Werbung in der Pandemie „Ich würde AstraZeneca helfen“

Meinungsstarke Werber: David Stephan (l.) und Martin Eggert. Quelle: PR

Ausgerechnet im Corona-Jahr erlebt die junge Münchner Agentur David + Martin ihren Durchbruch mit vielen Etatgewinnen. Die beiden Gründer David Stephan und Martin Eggert über ihr ungewöhnlich offenes Engagement gegen Rechts, was Nike besser macht als Adidas und warum Einsen und Nullen für gute Werbung nicht ausreichen.

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Martin Eggert (Geschäftsführer Beratung) und David Stephan (Geschäftsführer Kreation) sind mit ihrer Agentur David + Martin im vergangenen Jahr durchgestartet. Zu ihren Kunden zählen unter anderem MAN, Netflix, Süddeutsche Zeitung, Müller Milch, BMW und die Grünen.

WirtschaftsWoche: Kaum ein Unternehmen hat derzeit so massive Image-Probleme wie AstraZeneca. Für viele Menschen steht der Name des Pharmaherstellers inzwischen statt für einen wirksamen Impfstoff für Lieferverzögerungen, Verunsicherung und Thrombosegefahr. Würden Sie jetzt für AstraZeneca werben?
David Stephan: Ehrlich gesagt wollte ich nach früheren Erfahrungen mit der Branche nicht mehr für ein Pharma-Unternehmen arbeiten. Wir haben tatsächlich einige Anfragen aus der Branche abgesagt. Aber in diesem Fall würde ich Prinzipien wohl über Bord werfen, denn hier geht es um eines der aktuell wichtigsten Themen überhaupt: Die Impfangst muss weg. Jeder risikolose und wirksame Impfstoff sollte eingesetzt werden. Und daher würde ich AstraZeneca auch auf jeden Fall helfen, sofern das Unternehmen es schafft, einen Impfstoff herzustellen, der über die Zweifel erhaben ist. Ob und wie gut das Produkt ist, kann ich natürlich nicht beurteilen. Ein minimal erhöhtes Risiko im Bereich eins zu Zigtausend sollte kein Grund sein, ein Produkt grundsätzlich zu verteufeln. Jetzt gilt es erst Mal darum, die Studien der Spezialisten abzuwarten.

Heißt, Sie würden für AstraZeneca werben?
Stephan: Jeder risikolose und wirksame Impfstoff sollte eingesetzt werden. Und daher würde ich AstraZeneca auch auf jeden Fall helfen, sofern das Unternehmen es schafft, einen Impfstoff herzustellen, der über die Zweifel erhaben ist. Ob und wie gut das Produkt ist, kann ich natürlich nicht beurteilen. Ein minimal erhöhtes Risiko im Bereich eins zu Zigtausend sollte kein Grund sein, ein Produkt grundsätzlich zu verteufeln. Jetzt gilt es, die Studien der Spezialisten abzuwarten.

Wenn das Vertrauen erst einmal so ramponiert ist – lässt es sich durch Werbung überhaupt reparieren?
Stephan: Bestimmt nicht mit einer der so beliebten „Haltungskampagnen“, bei denen der Vorstandsboss zu seinem Marketingchef läuft und ihm sagt: Wir brauchen jetzt auch so einen „Purpose“, also ein Unternehmensziel, eine Daseinsberechtigung jenseits des reinen Geldverdienens. Es gibt ja wirklich Agenturen, die versprechen ihren Kunden, ihnen innerhalb von ein paar Wochen für eine gewisse Summe einen „Purpose“ mundgerecht zu entwickeln. Dazu gibt es richtige Programme, die quasi gebucht werden können.

Wie praktisch…
Martin Eggert: Logisch, dass das nicht funktioniert. Eine Haltung ist etwas, was von innen kommen muss. Die kann man suchen, die kann man finden und dann nach außen zeigen – aber die kann man als externer Dienstleister nicht konstruieren. Haltung ist keine bunte Anmalerei durch eine Kreativagentur, bei aller Liebe. Für manche Unternehmen und Marken mag das im ersten Moment sicher verlockend klingen. Dieses „Purpose“-Ding war ja nicht umsonst das Buzz-Word vor Corona. Aber spätestens jetzt durchschaut das doch jeder.

Was bleibt AstraZeneca dann?
Stephan: Sicher keine nette Feelgood-Werbung, die wäre genauso fehl am Platze. Ich würde auf Fakten setzen. Denn spätestens jetzt ist doch bei jedem angekommen, wie ernst das Thema Corona und wie wichtig Impfungen sind. Deshalb würde ich zu einer sehr zahlengetriebenen Kommunikation raten. Die müsste sehr schonungslos arbeiten und den Menschen klarmachen, was passiert, wenn wir alle aufhören würden, uns impfen zu lassen. Daher gilt es, Risiken gegenüberzustellen – zum Beispiel wie hoch ist das reale Risiko für einen gesunden Menschen, eine Thrombose zu entwickeln? Und das auf eine sachliche Art und Weise.

Gilt das gerade generell für Werbung und Kommunikation? Muss der Ton heruntergedimmt werden, weil die Zeiten so ernst sind?
Eggert: Der Ton ist sicher insgesamt ernster geworden. Covid war da ein wesentlicher Katalysator beim Thema Kommunikation. Die Pandemie hat Werbekunden gezwungen, sich ernsthaft und grundsätzlich zu hinterfragen. Sie mussten verstehen, dass die Welt sich schneller dreht und Werte sich spürbar verschieben. Das führt dazu, dass du auch in der Kommunikation auf einmal über ganz andere Themen reden darfst – und musst. Konsumenten erwarten heute mehr von den Marken, mit denen sie sich abgeben wollen.

Gilt das auch für Werbekunden, die mit Ihnen als Dienstleister zusammenarbeiten? David + Martin macht Dinge, die man in der Werbebranche selten sieht – auf Ihrer Homepage steht ziemlich unverblümt „FCK AfD“ – keine Angst, Kunden zu vergraulen?
Eggert: Ja klar, das passiert natürlich. Gerade zu Beginn, als wir noch kleiner waren, gab es Kunden, die mit uns arbeiten wollten, aber die Sorge hatten, dass unsere Haltung negativ auf sie durchschlagen könnte. Insofern ist das Logo, das seit drei Jahren auf unserer Homepage steht, für uns eine Art Filter, ein Signal, dass wir gewisse Anfragen gar nicht erst haben wollen. Dafür aber für viele andere Kunden, die in der Zusammenarbeit mit uns schon fast eine Art Statement sehen.

In den USA rufen namhafte Agenturen die Branche dazu auf, nicht für Zigarettenkonzerne oder Energieversorger zu arbeiten. In Deutschland ist die Agenturszene dagegen sehr brav?
Stephan: Wenn es um wichtige gesellschaftliche Themen geht, ist eine Solidarisierung zwischen den Agenturen, die gemeinsam auch mal Zeichen setzen könnten, nicht ausreichend vorhanden. Vom Agenturverband GWA gibt es beispielsweise Versuche, Themen wie die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen auf die Agenda zu bringen. Aber selbst da trauen sich viele nicht, Farbe zu bekennen. Das finde ich extrem schade, weil diese fehlende Haltung auch mit ein Grund dafür ist, warum unsere Branche immer wieder in Verruf gerät. Ich habe den Eindruck, wir sind uns entweder zu fein, mal auf den Tisch zu hauen oder haben zu oft Angst, potenzielle Kunden könnten es uns übel nehmen, wenn eine Agentur ein politisches Statement setzt.

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