Die Forderung eines Verbotes für Tabakwerbung ist fast so alt die Werbung selbst. Den jüngsten Vorstoß machte eine Gruppe von Krebsforschern, die die Bundesregierung auffordert, den Tabakkonsum durch strenge Vorschriften und Maßnahmen zu reduzieren. Ein „tabakfreies“ Deutschland im Jahr 2040 sei „keine Utopie“, heißt es in der Strategie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), der Deutschen Krebshilfe und weiterer Organisationen. Sie monieren, dass Deutschland „Schlusslicht in der Tabakkontrolle“ sei – andere Staaten machten deutlich mehr Druck, um die Raucherzahlen zu drücken.
Im Radio und Fernsehen sind bereits seit 1975 Werbespots für Zigaretten und Tabakerzeugnisse verboten, im Internet und der Presse seit 2007. Demnächst erwarten uns weitere Einschränkungen. Auf ihrer Website beschreibt die Bundesregierung die neuen Regelungen: „Die geänderten Vorgaben für Kinowerbung sowie ein Verbot von Gratisproben außerhalb von Fachgeschäften soll schon zum 1. Januar 2021 in Kraft treten. Die Verbote für Außenwerbung wie auf Plakatwänden oder Haltestellen für herkömmliche Tabakprodukte sollen ab dem 1. Januar 2022 gelten. Ab dem 1. Januar 2023 gilt das Werbeverbot dann auch für sogenannte Tabakerhitzer und ab dem 1. Januar 2024 für elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter.“
Tabakwerbeverbot greift nicht
Tatsächlich sinkt die Zahl der Zigarettenraucher in Deutschland. Seit Anfang der Neunzigerjahre ist der Tabakkonsum in Deutschland laut Robert-Koch-Institut um etwa ein Drittel gesunken. Für die übrigen Tabakwaren, berichtet der WDR, gilt das nicht: „Hier stieg der Verbrauch sogar deutlich an – beim Feinschnitt laut Statistischem Bundesamt um mehr als die Hälfte. Der Absatz von Zigarren und Zigarillos verdoppelte sich – und jener für Pfeifen, Wasserpfeifen und elektrische Tabakerhitzer verdreifachte sich. Der Umsatz von E-Zigaretten hat sich laut Verband des E-Zigarettenhandels seit 2011 versechsfacht.“
Nach Überzeugung vieler Experten hat nicht das Werbeverbot zu dieser Entwicklung geführt, sondern Aufklärungskampagnen (also Werbung), die kontinuierliche Erhöhung der Tabaksteuer und das Rauchverbot in Kneipen und an öffentlichen Orten. Ebenso umstritten ist die Wirkung der Schockbilder auf Zigarettenpackungen, die seit 2016 Pflicht sind. Die Forschungsergebnisse bleiben widersprüchlich: In einer Studie gaben Raucher an, nun erst recht das zu tun, wovon die abschreckenden Bilder sie warnten.
Was bleibt, ist die juristische Zwickmühle, Werbung für ein legales Produkt zu verbieten. Das gilt ebenso für Alkoholwerbung. Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum kommentiert den Stand der Dinge: „Man könnte sagen: Unser Bewusstsein dafür, dass Alkohol nicht so harmlos ist, wie die Leute glauben, ist heute etwa an dem Punkt, an dem wir beim Thema Rauchen vor etwa 50 Jahren waren.“ Dementsprechend gering sei der Druck auf die Politik, Werbung für Alkohol stärker einzuschränken. In Deutschland ist Alkoholwerbung im Kino vor 18 Uhr verboten. Im Fernsehen, Radio, Internet, in der Presse und auf Plakaten ist sie nach wie vor erlaubt.
Süßwarenwerbung in der Kritik
Beim nicht minder brisanten Thema Süßwaren, für die alljährlich ein stattlicher Betrag von einigen Hundert Millionen Euro in Werbung investiert wird, haben die Befürworter von Verboten und Einschränkungen die Schlagzahl dagegen deutlich erhöht. Die Branchenzeitung „Horizont“ schreibt: „Kinder in Deutschland werden häufig mit Werbung für ungesunde Lebensmittel konfrontiert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Hamburg. Der AOK Bundesverband und weitere Gesundheitsorganisationen nehmen das zum Anlass, ihre Forderung nach einem Verbot von Kindermarketing für ungesunde Produkte zu erneuern.“
Zehn Milliarden Werbeposts
Laut Studie bekommt jedes Kind pro Tag rund 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel zu sehen. Davon entfallen fünf auf das Internet und zehn auf das Fernsehen. Generell sind im Schnitt 92 Prozent der Lebensmittelwerbung, die Kinder in Internet und TV wahrnehmen, für ungesunde Produkte wie Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Im Internet werden Kinder vor allem über Facebook mit Werbeposts zu ungesunden Produkten erreicht, laut Studie über zehn Milliarden Mal pro Jahr. Auf YouTube würden Unternehmen vor allem auf Influencer setzen, um Kindermarketing für ungesunde Produkte zu betreiben.
