Werbesprech

Marketing leidet unter Burnout

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Marketing: Der Feind in meinem Bett

Doch die Probleme sind weitaus vielschichtiger. Die Bestsellerautorin Anne M. Schüller („Die Orbit-Organisation“) macht drei Fehlentwicklungen im Marketing dafür verantwortlich, dass Marketingleute sich eher zum Feind als zum Freund der Konsumenten gemacht haben.

Erstens: Der Marketer habe sich zur Werbeschleuder entwickelt. „Gute Kommunikation will Menschen betören – und nicht ihr Vertrauen zerstören. Nichtsdestotrotz meinen Werbeleute noch immer, sie müssten uns zuballern, damit ihre Botschaften in unseren Köpfen landen. Dreist stalkt man uns, klaut unsere Daten, stört uns mit aufdringlichen Bannern, bietet nutzlosen Massencontent. Kaum wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben, rennt die ganze Meute los, um die Konsumenten damit zu plagen. So haben die Marketer uns zu Werbehassern gemacht.“

Zweitens: Marketer haben sich zu Datenjunkies entwickelt. „Die meisten Marketer haben sich den Kunden völlig entfremdet. Vielmehr haben sie Messpunkte aus ihnen gemacht. Und den Datensalat, der auf ihren Dashboards erscheint, halten sie für die ganze Wahrheit. Doch das Kaufverhalten der Konsumenten ist bei weitem nicht so gläsern, wie uns die Software-Industrie vorgaukeln will.“

Und drittens haben sich Marketer zu in Silos gefangenen Abteilungsdenkern entwickelt. „Unternehmensintern fallen die kundenrelevanten Aktivitäten meist unkoordiniert auseinander. Hier die Werbung, da das Callcenter, dort die Pressearbeit. Die Online-Spezialisten machen komplett ihr eigenes Ding. Solch eine Aufgaben-Fragmentierung ist aus Kundensicht katastrophal.“

Marketing und Werbung im Burnout-Modus

Der amerikanische Werbekritiker Bob Hoffman nennt es das „Werbe-Jahrzehnt der Täuschung“. Wir besitzen, schreibt Hoffman, immer mehr Marketing-Tools und Werbe-Plattformen. Wir haben personalisierte Werbung und neue Dialogmöglichkeiten mit dem Endverbraucher. Und dennoch ginge das vergangene Jahrzehnt als das enttäuschendste aller Zeiten in die Marketing-Geschichte ein. Marketing und Markenwerbung lägen am Boden. Wir haben, meint Hoffman, eine ganze Dekade verschlafen und verloren.

Thomas Strerath, Ex-Vorstand der Agentur Jung von Matt, macht das Marketing verantwortlich für die Misere, in der sie steckt: „Agenturen waren schon immer der schwächste Partner im Marketing-Triumvirat von Marken, Medien und Agenturen. Die Kunden haben den Kreativ-Häusern in den Einkaufsabteilungen erst ihren Zauber und dann den Profit geraubt. Das bringt nicht nur die Agenturen an den Rand ihrer Existenz, sondern oft stoßen auch die eigenen Mitarbeiter im Marketing an die Grenze des Möglichen.“

Passend hierzu ereilt uns die Nachricht, dass 65 Prozent der Werber laut einer US-Umfrage unter Burnout leiden. Den Negativrekord hält die Werbeagentur McCann mit einer Burnout-Rate von 77 Prozent. Als arbeitnehmerfreundlichste Agentur gilt BBDO mit einer Rate von „nur“ 56 Prozent. Gute Zeiten für Werber sehen anders aus. So können keine Konzepte und Kampagnen entstehen, die Verbraucher begeistern. Mit den Werbern leidet die ganze Marketingbranche unter Burnout.

Eine brillante Zusammenfassung des Problems liefert Christof Baron, einer der bekanntesten Media-Manager Deutschlands, in einem Essay zur kritischen Bilanz von 25 Jahren Online-Werbung: „Erkenntnisse werden auf dem Scheiterhaufen des Buzzwords Transformation geopfert.“

Fazit: Der falsche Glaube an die Kraft von Big Data und ein Übermaß an Onlinewerbung hat dem Marketing einen immensen Schaden zufügt. Noch nie waren wir weiter vom Verbraucher entfernt. Unsere Kampagnen sind so laut, aber gleichzeitig so unwirksam wie nie zuvor. Bevor wir ein weiteres Jahrzehnt an Google und Facebook, an Adtech und Online-Performance verlieren, müssen die 20er Jahre der Marke und dem Fokus auf die Konsumenten gehören. 

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