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Warum Amazon, Google & Co. nicht die wertvollsten Marken sind Quelle: dpa

Nein, Amazon ist nicht die wertvollste Marke der Welt!

Rankings und Börsenwerte wollen uns weismachen, dass Amazon & Co. zu den wertvollsten Unternehmen der Welt zählen. Würde man jedoch andere Maßstäbe ansetzen, kämen sie nicht einmal unter die Top 100.

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Amazon bleibt aktuell die wertvollste Marke der Welt. Zu diesem Ergebnis kommt das Global Ranking der Unternehmensberatung Brand Finance bei der Bewertung des Markenwertes großer, internationaler Konzerne. Dabei werden die Markenwerte „auf Grundlage der Fragestellung berechnet, welche Lizenzgebühren ein Unternehmen zu bezahlen hätte, wenn es die Marke nicht in Besitz hätte“.

Amazon konnte dabei seinen Markenwert um 25 Prozent auf knapp 188 Milliarden Dollar steigern und verteidigt so seine Spitzenposition vor Apple und Google. Während Apple (154 Milliarden Dollar) und Google (143 Milliarden Dollar) ihre Positionen auf dem Treppchen mit Markenwertsteigerungen von 5 beziehungsweise 18 Prozent verteidigen konnten, machte Microsoft dank dem größten Plus in den Top 10 (plus 47 Prozent) zwei Plätze gut und springt mit einem Wert von 120 Milliarden Dollar auf Position vier. Auf Platz sieben liegt Facebook. Stärkste deutsche Marke im Ranking ist Mercedes-Benz auf Platz 13.

Dagegen bewertet das Ranking von Interbrand alljährlich die finanzielle Performance sowie die Rolle und Stärke der Marken. Im Oktober 2018 kürte man hier Apple zur wertvollsten Marke der Welt. Amazon liegt in diesem Ranking nur auf Platz drei: „Der Onlinehändler steigert seinen Markenwert um 56 Prozent. Damit verzeichnet Amazon das größte Wachstum aller Best Global Brands in diesem Jahr sowie das einer einzelnen Marke seit Facebook im Jahr 2014. Das spektakuläre Wachstum dieser Marke gründet auf ihrem Erfolg in der Neudefinition der Gesetze des Handels. Amazon ist führend in Bezug auf Benutzer- und Verbrauchererlebnis sowie Innovation und Reaktionsfähigkeit.“

Von Milliarden zu Billionen

Geht es nach dem reinen Börsenwert wetteifern Amazon, Microsoft und Apple seit Jahren um die Spitzenwerte an der Wall Street. Amazon hatte dem Softwareriesen Microsoft im Dezember 2018 vorübergehend die Spitzenposition als wertvollstes börsennotiertes Unternehmen weggeschnappt. Der Internet-Händler kam mit einem Kursaufschlag von fünf Prozent kurzzeitig auf eine Marktkapitalisierung von 865 Milliarden Dollar. Erst wenige Tage zuvor hatte Microsoft den iPhone-Hersteller Apple als wertvollstes Unternehmen entthront. Im vergangenen August hatte Apple als erstes US-Unternehmen noch die Marke von einer Billion Dollar Börsenwert geknackt.

Wir alle kennen und beobachten regelmäßig diese astronomischen Zahlen und ihre erstaunlichen Bewegungen in alle Himmelsrichtungen. Die Wirtschaftsnachrichten sind jede Woche voll davon. Doch was sagen sie über den „Wert“ einer Marke oder eines Unternehmens wirklich aus?

Nichts, wie ich finde. Der Begriff Wert bemisst sich nämlich keinesfalls nur am Geldwert sondern auch an „moralisch für gut betrachtete Eigenschaften oder Qualitäten“ sowie an „gesellschaftlichen Handlungsanweisungen für das Sozialverhalten“. Solche Werte schwanken nicht wie die Börsenkurse, sondern besitzen eine hohe Stabilität - einen im Wortsinn hohen Wert also. Daher sollten sie als mindestens so wichtig für die Entwicklung eines Unternehmens erachtet werden wie deren Aktienkurse.

Ein absurder Zirkus

Da die Mehrzahl der Endverbraucher, die am Ende für den Markenwert und damit auch für den Börsenwert verantwortlich sind, dies ebenso sehen, wird es Zeit, in diesen absurden Zirkus um Milliarden- und Billionenzahlen hineinzugrätschen. Stellen wir doch einmal die Frage nach tatsächlichen Werten und bewerten die globalen Konzerne neu.

