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Oliver Samwer Quelle: REUTERS

Nein, Herr Samwer, Marketing ist nicht am Ende!

Nachdem Zalando 250 Marketingstellen streicht, prophezeit nun auch Oliver Samwer einen Kahlschlag im Marketing. Menschen würden durch Künstliche Intelligenz ersetzt. Die Diskussion ist eröffnet – und sie führt zu abenteuerlichen Fehleinschätzungen.

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Die Nachricht, dass der Online-Versender Zalando 250 Marketing-Spezialisten durch Algorithmen ersetzt, schlug wie ein Blitz in der Branche ein. Der Online-Händler will im Marketing künftig stärker auf Technologie setzen. Eine Zalando-Sprecherin: "Im letzten Jahr haben wir bereits damit begonnen, Tech überall ins Unternehmen zu integrieren. Nun werden auch alle Marketingabteilungen in den sogenannten Zalando Fashion Store integriert, das Business bei Zalando, das den größten Consumer Touchpoint darstellt." Gründer Robert Gentz beteuert: „Wir haben sehr lange und gut überlegt, aber es ist der richtige Schritt für uns.“

Seit Jahren ist die Rede davon, dass Künstliche Intelligenz („KI“) und Algorithmen Arbeitsplätze überflüssig machen, doch Marketing und Werbung glaubten, davon kaum betroffen zu werden. Nun trifft es sie wie ein Schlag ins Genick - und die Einschläge kommen immer näher. Nächster ist Rocket-Internet-Chef Oliver Samwer, der einen digitalen Kahlschlag im Marketing prophezeit.

Samwer hält die angekündigten Massenentlassungen bei Zalando nur für den Anfang einer langen Entwicklung. „Ein Großteil des Marketings kann schon heute automatisiert gesteuert werden. Künstliche Intelligenz und Automation werden in Zukunft weiter viele Menschen ersetzen“, so Samwer. Er glaubt, dass es bald keine SEO- (Search) oder Social Media-Manager mehr geben werde.

In diesen Bereichen kommt KI schon zum Einsatz
Zalando setzt Künstliche Intelligenz beim Erkennen von Kleidungsstücken auf hochgeladenen Fotos ein. Quelle: dpa
Facebook setzt vielerorts auf Künstliche Intelligenz. Quelle: dpa
Amazon greift unter anderem auf KI zurück, wenn es um Vorhersagen geht. Quelle: dpa
Sprachassistenten arbeiten häufig mit KI Quelle: dpa
Vielerorts kommt KI bereits bei Fintechs zum Einsatz. Quelle: dpa
KI ist Teil der Digitalisierungsbemühungen in der Landwirtschaft. Quelle: dpa
Künstliche Intelligenz wird beim autonomen Fahren eine zentrale Rolle spielen und das Gehirn des Autos sein. Quelle: dpa

Nun ist Oliver Samwer kein ausgewiesener Marketing-Experte. Denn mit seiner Aussage beschwört er keinesfalls den Untergang des Marketings generell, sondern die Automatisierung vereinzelter Ausprägungen der Werbebranche. Wie ausgerechnet „Social“ Media ohne Menschen funktionieren soll, bleibt ein Rätsel. Es ist ein Widerspruch in sich. In fähige Menschen, die die immer zahlreicher werdenden Instrumente des Marketings beherrschen und steuern, werden die Unternehmen - im Gegenteil - in Zukunft wohl eher mehr investieren müssen.

Das ZDF-Magazin „Frontal 21“ nennt Samwer einen „dreisten Kopierer“. Spiegel Online beschreibt sein Unternehmen wahlweise als „Rakete ohne Kurs“ oder den „deutschen Mark Zuckerberg“ als Unternehmer „Im Sturzflug“. Mit dem eigenen Marketing hapert es im Samwerschen Imperium gewaltig. Ohnehin gingen alle Prophezeiungen, insbesondere der digitalen Jünger, ordentlich daneben. Bill Gates hatte 1990 das Ende der Zeitungen und Zeitschriften bereits für das Jahr 2000 vorausgesagt. 2008 war es Steve Ballmer, Chef von Microsoft, der die mutige Prophezeiung ausstieß: „In zehn Jahren gibt es keine Zeitungen und Magazine mehr.“ Beide gelten ohne Zweifel als genial, aber ausgewiesene Medienexperten sind sie nachweislich nicht.

Beispiele für die erfolgreiche Anwendung von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz kommen immer wieder aus der Medizin und der Verkehrsplanung, allen voran beim selbstfahrenden Auto. Doch das Beispiel des autonomen Fahrens zeigt, dass die Technik noch in den Kinderschuhen steckt: Falsche KI-Interpretationen sind nach wie vor eine häufige Ursache für Unfälle.

