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Parteienwerbung auf dem Prüfstand

Zur bevorstehenden Bundestagswahl wird die Werbung der Parteien unsere Medienwelt massiv dominieren. Aber wie gut ist sie wirklich? Hält sie einer Überprüfung stand?

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Die fortwährend gleiche Frage wird in der Werbebranche anlässlich jeder großen Wahl heiß diskutiert: Funktioniert Werbung für eine Partei ebenso wie für Autos oder Tierfutter? Folgt sie den gleichen Gesetzen? Machen es die Parteienwerber besser oder schlechter als die Markenwerber? Und: Sind Parteien überhaupt Marken?
Die Antwort ist simpel: ja natürlich, wenngleich mit einigen Unterschieden. Die großen Parteien benötigen keine kommunikative Arbeit an ihrem Bekanntheitsgrad. Jeder kennt sie: CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP, Linke. An kaum einem Tag des Jahres fehlen sie in der Berichterstattung der Print-, TV-, Radio- und Onlinemedien. Ihre Bekanntheit liegt auf einem Niveau, von dem Konsummarken nur träumen können.

HipHop im Bundestag

Ganz anders sieht es für viele der kleinen Parteien aus, die zur Bundestagswahl 2021 zugelassen wurden. Kennen Sie „Menschliche Welt“, „Gartenpartei“, „Liberale Demokraten“, „Gesundheitsforschung“, „Bergpartei“ oder gar „Die Urbane. Eine HipHop Partei“? Um bundesweit bekannt zu werden, fehlt ihnen das Geld.

Für alle Parteien gilt unabhängig von ihrer Bekanntheit, dass sie die Inhalte ihrer Politik unters Volk bringen müssen. Sie müssen das Wahlvolk für ihre politischen Botschaften interessieren. Dabei müssen sie – wie jede Marke – dafür sorgen, dass sich ihre Inhalte deutlich von jeder anderen Partei unterscheiden. Das gelingt ihnen, wie wir sehen werden, so gut oder schlecht wie jeder beliebigen Joghurtmarke.

Weiterhin müssen sie Begehrlichkeit für ihre „Marke“, für ihre Inhalte und Positionen wecken und zum Handeln aufrufen. Hier heißt es nur eben nicht „Kauf mich!“ sondern „Wähl mich!“. Awareness, Interest, Desire, Action: die gute, alte AIDA-Formel gilt für jede Partei ebenso wie für Lidl, Toyota, Nivea, Head & Shoulders oder Ehrmann. Und was für die Parteien unverzichtbar ist, trifft – anders als bei Marken – auch auf ihre Kandidaten zu. Auch sie sind Marken, Personen-Marken eben. Sie sind die Testimonials oder neudeutsch quasi die „Influencer“ der Parteien.

Und da Parteien Marken sind, wählen sie Werbeagenturen aus, die sie bei ihren Kampagnen unterstützen. Die CDU entschied sich für Serviceplan Reputation, die Tochter einer der klassischen Werbeagenturen. Die Sozialdemokraten wählten BrinkertLück Creatives, eine junge Agentur, die sich auf gesellschaftliche Kommunikation und Verantwortung sowie Sportmarketing spezialisiert. Ich bin selbst Mediastratege im Agentur-Team der SPD, werde mich bei meiner Bewertung aber selbstverständlich bemühen, neutral zu bleiben.

Die Grünen entschieden sich dafür, eine eigene Projektagentur namens Neues Tor 1 zu gründen. Die FDP bleibt ihrer Agentur Heimat treu, die bereits seit 2000 für die Freidemokraten arbeitet. Die Linke blieb ebenfalls bei ihrer Stammagentur DIG. Auf den Einbezug der AfD können wir verzichten. Es fällt mir schwer, sie hier in einem Atemzug mit demokratischen Parteien zu erwähnen.

80 Millionen Euro für 60 Millionen Wähler

Während sich die US-Parteien ihren Wahlkampf angeblich zehn Milliarden Dollar kosten lassen, bewegen sich die deutschen Parteien vergleichsweise auf Sparniveau. Die Christdemokraten werden etwa 30 Millionen Euro investieren. Die SPD hat, so ist der Presse zu entnehmen, ihren Wahlkampfetat auf 15 Millionen Euro festgelegt. FDP und Grüne nehmen jeweils etwa zehn Millionen Euro in die Hand. In Summe sind das 70 bis 80 Millionen Euro und damit genug, um während der „heißen Phase“ des Wahlkampfs die Etats jeder anderen Werbebranche, selbst der Automobil- und Telko-Werber, in den Schatten zu stellen.

