Werbesprech

Parteienwerbung auf dem Prüfstand

Seite 2/2

Von Zombies und Posterboys

Die Kampagne der CDU ziert ein Kreis in den deutschen Farben, wie er bereits von verschiedenen Organisationen verwendet wird. Texte wie „Gemeinsam für ein modernes Deutschland“ sind kaum alleinstellend und sagen über die künftige Politik der (wenig modernen, weil bekanntlich konservativen) Partei leider gar nichts aus.

Die SPD-Kampagne ist erst einmal sehr rot und wird sich im Rennen um die Aufmerksamkeit der Wähler auf den Straßenplakaten gut schlagen. Sie stellt ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz in den Vordergrund und überrascht mit sehr konkreten Aussagen („12 Euro Mindestlohn – Bessere Bezahlung für 10 Mio.“) und Inhalten.

Auch die Grünen haben sich für eine Farbe entschieden. Das helle Grün überrascht nicht, lässt die abgebildeten Protagonisten jedoch wie Zombies aussehen. Dabei bleibt Annalena Baerbock zunächst im Hintergrund, was sich als Fehler erweisen könnte. Sprüche wie „Zukunft passiert nicht. Wir machen sie“, „Kommt, wir bauen das neue Europa“ sind austauschbar, langweilig oder dermaßen verschwurbelt („Wir retten Bienen retten uns“), dass sie auf Plakaten unverständlich bleiben.



Die FDP setzt wieder ganz auf ihren Spitzenkandidaten („Posterboy“) Christian Lindner, begnügt sich jedoch mit typischen Allerweltssprüchen zur Wahl wie „Aus Liebe zur Freiheit“, dem Motto „Nie gab es mehr zu tun“ und wird selten so konkret wie bei „Steuererhöhungen sind Sabotage am Aufschwung“.

Die Kampagne der Linken besticht durch Texte, wechselnde Farben (inkl. AfD-blau?!), dem Wort „Jetzt!“ und lässt die Spitzenkandidaten weitgehend außen vor. Aussagen wie „Gerecht: Renten hoch, Rentenalter runter“ oder „Klimaziel: Bus und Bahn überall und kostenlos“ bedienen die eigene Klientel und werden vom Rest der Wähler vermutlich als wirklichkeitsfremd angesehen und somit kaum neue Wähler gewinnen.

Plakate oder Instagram?

Plakate werden in der „heißen Phase“ das domminierende Medium sein. Sie allein erbringen die nötige Reichweite und schaffen die Öffentlichkeit, die für jede Partei zur Wahl unverzichtbar ist. Die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben zudem bewiesen, dass Print als Medium keinesfalls an Leistungskraft und Wirkung eingebüßt hat. Die wenigen kostenlosen Werbespots, die den Parteien von den TV-Sendern zugeteilt werden, sind wichtig, erzeugen jedoch nur einen überschaubaren Werbedruck und sprechen überwiegend ältere Wähler an.

Die Ansprache der für den Ausgang der #BTW21 möglicherweise ausschlaggebenden, jüngeren Wähler bleibt die Domäne der digitalen Medien und sozialen Plattformen. Die Grünen kündigten an, allein ein Viertel ihres Etats hier zu investieren. Auch andere Parteien sprechen vom digitalsten Wahlkampf, den es je gab.

Auf den sozialen Plattformen Facebook, Instagram oder Twitter bewegen sich viele User innerhalb ihrer Meinungs-Bubble oder Filterblase, die nur schwer zu durchdringen ist und innerhalb derer Menschen nicht leicht von gegenteiligen Meinungen zu überzeugen sind. Zudem legen Experten immer häufiger Belege vor, dass personalisierte Werbung im Internet („Targeting“) dazu tendiert, Menschen zu erreichen, die ohnehin die Marke gekauft (sinngemäß: die Partei gewählt) hätten. Man darf gespannt sein, zu welchen Erkenntnissen wir nach der Wahl kommen.

Viel Handwerk, wenig Kreativität

Versuchen wir ein Fazit. Die Kampagnen von CDU und Linke sind bestenfalls Handwerk, aber weder kreativ, aufmerksamkeitsstark noch alleinstellend. Die FDP schwächelt bei ihren Aussagen. Auch den Grünen attestiert die Presse Mutlosigkeit. Die bisher gesichteten Kampagnenansätze der SPD ernten Lob von vielen Seiten (Widerspruch willkommen) und arbeiten gelegentlich auch mit einem Augenzwinkern, welches sich andere Parteien offenbar nicht zutrauen.

Fairerweise muss man somit sagen, dass die Parteienwerber etwas besser abschneiden als die Markenwerbung, die nach Auffassung der kreativen Experten zu mindestens 80 Prozent schlecht benotet werden. Bleibt die Frage, wie groß der Einfluss der Parteienkampagnen auf den Ausgang der Wahl sein wird.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Aus der Markenwerbung wissen wir, dass die Kreativität einer Kampagne zu 60 Prozent auf das Ergebnis einwirkt, die Mediastrategie zu weiteren 20 Prozent. Selbst wenn wir diesen Einfluss bei der Wahlwerbung halbieren, bleibt ein Hebel in der Größenordnung von 40 Prozent. Nicht unbedeutend, denn bei dieser Wahl werden 1 Prozent plus oder minus über die Zusammensetzung unserer neuen Regierung entscheiden. Dann hätten manche Parteien bereits jetzt viel Werbekraft auf der Straße gelassen.

Mehr zum Thema: Mediaberater Thomas Koch widmet sich in seiner Kolumne Werbesprech dem Werbe- und Kommunikationsmarkt.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%