Werbesprech

Vorsicht vor WM-Vampiren!

Die WM in Brasilien lockt die Massen begeistert vor die Bildschirme. Währenddessen werden wir von Werbung überrollt, in der es nur noch um Fußball geht und unsere Nationalspieler ohne Unterlass Marken präsentieren. Eifrig drehen Marketing und Werbung an der Fußball-Schraube, obwohl längst nachgewiesen ist, dass sie meistens wirkungslos verpufft.

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Zwar lohnt sich Fußball-Werbung für Sportmarken, aber Unternehmen wie VW verschwinden hinter dem WM-Hype Quelle: dpa

Der Ball rollt. Die Augen von Milliarden Fußballfans richten sich auf Brasilien und die Fußball-WM. Und auch die Werber stehen Kopf. Die Aufmerksamkeit, die dieses einzigartige Event alle vier Jahre auf sich zieht, muss natürlich für die Markenwerbung genutzt werden. Aber muss sich jede Marke an die Fußball-WM hängen?

Dass die weltweiten Partner der FIFA das Ereignis für ihre werblichen Zwecke nutzen, liegt auf der Hand. Schließlich haben Adidas, Coca-Cola, Emirates, Hyundai, Sony und Visa dafür ein kleines Vermögen bezahlt. Hinzu kommen noch die zahlreichen WM-Sponsoren wie Budweiser, Continental und McDonald’s, die der FIFA mehr als 400 Millionen US-Dollar in die Kassen spülen. Doch in diesem Jahr sind es keinesfalls die Werbefilmchen der Sportausrüster, die Furore machen. Als der beste WM-Spot, darin sind sich viele Experten einig, gilt ausgerechnet der des Burger-Bräters McDonald’s.

Tatsächlich führt das Großereignis WM zu Mehrumsätzen - zumindest in einigen, wenigen Branchen. Dazu gehören Fernseher, Sportartikel, Bier und Snacks. Insbesondere die Hersteller von Chips dürfen wieder mit zweistelligen Zuwachsraten rechnen und lassen sich dafür Pringles „Weltmeister-Editionen“ und „Chio loves Rio“ einfallen. Das gilt bekanntlich auch für den Bierkonsum. Wenn jedoch ein halbes Dutzend Brauereien gleichzeitig fast identische Kronkorken-Gewinnaktionen zur WM einläuten, dürften sich Warsteiner, Veltins, Hasseröder, Karlsberg und Licher damit wohl gegenseitig ausschalten. Der Effekt, den Wettbewerbern mit solchen, extrem teuren Marketingaktionen Marktanteile abzujagen, dürfte ins Leere laufen. Statt sich jahrein, jahraus auf die hinlänglich erprobten Mechanismen zu verlassen, sollten die Brauereien besser mehr Kreativität an den Tag legen, wenn sie sich eine größere Wirkung von ihren Marketingaktionen erhoffen. So verbrennen sie ihr Marketinggeld.

„Höchste Zeit für neue Ideen“

Mit dieser Überschrift titelte denn auch die Branchenfachzeitschrift Werben & Verkaufen ihren Beitrag zur WM-Werbung. Kaum eine Marke, die sich nicht irgendeinen Nationalspieler unter Vertrag nahm, um mit ihm wahlweise Versicherungen (Allianz), Baumärkte (Obi), Hotels („B&B“) oder Elektronik (Expert) zu bewerben. „Kaum eine Agentur schafft es, mit einem kreativen Einfall zu überzeugen. Es dominiert Mittelmaß.“ - heißt es im Kommentar.

Den Vogel unter den missglückten Kampagnen schoss diesmal eindeutig Adidas ab. Deren „All In Or Nothing“-Kampagne zeigt Bilder von Nationalspielern mit einem blutenden Rinder-Herz in den Händen. Tausende Facebook- und Twitter-Nutzer empörten sich über die pietätlose Art, mit der der deutsche Sportartikelhersteller für sich wirbt. Die Tierschützer setzten Adidas prompt auf die Schwarze Liste. Viele Kunden erklärten sogar, die Marke künftig zu meiden. Provokation, selbst wenn sie angeblich gewollt ist, verkauft eben doch keine Fußballschuhe und Trikots.

