Werbesprech
Quelle: imago images

Wie zukunftsfähig ist die Branche der Alphatiere?

Das alte Agenturmodell steht schon lange auf dem Prüfstand. Nun beschleunigt Corona auch im Werbemarkt die Transformation. Da stellt sich die Frage: Wie kann die Agentur der Zukunft aussehen?

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Die Werbeagentur alter Prägung gibt es schon lange nicht mehr. Die früheren Full-Service-Agenturen stellten sich breit auf und boten dem Werbekunden jede nur erdenkliche Disziplin und eine Dienstleistungstiefe, die sich sehen lassen konnte: Marktforschung, Marketingberatung, Kreation, Media, Verkaufsförderung, Produktion.

Nachdem sich in den Achtzigerjahren zunächst der Mediabereich abspaltete, die Agenturen dann freiwillig auf Marktforschung verzichteten und in den späten Neunzigerjahren die ersten Onlineagenturen entstanden, blieb vom ehemaligen Full-Service-Gedanken nicht viel übrig.

Gut war diese Entwicklung für die Agenturen nicht. Mit der kompletten Verselbstständigung der digitalen Disziplinen verloren sie Ansehen, Kompetenz, vor allem aber das neu entstandene Income. Noch mehr Profit verloren sie nur durch die neuen Mediaagenturen, die in den Folgejahren immer profitabler wurden und den Kreativagenturen nur noch Bruchteile der früheren Honorare überließen.

Gut war die Entwicklung auch für die Werbekunden nicht, mussten sie fortan mehrere Agenturdienstleister beschäftigen, bezahlen und koordinieren. Es ist daher nachvollziehbar, dass die Kreativagenturen seit geraumer Zeit bemüht sind, wenigstens das Mediageschäft wieder näher an sich zu binden.

Der Markt fordert Integration

Der jüngste Vorstoß kommt von der Agenturgruppe Publicis. Christian Rätsch von Saatchi & Saatchi postuliert: „Die Kunden werden dafür sorgen, dass das aufhört - aus Kostengründen, aus Effizienzgründen, aus Effektivitätsgründen. Der Markt verlangt nach einer integrierten Sicht.“ Publicis-Chefstratege Arne Brekenfeld sekundiert: „Die Kreativen ärgerten sich, weil die Mediaexperten die Marketingbudgets der Kunden in Kanäle verteilten, in denen die kreative Idee nicht funktionierte. Die Medialeute rauften sich die Haare, weil etwa eine stark personalisierte Konsumentenansprache mit den vorgelegten Kreationen unmöglich war. Wenn eine Kampagne nicht wirkte, waren immer die anderen schuld. Der Kunde war der Leidtragende.“

Die Kontrahenten sind sich in einem Punkt einig: Es geht um die bestmögliche Dienstleistung am Werbekunden und um möglichst wirksame Kampagnen, die unter der Trennung von Kreation und Media nachweislich leiden.

Doch die Meinung der Werbungtreibenden wiegt schwerer als die der Agenturvertreter. Im eigenen Interesse forcieren sie zwar die Zusammenarbeit der Streithähne, profitieren jedoch auch von deren Trennung: Wenn zwei Kommunikationsdisziplinen mit unterschiedlichen Ideen und Meinungen aufeinandertreffen, hat der Werbekunde die Qual der Wahl – aber in Einzelfällen die bessere Lösung. Dennoch bleibt es dabei: Der Hund beißt sich hier in den Schwanz.

Die Geburtsstunde der Customized Agency

Derweil treibt die Werbekunden ein gänzlich anderes Thema um. Sie fordern maßgeschneiderte Lösungen und eine engere Zusammenarbeit der Agenturen mit ihren Marketing- und Kommunikationsabteilungen. Die naheliegende Lösung: die „Customized Agency“ – eine Agentur, die eigens für einen einzigen Werbekunden gegründet wird. Die erste derartige Kunden-Exklusiv-Agentur hieß Antoni und wurde 2015 von André Kemper und Tonio Kröger für Mercedes aus der Taufe gehoben.

Seither gingen eine Vielzahl ähnlicher Customized Agenturen an den Start: Bobby & Carl für Thyssenkrupp, Zum roten Hirschen für MediaMarkt, iBeauty für L’Oréal, LTT für McDonald’s. Volkswagen ging 2019 noch einen Schritt weiter und verkündete ein neues Modell, dem sie den Namen „atmendes Powerhouse„ gaben. In der Ankündigung hieß es: „Sechs Monate am Stück haben rund 60 Mitarbeiter aus Agenturen gemeinsam mit rund 40 Mitarbeitern von Volkswagen in ständigen Sprints zusammengearbeitet und einen gemeinsamen Spirit entwickelt.“ Das ungewöhnliche Modell mündete für Volkwagen in ein kommunikatives Desaster. Mit einem Instagram-Werbeclip blamierte sich der Autobauer bis auf die Knochen und handelte sich den Vorwurf des Rassismus ein. Hier fehlte es scheinbar nicht nur Mitarbeitern an Empathie, sondern auch an funktionierenden Kontrollmechanismen. Offenkundig lässt sich ein Powerhouse („Die Kunst, einen Flohzirkus zu führen“) doch nicht so einfach steuern. Man darf wohl behaupten, dieses Modell sei gescheitert.

