Werbesprech

Für die Werbung kann TV nicht trashig genug sein

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Werben am Anus vorbei

Keine Sendung ist wohl beispielhafter für das irrwitzige Verhalten der Werbekunden als „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!“ Anfangs lief die als eklig angeprangerte Show praktisch ohne Werbung. Die Werber waren verunsichert. Sollten sie in einer Show, in der zweifelhafte Promis Vaginen, Hoden und After aßen, ihre Lebensmittel und Süßigkeiten bewerben? Sie zweifelten, bis sich das deutsche Feuilleton der Sendung annahm, die Quoten in den Himmel wuchsen und die Zuschauerdaten Erstaunliches zu Tage förderten: Den Dschungel-Spaß guckten nicht nur die heißbegehrten Werberelevanten, sondern Gebildete und Menschen mit mehr als nur Hartz4-Einkommen, die man bekanntlich eher selten vor die Glotze bekommt.

Es begann ein lange nicht mehr dagewesener Ansturm auf die Werbeblöcke, die die diversen Ekligkeiten voneinander trennten. Im Nu waren die Sendeplätze ausverkauft. Die Schlacht um die spärlichen Sponsoren-Plätze gewann nur, wer den Höchstpreis zahlte. Der Dschungel führte zu einer Preisexplosion, die selbst RTL überrascht haben dürfte. Der Kölner Sender kann verlangen was er will - die Werbekunden zahlen. In einer Zeit, in der seit Jahren nur noch über Rabatte verhandelt wird, reibt man sich bei RTL die Hände.

Die anhaltende Diskussion um die Vorführung minderbegabter Menschen in „Deutschland sucht den Superstar“ oder Kritik an Heidi Klums „Germany’s Next Top Model“ stören Werbekunden schon lange nicht mehr. Selbst das unsägliche Frauenbild, das „Der Bachelor“ feilbietet und die weibliche Zielgruppe zutiefst entrüstet, hält auch konservative Unternehmen nicht davon ab, die Werbeblöcke bis zum Überlaufen zu füllen.

Gleichgültigkeit trifft auf Gleichgültigkeit

Immer wieder ist die gleiche Mechanik zu beobachten: Es beginnt bei jeder neuen Trash-Show mit blankem Entsetzen, darauf folgt das Störfeuer aus dem Lager der Feuilletonisten und der erhobene Zeigefinger der Bildungsexperten und Psychologen. Schon sehr bald jedoch die Eingewöhnungsphase, dann zeitgleich mit dem Anstieg der Zuschauerquote der Run auf die Werbeblöcke.

Dabei ist bemerkenswert, dass die Werbekundschaft bei allen anderen Medien peinlichst genau darauf achtet, dass das redaktionelle Umfeld qualitativ und themengerecht zur eigenen Marke passt. Hochwertige Kosmetik und Luxusmarken füllen Vogue und Elle; Bild der Frau und Neue Post meiden sie wie Graf Dracula das Tageslicht. Mercedes und BMW lieben das Qualitätsumfeld in Stern und Spiegel; in minderwertigen Titeln wird man ihre Anzeigen nicht finden.

In Tageszeitungen suchen die Imagekampagnen der deutschen Industrie den Wirtschaftsteil, anstatt im Umfeld der Schweinebauchanzeigen zu stehen. Der Online-Trend hin zu Native Advertising ist nichts anderes als Umfeldplanung. Auch im Radio wird das geeignete Umfeld zur besten Uhrzeit ausgewählt. Nur für TV sind diese Grundregeln offenbar außer Kraft gesetzt. Die Qualität des Umfeldes ist den Werbekunden völlig gleichgültig. Gegen Trash-Umfelder sind sie im TV völlig abgehärtet.

Es ist dieselbe Gleichgültigkeit, die die die Menschen den Marken entgegenbringen. In seinem Marketing-Bestseller „How Brands Grow“ führt Byron Sharp aus, dass den meisten Verbrauchern die Marken, die sie kaufen, völlig egal sind. Sie sind mit anderen, wichtigeren Dingen beschäftigt. Marken sind für sie nicht mehr als ein notwendiges Übel.

Wenn das stimmt, dann passt es doch wunderbar: Die zunehmende Gleichgültigkeit auf Seiten der Marken erzeugt und trifft auf Gleichgültigkeit beim Verbraucher. Darüber dürfen sich die Marken dann aber bitte nicht wundern.

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