
Der Skandal um Volkswagens Abgas-Manipulationen erblickte am 3. September das Licht der Öffentlichkeit. Seither gibt es seitens des Konzerns außer einer nicht sonderlich beispielhaften Krisenkommunikation und extrem wenig Aufklärungsarbeit nichts weiter als eine mindestens wöchentliche Ausweitung des Betrugs. Es ist ein Betrug am Kunden, an der Umwelt und damit auch an der gesamten Gesellschaft. Das scheint den Verantwortlichen allerdings bis heute nicht wirklich klar zu sein.
Die Rede ist stets von den Ingenieuren und Software-Spezialisten, die die manipulierende Software entwickelt haben müssen. Doch sie, vermutlich verantwortungsbewusste Familienväter und Mütter, handelten im Auftrag.





Davon darf man ausgehen. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Die Manipulationen dienten dem Zweck, Abgas- und CO2-Messwerte auf möglichst effizientem, dennoch betrügerischem Wege zu senken und damit den Profit des Konzerns zu steigern. Und für den Profit ist einzig die Konzernspitze gegenüber ihren Aktionären verantwortlich. Dass zu den VW-Aktionären auch das Land Niedersachsen zählt - und damit die Bürger des eigenen Landes - gibt der Angelegenheit eine besonders zynische Note.
Nachsitzen in Sachen Markenführung
Wie damit in der Folge umzugehen sein wird, bleibt Sache der Umweltbehörden, der Kontrollorgane und auch der Gesetzgeber. Ein weiterer Aspekt sollte den Lenkern und Marketingchefs aller Unternehmen jedoch angesichts dieses Skandals eine Lehre sein: Mindere Produktqualität und Betrug am Käufer schädigen die Marke. Was banal und selbstverständlich klingt, muss den Chefetagen offensichtlich immer noch - wie Viertklässlern, die nachsitzen müssen - erläutert und eingebläut werden.
Auto-Rückrufe in den USA im Jahr 2014
Rückrufquote: 912 Prozent
Rückrufmenge: 26,77 Millionen Fahrzeuge
Quelle: auto-institut.de
Rückrufquote: 577 Prozent
Rückrufmenge: 8,9 Millionen Fahrzeuge
Rückrufquote: 423 Prozent
Rückrufmenge: 9,1 Millionen Fahrzeuge
Rückrufquote: 364 Prozent
Rückrufmenge: 0,28 Millionen Fahrzeuge
Rückrufquote: 253 Prozent
Rückrufmenge: 6,0 Millionen Fahrzeuge
Rückrufquote: 230 Prozent
Rückrufmenge: 0,7 Millionen Fahrzeuge
Rückrufquote: 227 Prozent
Rückrufmenge: 0,90 Millionen Fahrzeuge
Rückrufquote: 195 Prozent
Rückrufmenge: 4,83 Millionen Fahrzeuge
Rückrufquote: 161 Prozent
Rückrufmenge: 0,97 Millionen Fahrzeuge
Rückrufquote: 156 Prozent
Rückrufmenge: 0,029 Millionen Fahrzeuge
Rückrufquote: 126 Prozent
Rückrufmenge: 0,09 Millionen Fahrzeuge
Rückrufquote: 76 Prozent
Rückrufmenge: 0,28 Millionen Fahrzeuge
Rückrufquote: 0 Prozent
Rückrufmenge: 0,0 Millionen Fahrzeuge
Während das #dieselgate die meisten VW-Käufer zunächst erstaunlicherweise kalt ließ, bricht der Absatz bei Volkswagen seit Bekanntwerden der gefälschten Verbrauchs- und CO2-Werte laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) regelrecht ein: Ein VW-Händler sagte der Zeitung: „Das Geschäft ist mausetot, und das ist nicht nur bei uns so.“ Die neuerlich betroffenen Autos seien größtenteils noch nicht ausgeliefert, stünden auf den Höfen der Händler und erwiesen sich seitdem als unverkäuflich. VW wies den Bericht wenig später zurück: Die in der "FAZ" zitierte Aussage könne man nicht bestätigen, teilte ein Sprecher mit.
In den Absatzzahlen lässt sich der Skandal noch nicht ablesen: Volkswagen hat im September zwar weltweit erneut weniger Autos verkauft als vor einem Jahr, teilte der Wolfsburger Konzern am 16. Oktober mit. Grund war aber vor allem die geringe Nachfrage in Brasilien und Russland, wo wegen der schwachen Konjunktur kaum Autos verkauft werden. Der Skandal um manipulierte Abgaswerte hinterließ dagegen noch keine Spuren.
Die Konzernlenker bei Volkswagen haben die ihnen anvertrauten Marken - betroffen sind VW, Audi, Seat, Skoda und nun womöglich auch Porsche - massiv beschädigt. Sie haben mit ihren Handlungen jedoch einen deutlich größeren Schaden angerichtet: Sie haben das weltweite Vertrauen in „Made in Germany“, damit also den Ruf der gesamten deutschen Industrie, in den Schmutz gezogen. Gleichzeitig zerstören sie das letzte Quäntchen Vertrauen, das die Menschen noch in die Werbung besaßen.