Slogans aus der Texter-Hölle

Doch die meisten der Partei-Slogans ernten statt Bewunderung Hohn und Spott. Die Linke schreibt „Zeit zu handeln: Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit.“ Da wir in Frieden leben, macht diese Forderung zunächst stutzig (gemeint sind Waffenlieferungen). Soziale Gerechtigkeit und Klimasicherheit – statt andersherum – hätte womöglich mehr Sinn ergeben. Aber soziale Gerechtigkeit „gehört“ bereits der SPD. Die Linken haben es wahrlich nicht leicht.

Wer aus dem denglischen FDP-Spruch „Wirtschaftswunder. Make in Germany“ schlau wird, hat einen Orden verdient. Und wird der Partei sicher gerne erklären, dass das deutsche Wirtschaftswunder in den Fünfzigerjahren stattfand. In den nächsten Jahren geht es eher darum, die Kraft des Wirtschaftsstandorts Deutschland in der Welt zu erhalten. Wunder sind da nur wenige zu erwarten.

Die Grünen rufen: „Bereit, weil ihr es seid“ und wählten damit einen verständlicheren Slogan. Bereit zu sein, trifft jedoch auch auf andere Parteien zu und differenziert wenig. Warum sie ihre Ur-DNA und das Thema Klima nicht nach vorne stellen, bleibt ein Rätsel. Anekdote am Rande: Als die Grünen ihr Wahlkampfmotto präsentierten, vergaßen sie, die passende Domain zu sichern. Das nutzte die SPD, um den Spruch zu kapern. Wer also der URL www.bereit-weil-ihr-es-seid.de folgte, landete lustigerweise auf einer Website der SPD.

Die SPD stellt mit ihrem Slogan „Soziale Politik für dich“ den sozialen Aspekt ihrer Politik in den Vordergrund und kehrt offenbar zu ihrer DNA zurück. Sie arbeitet dabei auffallend häufig mit dem Begriff Respekt und setzt sich in diesem Punkt von den Wettbewerbern recht deutlich ab.

Die CDU schießt den Vogel ab. Mit „Deutschland gemeinsam machen“ haben die Christdemokraten einen Slogan entwickelt, den nun wirklich niemand versteht. Was machen wir gemeinsam? Welche Position bezieht dabei die CDU? Welche Ziele und Inhalte sind ihr wichtig?

Unterm Strich muss man schlussfolgern, dass bei drei der fünf Slogan-Entwicklungen Text-Despoten unterwegs waren, die es dem Wahlvolk wohl möglichst schwer machen wollen, die Politik der Urheber zu verstehen.

Von Zombies und Posterboys

Die Kampagne der CDU ziert ein Kreis in den deutschen Farben, wie er bereits von verschiedenen Organisationen verwendet wird. Texte wie „Gemeinsam für ein modernes Deutschland“ sind kaum alleinstellend und sagen über die künftige Politik der (wenig modernen, weil bekanntlich konservativen) Partei leider gar nichts aus.

Die SPD-Kampagne ist erst einmal sehr rot und wird sich im Rennen um die Aufmerksamkeit der Wähler auf den Straßenplakaten gut schlagen. Sie stellt ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz in den Vordergrund und überrascht mit sehr konkreten Aussagen („12 Euro Mindestlohn – Bessere Bezahlung für 10 Mio.“) und Inhalten.

Auch die Grünen haben sich für eine Farbe entschieden. Das helle Grün überrascht nicht, lässt die abgebildeten Protagonisten jedoch wie Zombies aussehen. Dabei bleibt Annalena Baerbock zunächst im Hintergrund, was sich als Fehler erweisen könnte. Sprüche wie „Zukunft passiert nicht. Wir machen sie“, „Kommt, wir bauen das neue Europa“ sind austauschbar, langweilig oder dermaßen verschwurbelt („Wir retten Bienen retten uns“), dass sie auf Plakaten unverständlich bleiben.