KI macht aus müden Kickern keine Weltmeister

Schon beim Fußball scheitert die Technologie. Zusammen mit SAP setzt der DFB seit der WM in Brasilien eine Software ein, die in nur zehn Minuten Spielzeit mehr als sieben Millionen Daten analysiert. Was angeblich zum Titelgewinn 2014 verhalf, scheint in diesem Jahr bei der WM in Russland auf tragische Weise versagt zu haben. Big Data und KI machen aus unmotivierten Kickern eben doch keine Weltmeister. Woraus man das Fazit ziehen kann: Ohne den Menschen, seine Kreativität, Impulsivität, Motivation und Empathie geht es offenbar doch nicht.

Auch die Investmentbank UBS lag bei der WM in Russland auf peinliche Weise daneben. Sie hatten 18 Analysten 10.000 Computer-Simulationen durchführen lassen, um den Weltmeister zu ermitteln. Das Ergebnis: Deutschland. Es ist schon erstaunlich, dass sich ausgerechnet Banken eine solche Blöße geben. Denn diese Blamage spricht nicht unbedingt für besondere Expertise beim Einsatz von Daten und Software.

Was man mit Künstlicher Intelligenz und Algorithmen noch alles anstellen kann, zeigte uns dieser Tage Facebook einmal mehr. Sie bemühen sich derzeit um ein Patent für eine Methode, mit deren Hilfe sie vorhersagen können, wann unsere Freunde sterben. Das berichtet die New York Times. Man möchte schreiend davonlaufen.

Emotionsloses Marketing

„Als vor drei Jahren der erste Roboter-Kreativdirektor seinen Dienst bei der japanischen Niederlassung der Agentur McCann-Erickson aufnahm, war es ein Gimmick, der der Agentur weltweite PR bescherte. Seitdem hat sich eine Menge getan, und künstliche Intelligenz ist zu einem beherrschenden Thema in Werbung und Marketing geworden“, schreibt Holger Mai, Managing Director von Accenture Applied Science.

KI könne das Kundenerlebnis verbessern, glaubt man bei Accenture. Noch ist das Gegenteil der Fall: Der Internet-User bekommt häufig Angebote für Produkte, die er gerade gekauft hat, längst besitzt oder gar nicht gebrauchen kann. Um hier zu optimieren, müssten mehr Daten gesammelt und schlauer ausgewertet werden. Solange aber, schrieb ein Twitterer, Amazon nach dem Kauf eines Kühlschranks weitere Kühlschränke anbietet, habe er keine übertriebenen Ängste vor KI.

Bezeichnenderweise greift auch Accenture zu Beispielen aus der Medizin, um die Vorzüge von KI zu demonstrieren. Beispiele aus dem Marketing sind Mangelware und die Gefahren lauern überall: „Eine Gefahr beim Einsatz im Marketing besteht darin, dass die KI keine eigene Markenstimme besitzt und stattdessen in einer austauschbaren, emotionslosen Tonalität daherkommt, die einer x-beliebigen Marke zugeordnet werden kann.“

Unaufgeregtere Töne stimmt Dirk Ploss, Head of Global eCommerce bei Beiersdorf im Interview mit Johannes Ceh an. Er betont, dass durch KI freigesetzte, menschliche Ressourcen für sinnvollere Dienste mit höherer Wertschöpfung einsetzt werden könnten. Kritiker werden dagegenhalten, dass auf Gewinn ausgerichtete Unternehmen jede Chance nutzen werden, um die teure, menschliche Arbeitskraft durch Maschinen zu ersetzen.
Damit wäre das Fiasko, das der Philosoph Richard David Precht in seinen aktuellen Vorträgen und Interviews anstimmt, perfekt. Und Marketing wie Werbung wären ebenso zum Untergang verdammt.

Empathie statt nur KI

Christian Rätsch, CEO von Saachti&Saatchi stimmt versöhnlichere Töne an. Er begrüßt die Vorzüge der Marketing-Automatisierung bei einer zielgenaueren Kommunikation, kommt aber gleichwohl zum Fazit: „Die Digitalisierung schafft eine neue Nähe zum Kunden. Jedoch bedarf es neben der technologischen Brücke auch einer emotionalen Bindung. Um diese zu erreichen muss Werbung neu interpretiert werden. Weniger als Information, denn als kommunikativer Mehrwert. So verstanden… sorgt sie bei der Fan-Gemeinde der Marke dafür, dass sie ihr Bewegungspotenzial ausspielt und durchs Netz getragen wird.“

Rätsch hat recht. Richtig ist einzig, in beides zu investieren: In Technologie und in Menschen. Die emotionale Bindung zwischen Menschen und Marken können Algorithmen nicht erzeugen. Der Künstlichen Intelligenz fehlt es an der Empathie, die noch auf lange Zeit nur Menschen erzeugen können. Zalando und Oliver Samwer werden es als Erste merken.

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