Vampire fressen die Werbewirkung auf

Die Marketingverantwortlichen sollten inzwischen begriffen haben, dass der Werbeeffekt ihrer WM-Kampagnen in der Regel gleich Null ist. Manchmal kehrt sich die Wirkung gar ins Gegenteil. Bereits zur Fußball-WM 2010 ging Professor Volker Gehrau vom Münsteraner Institut für Kommunikationswissenschaft dieser Frage nach. Das Ergebnis war ernüchternd: „Die Befragten erinnerten sich insgesamt schlechter an die TV-Spots, in denen Fußball oder die WM vorkamen.“ Wissenschaftler bezeichnen dies als „Vampireffekt“: Fußball lenkt von der eigentlichen Werbebotschaft ab. Zu allem Überfluss stumpft der Verbraucher durch die übermäßige Verwendung von Fußballidolen ab. Er schaltet schlichtweg auf Durchzug - und ab.

Die Werbung geht in der WM unter

Der PR-Profi Björn Eichstädt bemängelt zu Recht, dass dabei „die eigene Story ziemlich in den Hintergrund tritt“. Bei den meisten Marketingexperten ist diese Erkenntnis jedoch noch längst nicht angekommen. Bei einer Umfrage unter Marketingchefs gaben nur 26 Prozent an, dass Markenbotschaften, die die WM extensiv nutzen, in der Flut der WM-Werbung untergehen.

Das derzeit wohl größte Missverständnis besteht darin, dass es für die meisten Marken falsch ist, auf Fußball setzen, wenn sie nicht die geringste Verbindung zum Thema besitzen. Diese Art von „Huckepack“-Kommunikation ist zum Scheitern verdammt. Leider nährt der derzeitige Buzz um „Content Marketing“ das Missverständnis trefflich. Content Marketing bedeutet, den Konsumenten attraktive Inhalte zu bieten, die der Marke nahestehen und daher positiv auf sie einwirken. Was beim Auftritt der Commerzbank mit Jogi Löw und der Nationalelf noch einigermaßen gelingt, geht bei Volkswagens Ballzauberei mit Thomas Müller und dem brasilianischen Fußballstar Neymar vollends daneben. Volkswagen gibt sich nicht einmal die Mühe, den Content „Fußball“ auch nur ansatzweise mit seiner Marke zu verknüpfen. Der Übergang zu den Sonderangeboten der „Cup“-Modelle könnte krasser nicht sein.

Gesäß-Pflege zur WM

Sprichwörtlich in die Hose geht es, wenn selbst Rasierapparate, Weichspüler, Kondome und Fußball-gebrandetes Toilettenpapier zur WM auf den Markt gebracht werden. Insbesondere zur Gesäß-Pflege hat der Fußballfan in diesem Jahr eine besonders breite Auswahl an Papieren von Zewa, Alouette und Natuvell bei Rossmann bis Globus. Und bei Edeka sogar „gut & günstig“ in der Darreichungsform 3-lagig mit Rasenduft.

Es bleibt die Gewissheit, dass dieser Schwachsinn bald ein Ende hat. Wenn am 13. Juli das WM-Finale der Welt einen neuen Fußball-Weltmeister beschert, wissen wir endlich, wie unsere 526 Millionen Euro teure Nationalelf, wie also der deutsche „McKinsey“-Fußball abgeschnitten hat. Dann könnten wir wieder dazu übergehen, intelligente und attraktive Werbung zu machen, die den beworbenen Marken nützt. Und nicht ausschließlich der FIFA. Aber höchstens zwei Jahre lang. Denn am 10. Juni 2016 beginnt schon die Endrunde zur Fußball-Europameisterschaft in Frankreich.

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