Jahrein, jahraus erhält die Verbraucherzentrale Hamburg über 1000 Beschwerden von Verbrauchern. Aus den fünf häufigsten Beschwerden und den dreistesten Auswüchsen stellten sie die „Mogelpackungen des Jahres“ zur Wahl. In einer Online-Abstimmung votierten mehr als 26.000 Teilnehmer und kürten den unrühmlichen Sieger.
Schon im vergangenen Jahr waren die peinlichen Siegermarken keineswegs unbekannte, sondern ganz große Namen der Markenartikelindustrie. Zur absoluten Nummer 1 unter den Mogelpackungen wählten die Verbraucher damals Pampers-Windeln von Procter&Gamble, die durch ein fünffaches Reduzieren der Füllmenge wiederholt versteckte Preiserhöhungen durchzusetzen versuchten. Auf den weiteren Plätzen befanden sich Leerdammer von Bel, der Schokoriegel Lion aus dem Hause Nestlé und die Iglo-Mittelmeerküche.
Die Marketingverantwortlichen sollten wissen, dass sich derartige Negativ-Preise schädlich auf das Image auswirken und das Vertrauen in die Marken erheblich beschädigen. Schlimmstenfalls hat es sogar Auswirkungen auf Abverkauf und Marktanteil. Man sollte also meinen, dass sie daraus ihre Lehren ziehen und den offensichtlichen Betrug am Verbraucher stoppen. Doch weit gefehlt, wie wir sehen werden.
Versteckte Preiserhöhung um 84 Prozent
Kommen wir zu den Siegern dieses Jahres, die kürzlich den „blauen Brief“ der Verbraucherzentrale Hamburg erhielten. An erster Stelle - und damit Mogelpackung des Jahres 2015 - finden wir die bebe-Zartcreme des internationalen Kosmetikgiganten Johnson & Johnson. Fast ein Drittel der Verbraucher votierten für die Creme, die durch veränderte Füllmengen um bis zu 84 Prozent teurer geworden war. Auf den weiteren Plätzen: Dentagard von Colgate-Palmolive, Herta-Schinken von Nestlé (erneut!), Kraft Heinz Ketchup und Jacobs Kaffee-Kapseln Latte Macchiato. Im letzteren Fall bemängelten die Verbraucherschützer nicht nur die Reduzierung der Füllmenge, sondern gleich auch die Verwendung von „Mogelmilch“. Bravo.
Die „Mogelpackung des Jahres“ wird erst seit 2013 gekürt. Die bereits seit zehn Jahren geführte Mogelpackungsliste der Verbraucherzentrale enthält über 1000 Produkte. Daran erkennt man, dass es keinesfalls „Ausrutscher“ der Markenartikelindustrie sind, die wir hier zu beklagen haben, sondern eine ständige und bewusste Irreführung der Verbraucher, die bezeichnenderweise von den größten Konzernen und ihren Marken angeführt wird.
Mangelhaft ist auch die Intelligenz der Hersteller
Dass zeitgleich die Stiftung Warentest in ihrer jüngsten Bewertung von 26 Olivenölen der höchsten Güteklasse „nativ extra“ zum erschreckenden Ergebnis kommt, dass jedes zweite dieser Öle mangelhaft ist, überrascht inzwischen nicht mehr. Auch nicht, dass einige der Produkte als „gesundheitlich bedenklich“ eingestuft wurden. Dass in fünf der getesteten Produkte Mineralöl in hoher Dosis festgestellt wurde, bedarf keines Kommentars. Vier sind mit dem möglicherweise krebserregenden Kohlenwasserstoff-Typ MOAH belastet. Die Verbraucherorganisation Foodwatch forderte Hersteller und Händler umgehend zum Rückruf der belasteten Olivenöle auf, die ein „ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko“ darstellten.
Die Gesundheit des Kunden scheint unwichtig zu sein
Doch damit nicht genug: Als die Zeitschrift „Öko-Test“ Diät-Shakes aus Apotheken, Drogerien und Onlineshops aktuell unter die Lupe nahm, hagelte es schlechte Noten. Zwölf von 16 Produkten erhielten ein „ungenügend“ - auch die am stärksten beworbene Marke Almased. Die Tester kritisierten Schad- und Süßstoffe, Gen-Soja, künstliche Aromen und eine insgesamt schlechte Information der Konsumenten. Bei falscher Anwendung könnten Diät-Shakes zu gesundheitlichen Problemen führen. Besonders negativ schlug bei der Bewertung von Öko-Test zu Buche, dass die Hersteller die Auflagen der Diätverordnung schlichtweg missachteten.
Die Gesundheit ihrer Kunden scheint vielen Herstellern wenig am Herzen zu liegen. Das ist nicht nur betriebswirtschaftlich erstaunlich, sondern auch von der Markenführung her: Ein Produkt, das krank macht, werden die wenigsten Verbraucher wieder kaufen. Hier scheint es doch massiv an der Intelligenz der Unternehmenslenker zu mangeln.
Den Kunden absichtlich Schaden zufügen
Dass große und bekannte Markenartikler ihre Kunden schädigen, gleichgültig ob nur ihren Geldbeutel oder gar ihre Gesundheit, ist nicht hinnehmbar. Wenn diese Kolumne immer wieder postuliert, dass moderne Marken sich um die Sinnhaftigkeit ihrer Produkte und ihrer Kommunikation kümmern müssen, dann wurde das von vielen Marken offenbar gründlich missverstanden. Der Sinn einer Marke kann - das muss offenbar einmal so deutlich ausgesprochen werden - nicht darin liegen, den Kunden Schaden zuzufügen.
Bei der Vielzahl der Skandale kann wohl kaum noch von zufälligen, unglücklichen Zufällen die Rede sein. Vielmehr scheint eine bewusste und absichtliche Schädigung der Verbraucher aus Profitgier gang und gäbe zu sein – nicht anders sind inzwischen auch die Hintergründe des VW-Skandals einzuschätzen.
Negativ-Preise, Betrügereien und Skandale wirken sich negativ auf den Umsatz aus. Der Absatz von VW ist tatsächlich eingebrochen. Konsumgüterriesen wie Procter&Gamble, Colgate-Palmolive, Johnson & Johnson, Nestlé und Co. würden niemals zugeben, dass die äußerst peinliche Kürung zur Mogelpackung des Jahres zu Umsatzeinbußen führte, beklagen jedoch unisono die schwindende Kraft ihrer Marken. Schuld daran sollen die billigen Handelsmarken sein - und damit letztendlich die Verbraucher selbst, die nur auf den Preis achten. Nein, schuld sind nicht die Konsumenten, sondern ganz offensichtlich die ungenügende Qualität und mangelhafte Führung vieler Marken. Sie haben das Vertrauen der Kunden nicht verdient.
„Wir stellen den Verbraucher in den Mittelpunkt“, tönt es seit Jahren aus den Vorstands- und Marketingetagen der Markenhersteller. Daran glaubt inzwischen niemand mehr, schon gar nicht die Verbraucher. Dazu wurden und werden sie zu häufig enttäuscht. Besser wäre es, die Konzerne würden kleinere Brötchen backen. Und beispielsweise damit beginnen, ihre Kunden wenigstens nicht weiter zu schädigen.