Werner Knallhart
Quelle: dpa

Allianz-Arena ohne Regenbogen: Die UEFA verrät unsere europäische Idee

Sie hat es getan: Die UEFA setzt ein Zeichen gegen Vielfalt und friedliches Miteinander und verbietet München, das Stadion regenbogenbunt erstrahlen zu lassen. Wenn das große Geld winkt, müssen die freiheitsliebenden, modernen Europäer einfach mal ein paar Wochen die Klappe halten. Wie uneuropäisch!

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Seit seiner Coca-Cola-Flaschen-Verschiebe-Aktion finde ich Cristiano Ronaldo noch bewundernswerter. Der Typ hat Haltung und spielt die aus. Und ich kann sehr gut verstehen, dass er als Mensch, der fest von Wasser als dem besten Durstlöscher überzeugt ist, sich nicht bieten lassen möchte, als Werbeikone für den Zuckerschocker Coca-Cola auf hunderten Fotos über seine Pressekonferenz herzuhalten. Ob der Spieler vertraglich dazu verpflichtet ist, sei mal dahingestellt.

Der Mann lässt sich seinen Standpunkt eben nicht abkaufen. Die UEFA hingegen wirkt in dieser EURO 2020 ganz besonders seelenlos und ohne Rückgrat. Und macht so unfassbar viel falsch. Die vollgestopften Stadien, weil die UEFA Aufbruch zeigen will. Dann die Auswahl der Sponsoren: Hauptsache, die Kohle kommt rein. Dass bei einem europäischen Fußballturnier plötzlich chinesische Schriftzeichen über die Bandenwerbung huschen, dass könnte man ja noch hinnehmen. Doch so gierig, wie die UEFA beim Geldeinsammeln agiert, um Corona wettzumachen, muss man ja befürchten, dass sie sich nicht einmal erkundigt hat, was da steht.

Die Hälfte der Länder, aus denen die Sponsoren stammen, sind nicht gerade glühende Fans von Menschenrechten. Der Haushaltsgerätehersteller Hisense, der Handybauer Vivo und der Bezahldienst Alipay kommen allesamt, nein, nicht aus dem Arabischen, sondern aus China. Vivo und Hisense stehen im Verdacht, von der Ausbeutung der diskriminierten Minderheit der Uiguren in China zu profitieren. Aus dem Arabischen kommen Qatar Airways. Katar, das Land, das wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht - ausgerechnet auch im Zusammenhang mit dem Bau der neuen Fußballstadien für die Fußball-Weihnachtsmarkt-WM im Dezember nächsten Jahres.



Aus China kommt noch der Sponsor Tiktok. Die Kurzvideo-App, über die vergangenes Jahr bekannt geworden ist, dass sie etwa einige russische und arabische LGBTQ+-Hashtags unkenntlich gemacht hat (was Tiktok selber einräumt).

Aber die zahlen halt gut. Die UEFA bemüht sich bei all diesen Verwicklungen eines billigen rhetorischen Tricks. Sie sagt, dass sie das Thema Fußball strikt vom Thema Politik trennen möchte. Das klingt nach dem Bemühen zu verhindern, dass jemand den Sport, der Menschen weltweit zusammenbringt, missbraucht für Propaganda. Aber diese Masche ermöglicht es der UEFA selber auch, die Augen vor Missständen zu verschließen - aus vermeintlich gut gemeinter Neutralität. Aber es ist eben auch Gleichgültigkeit aus Geldgier. Und damit wird der Fußball seiner durch die Reichweite verliehenen Machtfülle nicht gerecht.

Gäbe es nicht die mutigen Spieler, die dem Turnier Geist einhauchen würden, der ganze geheuchelte Zirkus wäre nicht mehr zu ertragen. Es sind die Spieler, die nicht nur zum Wassertrinken aufrufen, sondern die gegen Rassismus knien und die wie Manuel Neuer eine Kapitänsbinde in Re-genbogenfarben tragen. Dass es hierüber noch Diskussionen gibt - „Thema 2021: Darf man gegen Rassismus und Ausgrenzung Flagge zeigen?“ - wir werden es in zehn Jahren nur mit einem beschämten Kopfschütteln quittieren.

Wo wenn nicht im Fußball, wo es doch gerade beim heteronormativen testosterongesättigten Machogetue zu Affenlauten kommt und wo schwul für viele immer noch ein Synonym ist für scheiße, müssen Zeichen und Zeichen dagegen gesetzt werden. Nicht, dass die UEFA Rassismus und Ausgrenzung gutheißt. Aber einem Land wie Ungarn (vollgestopftes Stadion) nicht auf den Schlips treten zu wollen, das selber gegen den europäischen Geist agiert und die Rechte von Menschen jenseits des hetero-binären Mehrheitsschemas einschränkt, ist herzlos, ethisch fragwürdig und zumindest sehr feige. Einfach unsympathisch.