Die eigene Agentur, die Agenturen überflüssig macht

Im gleichen Atemzug stärkten Werbekunden die eigene Expertise und holten sich Spezialdisziplinen wie Programmatic Media ins eigene Haus. Einerseits um die Effizienz zu steigern, vor allem aber um zu vermeiden, dass höchst sensible Kundendaten in die Hände Dritter gelangen.

Zu den zahlreichen Unternehmen, die diesen Weg einschlugen, gehört etwa der Telekommunikations-Riese Vodafone. Das Ergebnis: „Nach zwölf Monaten hat die Analyse ergeben, dass der ROI der Digitalwerbung durchschnittlich um 47 Prozent gestiegen ist.“ Verständlich also, dass immer mehr Unternehmen digitale Werbung ohne die herkömmlichen Agenturen betreiben. Und je mehr sich die Werbung automatisiert, desto überflüssiger werden die Agenturen.

„Die klassische Werbeagentur hat ausgedient“ schrieb das “Handelsblatt" bereits 2019. Kern der These: In der neuen Marketingwelt überleben nur Agenturen, die einen technologischen Kern in sich tragen. Die Lage für die alten Werbegrößen, die milliardenschweren Werbekonzerne WPP, Omnicom und Publicis, sei ernst. Branchenprimus WPP steckt bereits in der größten Krise seiner Geschichte.
Die Antwort der Agenturwelt fiel uninspiriert aus: Technologie-Berater wie Accenture kauften sich Kreativagenturen, Kreativ- und Mediaagenturen erwarben AdTech-Expertise hinzu. Doch der Erfolg blieb aus. Sinnvoller war es bislang, sich auf seinen Kern zu konzentrieren: Kreation oder AdTech. Beides zusammen ist Neuland und will – noch – nicht so recht funktionieren.

Corona schafft einen neuen Agenturtypus

Die vergangenen Krisenwochen haben Hunderttausende Agenturmitarbeiter in Kurzarbeit und Home Offices geschickt. Die Koordination der Arbeit und Kommunikation der Teams untereinander verlief via Video Calls. Nach einhelliger Aussage aller Beteiligten funktionierte das nach anfänglichen IT-Problemen reibungslos. Künftig wollen bis zu 60 Prozent aller angestellten Werber häufiger remote arbeiten.

Was signifikante Folgen für den Bürobedarf und die Verkehrsinfrastruktur haben wird, hat ebenso große Folgen für die Arbeitsweise in den Agenturen. Das große Thema New Work, das nur schleppend Einzug in die Werbebranche fand, ist in Teilen plötzlich Wirklichkeit. Fortan ist es gleichgültig, ob Kollegen am gleichen Ort zusammenkommen. Künftige Werbe-Nomaden können ebenso gut in Seattle, Singapur oder Funchal sitzen.

Das hat massive Konsequenzen für die Zusammenstellung der Teams. Mit einem Mal können die Besten ihrer Zunft unabhängig von ihrem Wohnort zusammenarbeiten. Erste Auswirkungen sind bereits zu erkennen: Gänzlich unbemerkt von der Branchenöffentlichkeit fanden sich in den letzten Wochen immer häufiger Spezialagenturen zusammen, um gemeinsam gegen die etablierten Agenturen auf Kundenfang zu gehen. So könnte die Agentur der Zukunft aussehen.

Die Kollaboratoren

Die Teambildung von Einzelagenturen, oft angedacht und ebenso oft gescheitert, wird heute möglich dank Microsoft Teams, Skype, Cisco WebEx oder Zoom Video Communications. Dieser neue Typus Agentur wird jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn Kollaboration im wahrsten Sinne des Wortes gelingt.

Im Deutschen ist der Begriff „Kollaboration“ – im Gegensatz zu anderen Sprachen – häufig negativ besetzt und meint die „Zusammenarbeit mit dem Feind“. Insofern richtig, denn nun kollaborieren Agenturen, die zuvor im Wettbewerb zueinander um die Gunst der Werbekunden arbeiteten. Und der Kunde erhält das Beste aus drei Welten: herausragende Kreation und effektive Mediaansprache, gepaart mit technologischen Meisterleistungen. Das nennt man dann wohl State of the art.

Eine derartige Kollaboration der Werbe-Disziplinen kann nur auf Augenhöhe und im respektvollen Miteinander funktionieren. Dafür ist die Werbebranche nicht gerade bekannt. Man darf also durchaus bezweifeln, ob die „Branche der Alphatiere“ hierzu imstande ist. Man darf es aber auch zulassen und auf Kundenseite herausfordern. Dann entstünde ein neuer Agenturtypus, der das Zeug hat, die dringend nötige Transformation der Werbebranche zu verwirklichen. Der Werbung täte es verdammt gut.

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