Werbesprech
TV-Werbung Quelle: dpa

Nie war die Botschaft so wertlos wie heute

Die Menge an Werbebotschaften, mit denen wir täglich konfrontiert werden, steigt unaufhörlich. In gleichem Maß sinkt die Aufmerksamkeit. Die Antwort der Werber – noch mehr Online-Werbung – ist die dümmste Lösung.

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Es ist das größte Problem, mit dem Marketing heute zu kämpfen hat. Nicht Big Data, Native Advertising, Customer Centricity, Künstliche Intelligenz oder die Datenschutz-Grundverordnung, sondern schlicht und einfach Aufmerksamkeit. Forscher nennen es Werbeblindheit. Der Verbraucher sieht nicht mehr hin. Oder – unser Gehirn ist nun einmal ein Wunderwerk – sie sehen zwar hin, nehmen aber nichts wahr.

In den 80er Jahren, vor der Einführung des privaten Rundfunks und Fernsehsendern wie RTL, Pro7 und SAT.1, sahen die Verbraucher jeden Tag etwa 650 bis 850 Werbebotschaften. Zur Jahrtausendwende stieg die Zahl nach Meinung der Experten auf täglich 2.000 bis 3.000. Mit dem Einzug der Internet-Werbung erhöhte sich die Zahl der täglichen Werbebotschaften ab 2006 bereits auf 5.000.

Inzwischen gehen die Fachleute davon aus, dass jeder von uns heute mit 10.000 bis 13.000 Werbebotschaften konfrontiert wird. Jeden Tag.

Die Werbeblindheit, übrigens, tritt angeblich bereits bei einer Dosis von 3.000 bis 5.000 Werbebotschaften pro Tag und Konsument ein. Die Werbung schafft sich quasi selbst ab.

Werbung verliert jedes Jahr an Wert

Die Flut an Werbung, die uns täglich zugemutet wird, hat sich demnach in den letzten 18 Jahren vervierfacht. Natürlich kann niemand diese Unmenge an Werbung aufnehmen. Sie nervt nicht nur, sie verpufft. Weitaus schlimmer jedoch für die Werbungtreibenden: Sie wird mit jedem Jahr wertloser. Und schon dadurch zwangsläufig teurer.

Wer nun annimmt, dass die Werber für überwiegend wertlose Kontakte zu ihren Zielgruppen auch weniger zu zahlen bereit sind, sieht sich getäuscht. Die Kosten für Suchmaschinenwerbung sind innerhalb von nur zwei Jahren „um sage und schreibe 47 Prozent angewachsen“, wie der Branchendienst „Onlinehändler-News“ schreibt. Und der Preis für 1.000 Kontakte im TV, nach wie vor das Leitmedium der Werbung, ist innerhalb der letzten 10 Jahre ebenfalls um 50 Prozent gestiegen. Dieses Phänomen – immer mehr für immer weniger Wert zu zahlen – dürfte unter allen Industrie-Branchen seinesgleichen suchen. Hier noch von einem „Return on Investment“ zu sprechen, gleicht einem Witz.

Ökonomische Lachnummer

An dieser ökonomischen Lachnummer sind die Werber sogar selbst schuld. Die 780.000 eingetragenen Marken in Deutschland investieren zwar schon seit Jahren nicht mehr Geld in Werbung, dafür jedoch immer mehr in billige Werbung im Internet.

Ihre Antwort auf die nachlassende Aufmerksamkeit ist also tatsächlich: mehr Internetreklame. Davon profitieren jedoch nicht die Werbungtreibenden selbst, sondern nur einige, wenige US-Internetgiganten.

Bei der aktuellen Ermittlung der wertvollsten Marken der Welt durch Interbrand blieb Apple mit einem Zuwachs von 16 Prozent die Nummer eins, gefolgt von Google und erstmals Amazon auf Rang drei mit einem Zuwachs von astronomischen 56 Prozent. Müßig zu erwähnen, dass der weltweit größte Online-Händler längst auch ins lukrative Werbegeschäft eingestiegen ist.

Während im Ranking fast alle Marken zulegten, verlor unter den Top Ten einzig Facebook, dem die deutschen Werber dennoch immer mehr ihrer Werbemillionen anvertrauen: „Das erfolgsverwöhnte soziale Netzwerk muss zum ersten Mal nach fünf Jahren einen Rückgang beim Markenwert hinnehmen. Zwar ist das Minus… kein Einbruch, aber die Skandale der jüngsten Vergangenheit hinterlassen doch ihre Spuren“, schreibt das Branchenmagazin „Horizont“. Sie haben beispielsweise dazu geführt, dass 26 Prozent der amerikanischen Nutzer ihre Facebook-App im vergangenen Jahr löschten.