Die FDP setzt wieder ganz auf ihren Spitzenkandidaten („Posterboy“) Christian Lindner, begnügt sich jedoch mit typischen Allerweltssprüchen zur Wahl wie „Aus Liebe zur Freiheit“, dem Motto „Nie gab es mehr zu tun“ und wird selten so konkret wie bei „Steuererhöhungen sind Sabotage am Aufschwung“.

Die Kampagne der Linken besticht durch Texte, wechselnde Farben (inkl. AfD-blau?!), dem Wort „Jetzt!“ und lässt die Spitzenkandidaten weitgehend außen vor. Aussagen wie „Gerecht: Renten hoch, Rentenalter runter“ oder „Klimaziel: Bus und Bahn überall und kostenlos“ bedienen die eigene Klientel und werden vom Rest der Wähler vermutlich als wirklichkeitsfremd angesehen und somit kaum neue Wähler gewinnen.

Plakate oder Instagram?

Plakate werden in der „heißen Phase“ das domminierende Medium sein. Sie allein erbringen die nötige Reichweite und schaffen die Öffentlichkeit, die für jede Partei zur Wahl unverzichtbar ist. Die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben zudem bewiesen, dass Print als Medium keinesfalls an Leistungskraft und Wirkung eingebüßt hat. Die wenigen kostenlosen Werbespots, die den Parteien von den TV-Sendern zugeteilt werden, sind wichtig, erzeugen jedoch nur einen überschaubaren Werbedruck und sprechen überwiegend ältere Wähler an.

Die Ansprache der für den Ausgang der #BTW21 möglicherweise ausschlaggebenden, jüngeren Wähler bleibt die Domäne der digitalen Medien und sozialen Plattformen. Die Grünen kündigten an, allein ein Viertel ihres Etats hier zu investieren. Auch andere Parteien sprechen vom digitalsten Wahlkampf, den es je gab.

Auf den sozialen Plattformen Facebook, Instagram oder Twitter bewegen sich viele User innerhalb ihrer Meinungs-Bubble oder Filterblase, die nur schwer zu durchdringen ist und innerhalb derer Menschen nicht leicht von gegenteiligen Meinungen zu überzeugen sind. Zudem legen Experten immer häufiger Belege vor, dass personalisierte Werbung im Internet („Targeting“) dazu tendiert, Menschen zu erreichen, die ohnehin die Marke gekauft (sinngemäß: die Partei gewählt) hätten. Man darf gespannt sein, zu welchen Erkenntnissen wir nach der Wahl kommen.

Viel Handwerk, wenig Kreativität

Versuchen wir ein Fazit. Die Kampagnen von CDU und Linke sind bestenfalls Handwerk, aber weder kreativ, aufmerksamkeitsstark noch alleinstellend. Die FDP schwächelt bei ihren Aussagen. Auch den Grünen attestiert die Presse Mutlosigkeit. Die bisher gesichteten Kampagnenansätze der SPD ernten Lob von vielen Seiten (Widerspruch willkommen) und arbeiten gelegentlich auch mit einem Augenzwinkern, welches sich andere Parteien offenbar nicht zutrauen.

Fairerweise muss man somit sagen, dass die Parteienwerber etwas besser abschneiden als die Markenwerbung, die nach Auffassung der kreativen Experten zu mindestens 80 Prozent schlecht benotet werden. Bleibt die Frage, wie groß der Einfluss der Parteienkampagnen auf den Ausgang der Wahl sein wird.

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Aus der Markenwerbung wissen wir, dass die Kreativität einer Kampagne zu 60 Prozent auf das Ergebnis einwirkt, die Mediastrategie zu weiteren 20 Prozent. Selbst wenn wir diesen Einfluss bei der Wahlwerbung halbieren, bleibt ein Hebel in der Größenordnung von 40 Prozent. Nicht unbedeutend, denn bei dieser Wahl werden 1 Prozent plus oder minus über die Zusammensetzung unserer neuen Regierung entscheiden. Dann hätten manche Parteien bereits jetzt viel Werbekraft auf der Straße gelassen.

Mehr zum Thema: Mediaberater Thomas Koch widmet sich in seiner Kolumne Werbesprech dem Werbe- und Kommunikationsmarkt.

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