Beim Deutschen Werberat ist man sich des Problems bewusst. Die Selbstkontrollorganisation der deutschen Werbewirtschaft hat daher die Richtlinien für Lebensmittelwerbung überarbeitet. Demnach darf Werbung nicht direkt zum Kauf auffordern oder die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern ausnutzen und keine Aufforderung enthalten, Eltern zum Kauf eines Produktes zu bewegen. Zudem darf sie nicht einem gesunden, aktiven Lebensstil und ausgewogener, gesunder Ernährung entgegenwirken.
Die Botschaft ist in der Industrie definitiv angekommen. Auch der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) verschärft ab Juni seine Regeln für Werbung für Lebensmittel, die besonders fett-, salz- oder zuckerhaltig sind. Der ZAW setzt sich dafür ein, „dass in der kommerziellen Kommunikation alles unterlassen wird, was als Aufforderung zu einer übermäßigen und einseitigen Ernährung verstanden werden könnte. Mit dieser Selbstverpflichtung (...) gehen Hersteller, Handel, Agenturen und Medien deutlich über die gesetzlichen Vorgaben für Lebensmittelwerbung hinaus.“
Süßwarenwerber als Gutmenschen?
Verstanden haben die Botschaft auch Unternehmen wie Ferrero, die stets besonders in der Kritik standen. Ferrero ist laut Policy „der Auffassung, dass eine verantwortungsvolle Kommunikation den Konsumenten dabei unterstützen kann, beim Kauf von Lebensmittelprodukten und Getränken eine angemessene Entscheidung zu treffen und besser zu verstehen, welche Rolle Ernährung und Sport für eine gesunde, aktive Lebensweise spielen.“ Man setzt auf eine „Selbstkontrolle werblicher Kommunikation“. Ferrero verpflichtet sich, „seine Produkte in TV, Print und Internet nicht zu bewerben, wenn das Publikum zu mehr als 35 Prozent aus Kindern unter 12 Jahren besteht.“ Das bedeutet praktisch das Aus für Süßwarenwerbung im Kinderfernsehen.
Ist damit also alles gut? Natürlich nicht. Doch klare Regeln und eine ernstgemeinte Selbstkontrolle auf Seiten der Werbewirtschaft sind, gepaart mit einer Antwort auf die sich rasant verändernde Haltung der Verbraucher, der richtige Weg. In der Studie „Marketing für die Gen Z“ gaben 80 Prozent der Befragten an, eher Marken zu kaufen, die sich zu gesellschaftspolitischen Themen positionierten. Solchen Forderungen müssen sich die werbungtreibenden Unternehmen beugen – oder sie setzen ihre Zukunft aufs Spiel.
Aufklärung statt der Büchse der Pandora
Forderungen wie die der Grünen nach einem TV-Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel erweitern – im Gegensatz zur stattfindenden Selbstkontrolle – eine Verbotskultur, die wir weder brauchen noch zähmen könnten. Man öffnet eine Büchse der Pandora, in der wegen des Zuckergehalts Werbung für Pizza verboten würde und der Schritt zum Verbot von Barbie-Puppen nicht mehr weit ist.
Werbeverbote sind kein Allheilmittel und führen nicht zum Ziel. Die Unternehmen denken längst um. Schon deshalb, weil ihnen kein anderer Weg bleibt, um ihre Marken und Umsätze zu erhalten. Die Lösung, das sehen wir am Beispiel der Zigaretten, lautet: Aufklärung. Also nicht Werbung verbieten, sondern Aufklärungskampagnen starten. Damit entsteht ein gesellschaftlicher Kommunikationskampf der Argumente auf Augenhöhe, der sich die Verbraucher nicht entziehen können. Ihnen alleine bleibt dann die Entscheidung, wem sie zu ihrem eigenen Wohl vertrauen. Wenn die betroffenen Branchen und Marken dann das Nachsehen haben, trifft sie die Schuld selbst.
In der Zwischenzeit zünde ich mir eine Lucky Strike an, schiebe eine Pizza von Dr. Oetker mit 13 Gramm Zuckergehalt in den Ofen und freue mich heute Abend auf ein Glas Chianti. Und trinke auf die Freiheit.
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