Werbesprech
Werbesprech Quelle: imago images

So verstehen Sie das Buzzword-Bingo der Werbebranche

Jede Branche hat ihren ganz eigenen Sprech. So auch die Werber. Inzwischen haben sie es jedoch so übertrieben, dass sie selbst nichts mehr verstehen. Eine Übersetzungshilfe fürs Werber-Kauderwelsch.

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Wer jemals Zeuge einer Unterhaltung unter Medizinern oder Airline-Crews wird, bemerkt schnell, dass man dem Gespräch nur schwer folgen kann. Jeder Satz ist so durchtränkt mit Fachtermini und Branchen-Slang, dass man den Sinn nicht versteht.

Die Werber konnten das schon immer gut. Doch seit einigen Jahren scheinen sie sich mit einem nie dagewesenen Schwulst an Kauderwelsch um einen Eintrag ins Guinness-Buch der Weltrekorde bewerben zu wollen. Der Clou: Inzwischen verstehen sie sich selbst nicht mehr. Zeit also, die Werber darüber aufzuklären, was sie mit ihrem grotesken Werber-Gibberish überhaupt meinen*:

360-Grad-Kommunikation: Nannte man früher schlicht „Werbung“. Bedeutet zwangsläufig auch erfolglos dort anzukommen, wo man anfing.

Ad Fraud: Maschinelle Bots sehen Ihre Werbung auf Fake-Seiten und Ihre Agentur erklärt Ihnen, das sei im Internet völlig normal.

Ad Tech: Moderne Alchemisten und Giftmischer, denen man besser aus dem Weg geht. Machen aus jedem Ihrer Euros in nullkommanix 15 Cent.

Algorithmus: Wenn Facebook Ihnen -> Content zeigt, von dem nur Mark Zuckerberg glaubt, dass Sie ernsthaft daran interessiert sind.

Artificial Intelligence: Leitet das Ende der Menschheit ein. In Verbindung mit -> Big Data angeblich die Antwort auf alles. Meistens künstlich, selten intelligent. Wird ohnehin alle Journalisten überflüssig machen. Und Marketing erst recht. Dann brauchen wir auch diesen ganzen -> Werbesprech nicht mehr.

Authentic: Sieht auf den ersten Blick täuschend echt aus, ist aber eine Täuschung. Nur Marketingleute glauben an authentische Authentizität. Dem Verbraucher ist’s ohnehin schnuppe. Siehe auch -> Native.

Behavioral Advertising: Auch nicht wirklich neu. Die Werbung wollte schon immer unser Verhalten in die „richtigen“ Wege lenken.

Bewegtbild: Eine Folge von Bildern, die in kurzen Zeitabständen für den Betrachter die Illusion der Bewegung erzeugen. Also so etwas wie ein sich bewegendes Bild. Wie in: Film, Clip, Werbefilm, Werbespot. Kein Mensch kann Ihnen erklären, warum das heute Bewegtbild heißt.

Big (Smart) Data: Viele sehr große, selten wirklich schlaue Daten, die sich gerne in Silos ansammeln, wo sie zwar unbrauchbar sind, aber für -> Data-driven Marketing dennoch täglich Verwendung finden.

Blockchain: „En Blockchain, dat is ene jroße, schwarze Raum, der hat vill Platz. Da passt janz vill Jeschräppels rein. Dat Jeschräppel jeht nie kapott und dat is immer da.“ (Maik Klotz)

Brand Advocat: Kunde/Verbraucher, meistens ein ganz gewöhnlicher.

Brand Ambassador: Ein Verbraucher, den Marketer für loyal halten, es aber laut Marketing-Professor Byron Sharp erwiesenermaßen nicht ist.

Branding: Irgendwas mit Logo.

Brand Purpose: Extrem schwülstige Aussage, wie das Unternehmen beabsichtigt, die Welt zu retten, die aber kein Verbraucher ernsthaft glaubt. Wird häufig mit Haltung verwechselt.

Buzz: Rufname von Edwin Eugene Aldrin Jr., betrat am 21. Juli 1969 als zweiter Mann 20 Minuten nach Neil Armstrong den Mond.

Clickrate: Anteil der User, die auf Onlinewerbung klicken. Beträgt derzeit im Schnitt 0,1 Prozent. In wiederum 90 Prozent dieser seltenen Fälle jedoch (infolge zu dicker Daumen) unabsichtlich.

Community: Wildfremde Menschen, die versehentlich auf etwas geklickt haben.

Content: Alles. Einfach alles. Auch: Irgendwas mit Worten und/oder Bildern und/oder -> Bewegtbild.

Conversion: Retweet.

Customer Centric Marketing: Wenn Marketing glaubt, dass der Verbraucher dringend noch viel mehr über die Marke wissen will.

Customer Journey: Früher sahen Verbraucher etwas und kauften es. Neuerdings begeben sie sich dabei auf eine mysteriöse „Reise“, die es sündhaft teuer zu erforschen gilt.

Data-driven: Es fehlte halt die kreative Idee.

Deep Dive: Vortrag. Auch: Meeting.

Digital/Digitalisierung: Die Antwort auf alles. Davon kann man nie genug haben. Wenn Sie nicht jedes Jahr mehr Geld in digitale Werbung investieren, stehen Sie ganz schnell auf der Abschussliste. Wichtig ist, dass Sie auf jede Frage antworten: „Wir müssen digitaler werden!“

Disruption: Die Tochter vom CEO faselt davon. Und der CMO glaubt fest daran, dass Disruption allein glückseligmachend ist. Disruptieren Sie also, was das Zeug hält.

Engagement: Ein Like bei Facebook. Unbedeutend und erwiesenermaßen ohne jeglichen Einfluss auf die Marketing- und Abverkaufsziele.