Der jüngste Hackerangriff auf 50 Millionen Facebook-Accounts wird das Vertrauen in die weltweit größte Social-Media-Plattform wohl kaum festigen. Auch in Deutschland wurden zahlreiche Nutzer aus ihren Konten ausgeloggt. Derweil blamierte sich Facebook damit, nach dem Angriff Meldungen der Nachrichtenagentur AP und des britischen Guardian zu blockieren: „Wenn Nutzer versuchten, Artikel über den Hackerangriff zu teilen, tauchte eine Meldung von Facebook auf, dass es sich dabei wahrscheinlich um Spam handelte.“

Ein neues Internet - ohne Werbung

Wenn selbst Jan Böhmermann in seiner Keynote auf dem Gründerfestival Bits & Pretzels die Zerschlagung von Google und Facebook fordert, ist das Thema wohl bald in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ernster wird Silicon Valley jedoch eine Initiative nehmen müssen, die der WWW-Erfinder Tim Berners-Lee ankündigte. Er stellt das Konzept des Internets komplett auf den Kopf und arbeitet an einer dezentralisierten Plattform namens „Solid“, in dem alle Apps, Funktionen, vor allem aber die anfallenden Daten beim einzelnen User verbleiben. Berners-Lee ist es schon seit Jahren leid mit anzusehen, dass Google und Facebook aus seinem Internet eine Überwachungsmaschinerie gemacht haben. “We have to do it now,” sagt der Internet-Pionier, “It’s a historical moment.”

Wenn also die bevorstehende E-Privacy-Verordnung das Tracking der User zu kommerziellen Werbezwecken nicht verhindert, dann wird spätestens Berners-Lees „Solid“ es gänzlich unmöglich machen.

Die Werbebranche steht vor harten Zeiten. Oder positiv betrachtet: Es stehen bessere Zeiten für die Verbraucher an. Das Ende des digitalen Werbe-Schrotthaufens liegt in greifbarer Nähe und die Werber wären gezwungen, wieder auf teurere Werbekanäle auszuweichen. Der unaufhaltsamen Zunahme des täglichen Werbemülls wäre ein jähes Ende gesetzt.

Würden sich die angeblich so Kunden-zentrierten Werber mit der Frage beschäftigen, welche Medien die Verbraucher tatsächlich nutzen und für welche sie mehr Geld auszugeben bereit sind, würden sie ihr blaues Wunder erleben. Genau das hat der „Trendmonitor 2018“ soeben getan. Das Ergebnis: Die Mehrheit der Verbraucher will in Zukunft für Medienprodukte noch tiefer in die Tasche greifen. An erster Stelle auf der Einkaufsliste stehen jedoch keinesfalls Bezahlfernsehen oder Musik-Streaming, sondern… Bücher!

Dass die Menschen alles tun, um der Werbung zu entgehen, ist nicht neu. Dass mehr als 40 Prozent der Online-User Adblocker installiert haben, spricht Bände. Auch dass 56 Prozent sagen, die meiste Online-Werbung beleidige ihre Intelligenz. Wenn sie nun vermehrt zu Büchern (ohne Werbung) greifen, dürfte es zumindest die Herzen der Feuilletonisten höherschlagen lassen.

Eine schallende Ohrfeige

In dieser Situation sind Mediaagenturen, die Werbekunden bei der Wahl der Kommunikationskanäle beraten, leider ein Teil des Problems, jedenfalls keine große Hilfe. Im Gegenteil: In den USA gerieten die multinationalen Agenturholdings aktuell erneut ins Visier des FBI.

Untersucht werden offenbar deren Praktiken beim Einkauf der Medienplätze, insbesondere der digitalen Medien sowie beim programmatischen Einkauf. Dass Mediaagenturen ihren Kunden dabei Rabatte vorenthalten, heißt es in einem Bericht des Wall Street Journal, sei zwar in Europa „gängige Praxis“, würde in den USA jedoch „skeptisch“ gesehen. Eine schallendere Ohrfeige für die Werbekunden hierzulande hat es wohl noch nie gegeben. Zumal ein Großteil der europäischen Big Spender amerikanische Wurzeln besitzt.

Das Thema Werbung und Aufmerksamkeit ist um einiges komplexer geworden. Doch eines wird immer klarer: Die Lösung des Dilemmas finden die meisten Werbungtreibenden nicht in digitalen Werbekanälen. Denn sie sind das Problem. 

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