Man möchte denken, dass die Marketingexperten nun verzweifelt nach Lösungen suchen. Achim Reuper, Director Sales von Arvato Systems, empfiehlt Marketers umzudenken. Er fordert ein Zusammenführen der Unternehmensdaten, die crossmediale Ansprache der Konsumenten, das Erstellen von Kundenprofilen und eine zielgerichtete Adressierung der Verbraucher. Seine Trendliste klingt, als hätte man sie vor Jahren schon einmal gelesen. Ausgeklammert werden alle Probleme, die mit dem Datensammeln und der Konsumentenansprache einhergehen. Von echten Lösungen sind die Fachleute offenbar meilenweit entfernt.
Vergleicht man die Unwägbarkeiten und Gefahren der digitalen Werbung mit denen der Massenmedien, schneidet Online schlecht ab. Wer Anzeigen in Zeitungen oder Magazinen schaltet, stellt nach Prüfung fest, dass die Anzeige tatsächlich erschien. Die Auflagen werden von der unabhängigen IVW kontrolliert. Plakatwerbung, ob aus Papier oder auf digitalen Screens, leidet weder unter Viewability-Problemen, noch besteht Gefahr, dass sie überwiegend von Roboter-Programmen gesehen wird. Schaltet man Werbespots im Fernsehen, wird die Ausspielung elektronisch aufgezeichnet. Zuschauer, die wegzappen, werden ohnehin nicht mitgezählt und die Zahl der Bierholer und Klogänger hält sich in Grenzen. Zudem ist erwiesen, dass viele den Großteil der Werbung akustisch wahrnehmen.
„So ätzend wird die Fernseh-Zukunft“
Sobald jedoch der Fernsehkonsum digital erfolgt, greifen dieselben Mechanismen wie bei der Onlinenutzung. Der Zuschauer ist identifizierbar und damit auch persönlich ansprechbar. Künftig werden wir beim Fernsehen ebenso von der Werbung getargeted und gestalkt wie im Netz. Fachleute nennen es „Addressable TV“. Das Computer-Magazin "Chip" zeigt sich darüber wenig begeistert und formuliert: „So ätzend wird die Fernseh-Zukunft“.
Die Werber selbst scheint das alles nicht zu berühren. Sie schielen längst auf den nächsten Buzz. Und der heißt „Snackable Content“. Seit der Einführung von 6-Sekunden-Spots auf YouTube und der Ankündigung von Facebook, dieses Format ebenfalls einzuführen, rasten die Kreativen völlig aus. Keinesfalls jedoch vor Entsetzen, sondern vor Begeisterung. Plötzlich glauben sie an eine intensivere Bindung zu jüngeren Verbrauchern durch 6-Sekünder als mit herkömmlichen Spotlängen.
Die Hörigkeit der Werber gegenüber Google und Facebook treibt immer seltsamere Blüten und beginnt physisch wehzutun. Es dauert nicht lang, dann erklären sie, dass 2-Sekünder tiefer ins Unterbewusstsein eindringen als 20-sekündige Werbefilme. Den Wahnsinn der zukünftigen Werbewelt mag man sich so lieber nicht vorstellen.
Online auf Messers Schneide
Es ist tatsächlich an der Zeit umzudenken. Wer an die Zukunft der digitalen Werbung glaubt, wovon die Besucher der Dmexco sicher vollends überzeugt sind, muss ihr einen Platz im Marketing-Mix geben, der mindestens so viel Werbewirkung verspricht, wie es alle anderen Medien seit Jahrzehnten tun. Es ist sicher nicht Display. Es ist nicht alleine Mobile. Und es sind ganz gewiss nicht 6-Sekunden-Spots bei Facebook. Die Zukunft der Online-Werbung steht auf Messers Schneide.
Die einzig richtige Lösung ist und bleibt die richtige Werbung (Content), im richtigen Augenblick (Relevanz) an die richtigen Menschen (Zielgruppe) in der richtigen Dosierung (Wirkung). Hierzu braucht es kreative, mediale und inzwischen auch umfassende technische Fertigkeiten.
Wenn die bevorstehende Dmexco hierfür neue Lösungen präsentiert, macht sie Sinn. Wenn sie nur neue Buzzwords produziert, ist sie am Ende. Ebenso wie die gesamte Online-Werbung.