Facial Recognition: Wenn Sie morgens in den Spiegel schauen und sich wiedererkennen, neuerdings jedoch digital und automatisiert.

Follower: Wildfremder, der irgendwas von Ihnen umsonst haben will.

Influencer: 16- bis 18-jährige Mädchen, die Videos auf You Tube posten.

Innovativ: Steht in jedem Briefing. Bis das Produkt/die Kampagne fertig ist, ist nichts mehr davon zu sehen. Egal aber in welcher Branche Sie arbeiten, Sie müssen stets innovativ sein. Wiederholen Sie „Ich bin innovativ“ mindestens dreimal täglich.

Internet: „It’s an alien life form.“ (David Bowie, 1999)

Love Brand: Wenn der CMO glaubt, dass seine Marke geliebt wird. Ist aber (außer bei Nutella) Quatsch. Meint auch Marketing-Legende Bob Hoffman. Selbstversuch: Denken Sie an Ihren Kühlschrank, Ihren Küchen- und Medizinschrank, Ihren Kleiderschrank, Ihre Garage, Ihr Büro und alle Marken, die darin liegen. Welche davon lieben Sie? Die Mayonnaise, das Backpulver, die Pflaster, Socken, Reifen oder USB-Sticks? Genau.

Millennials: Menschen, zwischen 1980 und 1995 geboren. Ansonsten keine besonderen Charakteristika oder Differenzierungsmerkmale gegenüber anderen Verbrauchern. Weshalb Professor Mark Ritson Millennials für Bullshit hält.

Native Advertising: Digitale Reklame, getarnt als redaktioneller Artikel, über dem unsichtbar in 4-Punkt-Schrift „Gesponsert“ oder „Promotion“ oder sonst irgendwas Scheinheiliges steht.

Persona: Völlig normale Ziel- oder Personengruppe, nur prosaischer ausgeschmückt und mit lustigen Namen (wie „Hausfrau Hiltrud“ oder „Gernot Genussmensch“) versehen. Ansonsten Blödsinn, den man bereits in den Achtzigerjahren (voriges Jahrtausend) verworfen hatte.

Plattform-Ära: Keine Ahnung. Man kann ja nun wirklich nicht alle diese Begriffe kennen...

Podcast: Print als Radio, nur online.

Programmatic: Automatisiertes, sehr tiefes, schwarzes Digital-Werbe-Loch. Siehe auch -> Ad Tech. Die Mediaagentur Group M warnte ihre Kunden bereits 2014 davor. Hat aber leider nichts genutzt. Jetzt haben wir den Salat.

QR-Code: Zweidimensionaler, meist aus schwarzen und weißen Punkten bestehender Matrix-Barcode auf Anzeigen, Plakaten und Kassenbons, den selten mehr als ein einzelner, verwirrter Verbraucher einscannt.

Round Table: Meeting. Wird aber aufgezeichnet.

Smart Home: Noch während Ihr Smartphone Sie morgens weckt, geht im Bad Ihre smarte Zahnbürste an, in der Küche brüht die smarte Kaffeemaschine den Kaffee und Ihr Connected Car fährt vor. Oder so ähnlich.

Sprachassistent: Gerät, mit dessen Hilfe man im -> Smart Home das Licht an- und ausschalten kann. Die Älteren unter Ihnen kennen es noch als „Lichtschalter“.

Summit: Meeting. Mit Dinner, aber meistens doch nur Flying Buffet. Essen Sie besser vorher was.

Target Audience: Zielgruppe. Marketingleute und Mediaplaner glauben fest daran. In Wirklichkeit bestehen ihre Käufer zu 80 Prozent aus einer völlig diffusen, wild zusammengewürfelten Masse von undifferenzierbaren Verbrauchern. Siehe auch -> Byron Sharp.

Virtual (Augmented) Reality: Egal. Kann man wieder vergessen. Redet kein Mensch mehr von.

Visibility: Sensationelle neue Erkenntnis über die Wahrnehmung von Werbung: Nur sichtbare Werbung ist sichtbar! Auch: Werbung im nicht sichtbaren Bereich kann von Verbrauchern nicht wahrgenommen werden. Ernsthaft. What a time to be alive...

Web Traffic: Brexit-ähnlicher, ungeregelter, zudem invalider Internet-Verkehr, bis zu 90 Prozent bestehend aus Botnets, Click-Farmen, Domain-Spoofing und Spam. Kostet zwar weniger als richtige Werbung, ist aber am Ende meist wirkungslos.

Werbesprech: Leere Worthülsen, die bei -> digitaler -> 360-Grad-Kommunikation von -> innovativen -> Millennials der Werbe-->Community bei -> Summits und -> Workshops zum Zwecke der -> Disruption verwendet werden. Siehe -> Buzz. Auch: Kolumne eines gewissen Thomas Koch bei der WirtschaftsWoche.

Workshop: Meeting. Oft jedoch ohne Getränke und Raucherpausen. Daher unbedingt meiden.

Yield Management: Wenn Sie bei Amazon einen höheren Preis angezeigt bekommen als Ihr Nachbar, weil Sie so ignorant sind, immer teuerste Markenware zu kaufen. Dank Yield holt der -> Algorithmus den letzten Euro aus Ihnen raus.

Ich hoffe, Sie können nun mit Hilfe dieser Anleitung beim nächsten Smalltalk mit den Kollegen aus der digitalen Marketing- und Kommunikationswelt ordentlich glänzen. Und machen Sie's wie die Profis: Erfinden Sie beim nächsten -> Round Table einfach ein neues -> Buzzword. Die Branche wird Sie dafür lieben.

*Einige Begriffserklärungen wurden inspiriert von Bob Hoffman „laughing@advertising“ und Wiemer Snijders „Eat Your Greens“. Danke.

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