Werbesprech

Ist Online-Werbung noch zu retten?

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Lösungen? Fehlanzeige...

Man möchte denken, dass die Marketingexperten nun verzweifelt nach Lösungen suchen. Achim Reuper, Director Sales von Arvato Systems, empfiehlt Marketers umzudenken. Er fordert ein Zusammenführen der Unternehmensdaten, die crossmediale Ansprache der Konsumenten, das Erstellen von Kundenprofilen und eine zielgerichtete Adressierung der Verbraucher. Seine Trendliste klingt, als hätte man sie vor Jahren schon einmal gelesen. Ausgeklammert werden alle Probleme, die mit dem Datensammeln und der Konsumentenansprache einhergehen. Von echten Lösungen sind die Fachleute offenbar meilenweit entfernt.

Vergleicht man die Unwägbarkeiten und Gefahren der digitalen Werbung mit denen der Massenmedien, schneidet Online schlecht ab. Wer Anzeigen in Zeitungen oder Magazinen schaltet, stellt nach Prüfung fest, dass die Anzeige tatsächlich erschien. Die Auflagen werden von der unabhängigen IVW kontrolliert. Plakatwerbung, ob aus Papier oder auf digitalen Screens, leidet weder unter Viewability-Problemen, noch besteht Gefahr, dass sie überwiegend von Roboter-Programmen gesehen wird. Schaltet man Werbespots im Fernsehen, wird die Ausspielung elektronisch aufgezeichnet. Zuschauer, die wegzappen, werden ohnehin nicht mitgezählt und die Zahl der Bierholer und Klogänger hält sich in Grenzen. Zudem ist erwiesen, dass viele den Großteil der Werbung akustisch wahrnehmen.

„So ätzend wird die Fernseh-Zukunft“

Sobald jedoch der Fernsehkonsum digital erfolgt, greifen dieselben Mechanismen wie bei der Onlinenutzung. Der Zuschauer ist identifizierbar und damit auch persönlich ansprechbar. Künftig werden wir beim Fernsehen ebenso von der Werbung getargeted und gestalkt wie im Netz. Fachleute nennen es „Addressable TV“. Das Computer-Magazin "Chip" zeigt sich darüber wenig begeistert und formuliert: „So ätzend wird die Fernseh-Zukunft“.

Von Ernst Litfaß bis Bibis Beauty Palace
Werbung ist ein alter Hut. Aber sie kann immer neue Formen annehmen. In Deutschland lagen die Werbeausgaben 2015 nach Marktanalysen der Firma Nielsen bei über 29 Milliarden Euro (Brutto). Wichtige Werbeformen im Überblick. Quelle: obs
Mit dem Aufkommen von Tageszeitungen im 17. Jahrhundert konnte erstmals Werbung im großen Stil verbreitet werden. Die Annoncen dort waren anfangs nicht vom journalistischen Teil zu unterscheiden. Bald etablierten sich spezielle Werbezeitungen, in denen Händler gegen Bezahlung ihre Waren eintrugen. Quelle: DPA
Die Zeitungswerbung gehört noch heute zu den klassischen Formen. Während Verlage früher Höchstpreise für Werbeplätze in ihren Tageszeitungen, Magazinen und Broschüren verlangen konnten, änderte sich dies mit dem Internet und Suchmaschinen wie Google. Die Werbeumsätze der Printmedien sind insgesamt rückläufig, noch bleiben Tageszeitungen weiter der zweitstärkste Werbeträger in Deutschland. Quelle: DPA
Mit der „Annonciersäule“, nach dem Berliner Verleger Ernst Litfaß auch Litfaßsäule genannt, begann Mitte des 19. Jahrhunderts das Zeitalter der Plakatwerbung. Entscheidend war, „dass die Litfaßsäule das wilde Plakatieren im öffentlichen Raum beendete“, sagt Medienwissenschaftler Steffen Damm von der FU Berlin. Die „Anschlagsäule für die Außenwerbung“ stiftete nicht nur Ordnung, sondern war als Massenmedium auch kostenlose Informationsquelle. Quelle: DPA
Schon von Beginn an wurden schlaglichtartige Überschriften und einprägsame Slogans formuliert. Mit der „runden Sache“ kam ein Wirtschaftszweig auf, heute Out-of-Home-Medien - Außer-Haus-Medien - genannt, der auch 2015 einen Werbeumsatz im Milliardenbereich erwirtschaftete. Derzeit gibt es rund 330 670 klassische Plakate auf Säulen, Großflächen und Citylight-Postern. Quelle: DPA
Auch im Smartphone-Zeitalter ist die Säule nicht aus der Mode. Rund 36 000 „Allgemeinstellen“ zählt der Fachverband Außenwerbung. Der Dinosaurier mit den geklebten Plakaten ist dank günstiger Preise immer noch beliebt. Große Firmen setzen auf schicke Versionen mit Verglasung, Licht und digitalen Werbefenstern. Quelle: DPA
Werbefilme sind so alt wie der Film. Einer der Pioniere war Julius Pinschewer, der 1912 in Berlin seine erste Firma für Filmreklame gründete. Anfang der 20er Jahre sollen jede Woche rund vier Millionen Zuschauer seine Werbefilme in über 800 Kinos gesehen haben. Quelle: DPA

Die Werber selbst scheint das alles nicht zu berühren. Sie schielen längst auf den nächsten Buzz. Und der heißt „Snackable Content“. Seit der Einführung von 6-Sekunden-Spots auf YouTube und der Ankündigung von Facebook, dieses Format ebenfalls einzuführen, rasten die Kreativen völlig aus. Keinesfalls jedoch vor Entsetzen, sondern vor Begeisterung. Plötzlich glauben sie an eine intensivere Bindung zu jüngeren Verbrauchern durch 6-Sekünder als mit herkömmlichen Spotlängen.

Die Hörigkeit der Werber gegenüber Google und Facebook treibt immer seltsamere Blüten und beginnt physisch wehzutun. Es dauert nicht lang, dann erklären sie, dass 2-Sekünder tiefer ins Unterbewusstsein eindringen als 20-sekündige Werbefilme. Den Wahnsinn der zukünftigen Werbewelt mag man sich so lieber nicht vorstellen.

Online auf Messers Schneide

Es ist tatsächlich an der Zeit umzudenken. Wer an die Zukunft der digitalen Werbung glaubt, wovon die Besucher der Dmexco sicher vollends überzeugt sind, muss ihr einen Platz im Marketing-Mix geben, der mindestens so viel Werbewirkung verspricht, wie es alle anderen Medien seit Jahrzehnten tun. Es ist sicher nicht Display. Es ist nicht alleine Mobile. Und es sind ganz gewiss nicht 6-Sekunden-Spots bei Facebook. Die Zukunft der Online-Werbung steht auf Messers Schneide.

Die einzig richtige Lösung ist und bleibt die richtige Werbung (Content), im richtigen Augenblick (Relevanz) an die richtigen Menschen (Zielgruppe) in der richtigen Dosierung (Wirkung). Hierzu braucht es kreative, mediale und inzwischen auch umfassende technische Fertigkeiten.

Wenn die bevorstehende Dmexco hierfür neue Lösungen präsentiert, macht sie Sinn. Wenn sie nur neue Buzzwords produziert, ist sie am Ende. Ebenso wie die gesamte Online-Werbung.

Rossmann, dm und selbst Autobauer lassen ihre Produkte von Instagram- und Youtube-Stars bewerben, um junge Zielgruppen zu erreichen. Ist das die Werbung der Zukunft?
von Kerstin Dämon

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