Rückruf für die ganze Branche
Doch die Wettbewerber um die Gunst der Automobilkäufer sollten sich nicht zu früh freuen. Eine aktuelle Studie im "Journal of Marketing Research" zeigt, dass sich das negative Image auch auf andere Marken überträgt. Untersucht wurde das Verhalten der Verbraucher in den sozialen Medien nach Bekanntwerden von Rückrufaktionen in der Automobilindustrie. Die Autoren der Studie stellten fest, dass bis zu drei Viertel der negativen Posts andere als die vom Rückruf betroffenen Marken tangierten. Die Wissenschaftler sprechen von einem „Halo“-Effekt, der sich auf alle Wettbewerber ausweitet.
Auto-Konzerne missachten die Bedürfnisse der Kunden
Damit nicht genug: Sowohl Zahl als auch Umfang der Rückrufaktionen der Pkw-Hersteller haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Der ADAC ermittelte 1500 Rückrufaktionen alleine in der Automobilindustrie. Für den Auto-Käufer wirkt es so, dass die Qualität der intensiv und mit viel Prunk beworbenen Marken massiv nachgelassen hat. Dass die Konzernchefs und ihre Marketingverantwortlichen dennoch glauben, immer höhere Preise durchsetzen zu können, um sich selbst Millionen-Gehälter und ihren Aktionären immer höhere Dividenden auszuzahlen, spricht für eine grenzenlose Naivität. Sie spielen mit dem Feuer. Und sie spielen der nachwachsenden Käufergeneration in die Hände, denen das Auto als Prestigeprodukt längst nichts mehr bedeutet.
Rückrufe der deutschen Autobauer
Gemessen an den Neuzulassungen belegt der Volkswagen Konzern mit nur 61 Prozent die beste deutsche Platzierung. Im ersten Halbjahr 2014 rief VW rund 177.000 Einheiten der Marke Volkswagen und sowie 209 Porsche (911 GT3) in die Werkstätten zurück.
Mit rund 89 Prozent im Vergleich zu 334 im Vorjahr konnte sich vor allem BMW als Premiumanbieter wieder stabilisieren.
Daimler konnte seine sehr gute Position aus dem Vorjahr nicht halten. Der Konzern beorderte rund 253.000 Fahrzeuge der C-Klasse aufgrund von Fehlfunktionen der Rücklichter zurück zum Servicepartner und erreicht damit eine Rückrufquote von 151 Prozent (Vorjahr: 0,2%).
Die Verantwortlichen in den Chefetagen der Automobilkonzerne machen derzeit den größten Fehler, den man begehen kann: Sie schauen auf die bevorstehenden Quartalsergebnisse statt in die Zukunft ihrer Branche. Sie betrachten ihre Bilanzen statt auf die Bedürfnisse ihrer heutigen und künftigen Kunden zu hören. Das wird sich als kolossaler Bumerang erweisen.
Missachtung der Markenqualität und Betrug am Kunden sind nur zwei von vielen Möglichkeiten, seine Firma und gleichzeitig die ganze Branche nachhaltig zu ruinieren. Streiks sind eine andere.
Der im seit zwei Jahren schwelenden Tarifkonflikt mittlerweile 14. Lufthansa-Streik in Folge macht aus dem Vorzeige-Kranich einen angeschlagenen Pleitegeier. Die Streiks kosten die Airline nicht nur bis zu 300 Millionen Euro, sondern auch die Wirtschaft des Landes 25 Millionen Euro pro Streiktag. Sie zwingen die Lufthansa zu immer neuen Einschnitten und Sparmaßnahmen. Und sie kratzen bedrohlich an der Zuverlässigkeit der ehemals glanzvollen Marke. Sie zwingen die Kunden auf Bahn und Pkw auszuweichen. Die Streikenden sägen am einzigen Ast, auf dem sie sitzen.
Digitales Hinterland
Eine weitere, ganz hervorragende Möglichkeit zur Beschädigung seiner Firma und ihrer Zukunftsaussichten am Markt ist die Missachtung der Digitalisierung. Auf dem diesjährigen IT-Gipfel griff Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die deutschen Dax-Konzerne für deren Rückständigkeit bei der Digitalisierung heftig an. Er stichelte: "Wenn beim nächsten Mal eine Investorenkonferenz für Start-ups in Berlin ist, wäre es schön, wenn auch die Dax-Konzerne da wären und nicht nur amerikanische Wagniskapitalgeber."
Gabriel hat offenbar recht. Eine Umfrage von Crisp Research unter Führungskräften in Deutschland ergab, dass nur 7 Prozent der Manager als „Digital Leader“ einzustufen sind, die sowohl über das nötige Wissen zum Thema Digitalisierung als auch über die Management-Qualitäten verfügen, „um die richtigen Entscheidungen in einer Welt voller disruptiver Entwicklungen zu treffen“.
Dienstleister
Ausgerechnet der neue VW-Chef Matthias Müller („Selbstfahrende Autos sind ein Hype“) ließe Zweifel aufkommen, ob er der Richtige ist, um den Autobauer für den Wettbewerb mit Apple, Google und Tesla fit zu machen. Damit schließt sich der Kreis zu den offensichtlichen Missständen im VW-Konzern. Denn die Digitalisierung als schlichten Medienhype abzutun, dürfte eine katastrophale Fehleinschätzung sein.
Es wäre ratsam, Führungskräfte, die ihre Unternehmen dermaßen schädigen, bald zu entfernen. Sie sollten Platz machen für verantwortungsvolle Vordenker, die ihre Kunden und die Gesellschaft respektieren. Und die ihre Firmen mit mutigen Schritten in die digitale Zukunft führen.