichtlichen Nebelkerzen wie der neuen Klaviatur digitaler Werbemöglichkeiten ablenken ließen, dann hält eine Versuchsanordnung der dpa-Tochter News Aktuell für die Anhänger der Parole „digital first“ eine große Enttäuschung bereit. Man untersuchte das Verhalten der Verbraucher und glich dies mit Aussagen von Kommunikationsprofis ab.

Das Ergebnis: „Kommunikatoren unterstellen digitalen Medien eine weitaus größere Relevanz als es insgesamt die Konsumenten tun.“ Studienleiter Roland Heintze: „Wenn Sie sich den ganzen Tag mit etwas beschäftigen, geraten Sie in eine Blase. Da werden Dinge anders diskutiert und nicht immer sitzt der Konsument in derselben Blase.“

Auf die Frage, welche Medien für Informationen bevorzugt würden, um eine große Gruppe von Menschen zu erreichen, gaben 79 Prozent der Kommunikationsprofis Social Media-Kanäle wie YouTube oder Facebook an. Dagegen gaben aber lediglich 44 Prozent der Konsumenten an, überhaupt Produktinformationen über soziale Medien einzuholen.

Am meisten überschätzten die Kommunikationsprofis Facebook: 56 Prozent meinen, dass Facebook oft oder manchmal für Produkt- oder Serviceinformationen genutzt wird. Tatsächlich nutzt aber nur jeder fünfte Konsument Facebook für derartige Recherchen.

Trauriges Fazit: Von der tatsächlichen Bedeutung der digitalen Medien haben die Experten erschreckend wenig Ahnung. Da wundert es nicht, wenn auch die Kampagnen ihre Wirkung verfehlen.

Marketing zieht überall den Kürzeren

Überdies herrscht im Marketing längst eine babylonische Sprachverwirrung, wenn es um die neuen Disziplinen geht. Das Fachmedium One-to-One schreibt: „Die Halbwertzeit von Online-Marketingbegriffen ist kurz. Ständig ploppen neue Buzzwords auf, etablierte Kategorien verändern ihre Bedeutung - und listet diverse Fachbegriffe auf, die jeder anders verwendet. Sie reichen von SEO über Content Marketing bis hin zur ominösen KI, um die es im letzten Werbesprech ausführlich ging.

Marketing hat daher nicht nur ein Image- und Identitätsproblem, sondern inzwischen ein sehr reales Existenzproblem. Der Fahrdienstvermittler Uber ist gerade dabei, ein Drittel seiner Marketingabteilungen und damit 400 Mitarbeiter auf die Straße zu setzen. Begründung: Die Ergebnisse seien „mittelmäßig“. Nach Uber, Lyft und Johnson & Johnson wird auch McDonald`s den Posten des Chief Marketing Officers nicht neu besetzen. Überall werden die Karten neu gemischt. Doch Marketing zieht dabei stets den Kürzeren.

Back to the roots

Da ist guter Rat teuer. Rupert Schäfer, Gründer der Nunatak Group, sieht im alten CMO ein Auslaufmodell und plädiert für eine stärkere Verzahnung mit dem Vertrieb: „Im Kern geht es dabei darum, den Brückenschlag zu Sales zu schaffen und dabei Produkte, Prozesse und Services klar auf den Kunden auszurichten.“ Was auf den ersten Blick sinnvoll klingt, kann jedoch schnell zur Falle werden. Denn Marketing und Sales haben schon immer eng und gut zusammengearbeitet, sind jedoch nicht ohne Grund zwei gänzlich verschiedene Disziplinen.

Solange 83 Prozent der globalen CEOs davon überzeugt sind, dass Marketing ein wesentlicher Wachstumstreiber sein kann, ist noch nicht alles verloren. Das bisherige „Neu-Erfinden“ hat Marketing allerdings bisher nur in existentielle Schwierigkeiten gebracht. Demnach wäre ein „Alt-Erfinden“ womöglich doch die bessere Lösung: Back to the roots.

Strategie und Handwerk sind und bleiben die treibenden Faktoren für den Marketingerfolg. Daran hat sich auch in der digitalen Welt nichts geändert. Marketing-Guru Mark Ritson hat hier neun Regeln zusammengefasst, die nach Sichtung von 9.000 Kampagnen seines Erachtens die perfekte Marketingwirkung entfachen.

Für den zynischen Altmeister der US-Werbung, Bob Hoffman, ist die Definition der Aufgabe für die Marken-Kommunikation simpel: „We don't control the product; we don't control the pricing; we don't control the distribution; we don't control the employees - we only control the message.“ Im Wesentlichen kontrolliert die Marketingkommunikation die Botschaft. Sie muss so sichtbar an eine möglichst breite Zielgruppe herangetragen werden, dass die Marke nachweisbar wächst. Das kann so schwer doch nicht sein.

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