Die Werbung erfindet sich neu. Zumindest spricht die Branche von nichts anderem mehr. Mit der Digitalisierung der Medien müsse sich auch die Werbung revolutionieren. Sie müsse den Endverbraucher und seinen Wunsch nach Transparenz ernst nehmen. Sie könne endlich in einen Dialog mit ihren Zielgruppen treten. Statt zu nerven, würde sie uns nur noch die Werbung zeigen, die wir uns sehnlichst wünschen.
Das klingt gut. Jetzt müssten nur noch Taten folgen. In der Geschwindigkeit, mit der die mobile Nutzung des Internets zunimmt, stellen sich der Werbung völlig neue Herausforderungen. Während der Online-Werbemarkt aktuell stagniert, wachsen die Ausgaben für mobile Werbung um 70 Prozent. Aus Online wird Mobile. Je kleiner die Screens aber werden, desto mehr muss die Werbung neue Formate und Wege finden, um den Zugang und Anschluss an ihre Zielgruppen nicht zu verlieren. Doch davon ist wenig zu sehen. Der Großteil der Werbung, die an unsere Smartphones und Tablets ausgeliefert wird, stört dort noch mehr als zuvor am Rechner.
Derweil treiben die Werber immer neue Säue durch die digitalen Dörfer. Sie reden von „Content Advertising“, als wäre die Vermittlung von Inhalten eine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Sie erfinden „Native Advertising“, wollen damit den Anschein erwecken, nicht Werbung, sondern Redaktion zu sein und den Leser am Ende doch hinters Licht führen. Und sie fordern „Storytelling“ als jüngste Erfindung der Branche - offenbar nicht ahnend, dass die Väter der Werbung in den 60er und 70er Jahren mehr Geschichten erzählten als die jungen Digitalwerber, die heute an ihren Macs sitzen und dort ihr nerv tötendes Werbegetrommel entwickeln.
Aus Werbung wird Humbug
Aus Storytelling wird dann schnell der Zwang, Werbe-Geschichten zu erfinden, die bisweilen haarsträubend sind. So erzählt die Käsemarke Alpenhain neuerdings die Geschichte eines quaderförmigen Bergs in einem bislang unentdeckten „Toaster-Tal“ in den Bayerischen Alpen, das angeblich über Jahrzehnte von der Außenwelt abgeschnitten war. „Werben & Verkaufen“ schreibt dazu: „...dann ist das in Markenkommunikation gegossener Humbug. Ohne jeden Sinn.“ Nicht einmal von Zielgruppenveräppelung könne dabei die Rede sein.
Die Experimentierfreude auf diesem Feld treibt seltsame Blüten. Die amerikanische Airline Virgin America ließ einen Online-Film erstellen, der fünf Stunden und 45 Minuten dauert und veranschaulichen will, wie langweilig ein Flug von Newark nach San Francisco sein kann, wenn man mit der fiktiven Konkurrenz BLAH Airlines fliegt. Die verzweifelte Botschaft dahinter: Bei Virgin America ist alles besser…