Ein gesellschaftlicher Wert, den niemand ernsthaft bezweifeln würde, ist das Zahlen von Steuern. Steuern dienen der Allgemeinheit und verschaffen einer Gesellschaft Bildung und Wohlstand. Jeder von uns zahlt Lohn- oder Einkommensteuer. Neben der Mehrwertsteuerpflicht werden selbstverständlich auch die Gewinne von Unternehmen besteuert. Die Abgabenquote liegt in Deutschland bei etwa 40 Prozent.

Die Liste der Unternehmen, die kaum oder wenig zu den Steuereinnahmen beitragen, wird - wie jeder weiß - angeführt von genau den Unternehmen, die ob ihrer astronomischen Marken- und Börsenwerte allgemein gefeiert werden: Amazon, Apple, Google, Facebook, Starbucks, McDonald‘s und viele andere mehr. Der Trick, mit dem sie Steuerzahlungen vermeiden, ist simpel. „Die Zeit“ schreibt über die Rechenkünstler: „Das Geld wird solange zwischen Ländern und Sparten hin und her geschoben, bis für die Finanzämter nur noch ein spärlicher Rest übrig bleibt.“

Das ganz große Thema des Marketingjahres 2019

Dadurch zahlt ein Unternehmen wie Amazon in Europa Steuern im Promille-Bereich. Die britische Zeitung „The Guardian“ rechnet vor, dass der US-Onlineriese in Europa im Jahr 2016 nur 16,5 Millionen Euro Steuern abgeliefert habe. Das entspräche einer Steuerlast von genau 0,07 Prozent. Selbst der Popstar Ed Sheeran zahlt in seiner Heimat mehr Steuern als Amazon und Starbucks.

Geht es um Steuern, wird laut „FAZ“ aus einem Weltkonzern wie Apple plötzlich ein Mittelständler: „62 Milliarden Dollar Gewinn hat Apple im vergangenen Jahr weltweit gemacht, es ist das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Erde. In Deutschland aber gibt sich der Konzern ganz klein. Rund 25 Millionen Euro sind im vergangenen Jahr an den deutschen Fiskus geflossen.“

Ganz ähnlich sieht es beim Umgang mancher dieser Konzerne mit ihren Mitarbeitern aus. Die Arbeitsbedingungen insbesondere bei Amazon stehen immer wieder in der Kritik. So kundenfreundlich sich der Online-Versender auch geben mag, für seine Arbeitsbedingungen steht er ohne Unterlass am öffentlichen Pranger. Streiks sind an der Tagesordnung.

Das Thema Datentransparenz ist nur eines von vielen weiteren, die die indiskutable Haltung der Online-Konzerne verdeutlichen. Hier heißt das schwärzeste Schaf Facebook. Wenn schon Mediaagenturen („Es wird Zeit, dass wir kollektiv Stellung beziehen gegen das ungeheuerliche Verhalten von Facebook“) zum Boykott von Facebook-Werbung aufrufen, dann hat es der Social Media-Riese mit dem Missbrauch seiner Nutzerdaten zu weit getrieben.

Haltung ist Thema des Jahres

Das alles ist mehr als fragwürdig. Nicht ohne Grund ist daher „Haltung“ das ganz große Thema des Marketingjahres 2019. Die Diskussion um einen Spot der zum Procter & Gamble-Konzern gehörenden Rasierermarke Gillette spricht Bände. Auch mit seinen Marken Always und Lenor zeigt P&G, dass ihm Haltung am Herzen liegt.

Nicht ohne Grund fordert die Management-Bestsellerautorin Anne M. Schüller eine „Renaissance der Menschlichkeit“ angesichts der Digitalisierung unserer Gesellschaft. Und Miriam Meckel, Herausgeberin der Zeitschrift „Ada“, erklärt: „Wenn künstliche Intelligenz unsere Aufgaben übernimmt, wird Menschlichkeit unser neues Alleinstellungsmerkmal.“ Es ist höchste Zeit umzudenken.

Unternehmen müssen wir ebenso bewerten wie Städte. In den allseits beliebten Städterankings fließt mitnichten das Einkommen der Bewohner ein, sondern qualitative Faktoren wie Lebensqualität, Sicherheit, Gesundheitssystem und Bildungsangebot. Würden also Maßstäbe und Werte wie Steuerehrlichkeit, respektvoller Umgang mit Menschen, Nachhaltigkeit, Datentransparenz und Haltung mit in die Bewertung von Unternehmen einfließen, wären keine der genannten Firmen unter den Top 100. Und Amazon wäre keinesfalls die „wertvollste“ Marke der Welt.

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