Kraft und Einfluss des Marketings auf den Unternehmenserfolg werden in vielen Firmen sträflich unterschätzt. Der Einfluss der Marketingabteilungen ist in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken, obwohl sie nachweisbar den größten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten.
Wer heutzutage in Unternehmen für Marketing und Kommunikation verantwortlich zeichnet, ist nicht zu beneiden. Beraubt um frühere Mitarbeiterstäbe und Kompetenz, bevormundet vom Vertrieb, der vorgibt, alleine für Umsätze zu sorgen - und im Stich gelassen von Vorständen, die zwar Controlling und Jura beherrschen, aber an Markenführung und Markenwert nicht glauben.
Doch mit dem Niedergang von Air Berlin könnte sich das ändern. Denn die Pleite der zweitgrößten deutschen Airline ist in erster Linie auf Marketingfehler zurückzuführen. Hier zeigt sich, leider am Negativbeispiel, dass Marketing auch Schäden anrichten kann, die nicht wieder gutzumachen sind, und die alleine ein ganzes Unternehmen ruinieren können.
Marketing macht ein schlechtes Produkt bekanntlich nicht besser, kann falsch eingesetzt ein gutes Produkt jedoch nachhaltig beschädigen. Bei Air Berlin war das Produkt anfänglich gut. Es bestand aus hochwertigem Fluggerät, freundlichem Personal und einem funktionierenden Beförderungsangebot. Das Markenversprechen, Menschen von Flughafen A nach Flughafen B zu bringen, wurde erfüllt. Obendrein gab es noch ein Schokoherz dazu, quasi als Zusatznutzen.
Falsch war alleine das Marketing
Die Fehler begannen damit, den falschen Zielgruppen falsche Versprechungen zu machen. Nach dem Billigangebot für Mallorca-Urlauber nahm man die Business-Reisenden ins Visier und versprach auch ihnen günstige Flüge. Die Fluglinie übersah jedoch, dass Firmenkunden die Pünktlichkeit wichtiger ist als ein paar Euro Ersparnis - und hat sich mit der Zeit „schlichtweg überflüssig“ gemacht.
Dass man obendrein nicht auf Dauer die Wettbewerber unterbieten und dabei Gewinne machen kann, hatte dem Vorstand offenbar niemand gesagt. Dass dies zumindest für Air Berlin kein nachhaltiges Geschäftsmodell sein konnte, wollte niemand erkennen. Air Berlin schreibt daher seit Jahren rote Zahlen. Alleine 2016 beliefen sich die Verluste auf 782 Millionen Euro.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Dort, wo sich Lufthansa aufgrund des ruinösen Preiswettbewerbs zurückzog und Air Berlin zum Monopolisten wurde, wie auf der Strecke Düsseldorf-Stuttgart, verlangten die Berliner Wucherpreise. Vom ursprünglichen Versprechen des preiswerten Angebots („Full Service fliegen, wenig zahlen.“ „The smart alternative“) war nichts geblieben. Ein Flug in die Schwabenmetropole mit der Dash 8-Q kostete gut und gerne €400 und mehr - so viel wie ein LH-Flug nach Toronto.
Je mehr Verluste Air Berlin anhäufte, desto unzuverlässiger wurde sie. Verspätungen wurden zur Norm, die Gepäckrückgabe zum Glücksspiel. Dennoch startete das Air Berlin-Marketing noch 2016 eine großangelegte Kampagne, um die Airline als Premium-Marke zu profilieren. Doch zu diesem Zeitpunkt war das für Vielflieger schon längst unglaubwürdig.
Was bleibt, sind Schokoherzen
Das Marketing las offenbar keine Zeitung und ignorierte die Probleme an der Kundenfront. Und der Vorstand ließ sein Marketing gewähren. Die Kommunikations-Katastrophe nahm ihren Lauf. In den sozialen Medien wetteiferten Air-Berlin-Kunden um die größten Schlampereien der Airline und gaben sie der Lächerlichkeit preis. Die wenigen Markentreuen konnten nur noch mit dem Argument der Schokoherzen kontern. Mehr war ihnen nicht geblieben. Inzwischen werden sie zu Wucherpreisen bei Ebay angeboten - zum Preis eines Stuttgart-Fluges.
Aus den Marken-Katastrophen der Vergangenheit lernen
Während nun auch die im Topbonus-Programm angesammelten Meilen verfallen, weil rechtswidrig versäumt wurde hierfür Rücklagen zu bilden, bringt es der Generalbevollmächtigte des Unternehmens, Frank Kebekus, tatsächlich fertig auf den Bestand der Schokoherzen zu verweisen: "Um das Kundenvertrauen zu stärken, versuchen wir, alles was die Passagiere von Air Berlin kennen und erwarten… weiterzuführen. Dazu gehören auch die Schokoherzen."
In dieser Situation müssen sich selbst die letzten Air Berlin-Kunden verhöhnt vorkommen. Die Marke gerät zur Witzfigur.
Alles - außer Tiernahrung
Die Air-Berlin-Manager hätten gewarnt sein müssen. Bereits 2012 war die Baumarktkette Praktiker pleitegegangen, nachdem man versucht hatte, die Wettbewerber dauerhaft („20 Prozent auf alles - außer Tiernahrung“) zu unterbieten. Auch hier war das Produkt (Baumarkt) nicht zu beanstanden; alleine die Werbung führte in den Ruin. Das Tierfutter half dabei ebenso wenig wie bei Air Berlin die Schokoherzen.
Umso mehr überrascht die neue Kampagne des Elektronikriesen Saturn. Die Rückkehr zum „Geiz ist geil“-Slogan ist zwar nur von kurzer Dauer, doch viele hielten die Geiz-Phase für überwunden. Die Fachpresse feiert den legendären Claim als „Kult im Übergang“. Saturn-Marketingleiter Thorsten Eder ist sich seiner Sache sicher: „Das sieht man daran, wie oft der Spruch in Schlagzeilen auftaucht. Die Discounter legen wieder zu, Preisbewusstsein boomt.“ Er dürfte recht behalten, denn sein Produkt ist gut und die Werbung hält, was sie verspricht.
Auch Dieselgate ein Marketingdesaster
Anders ist die Situation derzeit bei den Autobauern. Hier ist es angesichts der Diskussion um #dieselgate, Fahrverbote und die generelle Zukunft des Selbstzünders das Produkt, das gravierende Mängel aufweist. Da die Vorstände bei VW, Audi & Co offenbar seit Jahren Kenntnis des Problems besaßen, hätten sie nicht zulassen dürfen, dass ihr Marketing mit Begriffen wie „Clean Diesel“ wirbt.
Die Diesel-Werbung versprach, was das Produkt nicht halten konnte. Abgesehen von Betrugsvorwürfen und dem enormen Wertverlust, den Dieselkunden nun erleiden, ist das Marketing der Autobauer mit schuld daran, dass das Vertrauen in die PKW-Hersteller auf einem Tiefpunkt angelangt ist. Der Appell der VW-Marketingverantwortlichen via Zeitungsanzeigen im März 2016 klingt heute wie Hohn.
Die einzig richtige Antwort der Kunden ist Abkehr: Selbst bei der wichtigen Gruppe der Firmenkunden erlitt Volkswagen im vergangenen Jahr einen empfindlichen Einbruch.
Hohn ist ein schlechter Verkäufer
Wenn Unternehmen und Marketing die Kunden verhöhnen, haben beide ihre Aufgabe gründlich missverstanden. Marketing ist ein starkes Instrument der Unternehmens- und Markenführung. Falsch eingesetzt kann es die Marke ruinieren, richtig eingesetzt jedoch Bestand und Zukunft des ganzen Unternehmens sichern. Das sollten Vorstände aus den Marken-Katastrophen der Vergangenheit wenigstens lernen.
Marketing gehört auf die Vorstandsebene, auf Augenhöhe mit allen anderen Lenkern des Unternehmens. Nur eine richtige und klare Zielgruppen-Positionierung und ebenso wahre wie klare Marken-Kommunikation kann die Zukunft der Marken sichern.
Als Nächste müssen McDonald’s, Coca-Cola und Danone - stellvertretend für hunderte andere Unternehmen - darüber entscheiden, wie sie ihrerseits mit Themen wie gesunde Ernährung, Zucker und Übergewicht umgehen. Sonst sind sie schon bald das nächste Air Berlin.