Es reicht nicht, sich irgendwo das Streben nach Fairplay, Toleranz, Völkerverständigung, Gleichheit aller Hautfarben, Orientierungen und Herkünfte irgendwo in die Statuten zu kritzeln und dann offiziell zu sagen: Die Stadien sollen einheitlich beleuchtet werden. Überhaupt: Einheitlichkeit. Was ist das eigentlich für ein Wert in Europa?

Der Fußball gehört nicht der UEFA

Die UEFA begründet das Vielfalt-Bekundungs-Verbot in München so: „Die Uefa ist gemäß ihrer Satzung eine politisch und religiös neutrale Organisation. Angesichts des politischen Kontextes dieses speziellen Antrags – eine Botschaft, die auf eine Entscheidung des ungarischen nationalen Parlaments abzielt – muss die Uefa diesen Antrag ablehnen“

Die UEFA verkennt zweierlei:

1. Der Fußball gehört nicht der UEFA. Fußball gehört zu uns Europäern. Der Fußball bringt uns zusammen. Das Event ist ein europäisches Event. Doch der europäische Fußballverband spricht nur von sich. Die Idee eines friedlichen, weltoffenen, vielfältigen Europas, das solch ein Event erst möglich macht, blendet die UEFA aus. Das ist anmaßend. Fußball ist entstanden als ein westeuropäischer Sport. Jetzt bei dessen internationaler Vermarktung die Werte des freien, vielfältigen Europas abzuwägen gegen die Zufriedenheit autokratischer Regime (und auch gegen lukrative Sponsorenverträge), verrät Europas Errungenschaften. Beim Thema Menschenrechte darf es keine Neutralität geben. Die internationale Anziehung des Fußballs, die Menschen aus aller Welt zusammenbringt, birgt die große Chance, die Werte der Nationen, die Fußball als erstes groß gemacht haben, in die Welt zu tragen. Stattdessen sollen jetzt die modernen Europäer mal für ein paar Wochen die Füße ruhig halten, damit die UEFA nicht gezwungen ist, jemandem auf die Füße zu treten. Das ist einfach mal wieder so ein herzloser Murks von Männerseilschaften, die den Blick aufs Große nicht nötig haben, um sich grandios zu finden.

2. Es ist ein Regenbogen! Es kein Gendersternchen, über das man streiten kann. Der Regenbogen steht als Ausdruck des Wunsches für ein friedliches Miteinander in Vielfalt für nichts, das jemandem schaden könnte. Das kann man anders sehen, aber dann ist man ein schlecht informierter Angsthase. Wir diskutieren zum Glück auch nicht darüber, ob es wirklich vertretbar ist, Frauen ins Stadion zu lassen, oder ob es eine Option wäre, die Fußbälle von Kindern nähen zu lassen. Auch wenn es Menschen auf dieser Welt gibt, die es anders beurteilen als die ganz überwiegende Mehrheit in der freien westlichen Welt. Es gibt ethische Standards, die niemals unter den Tisch fallen dürfen.

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Nun kann man darüber streiten, warum München das mit dem Regenbogen nicht bei jedem Bundesligaspiel macht, aber eine ebenfalls große internationale Wirkung hätte es auch in der EM gegeben. Gerald Asamoah erzählt ja hin und wieder, bevor er nach Deutschland kam, habe er das Land nur aus dem Otto-Katalog gekannt. Abermillionen Menschen auf der ganzen Welt werden Freiheit und Gleichheit und Angstfreiheit aus dem Sehnsuchtsort Europa nur aus Filmen und Serien kennen. Und wenn sie beim EM-Gucken mitkriegen, wofür die Menschen aus Gesellschaften einstehen, die schon so viel erreicht haben, dann kann dies das Denken der Menschen verändern. Klar kann man sagen, es ist nicht die Aufgabe von Fußball, die Welt besser zu machen. Aber es ist doch so ähnlich wie bei Amazon, Facebook und Apple. Irgendwann ist der gesellschaftliche Einfluss einzelner Vereinigungen so vielschichtig und groß, dass es nicht mehr allein die Entscheidung von ein paar Funktionären sein kann, auf welche Weise sie die Welt verändern wollen. Oder eben nicht, im Fall der UEFA.

Wenn die UEFA sich selber als neutral bezeichnet, aber verbietet, was den Münchnern (oder zumindest dem in einem funktionierenden demokratischen System mehrheitlich legitimierten Stadtoberhaupt) am Herzen liegt und was seit Tagen als pro und contra diskutiert wird, dann ist das eben am Ende nicht mehr neutral, sondern ein Bekenntnis zu contra. Eine solche Riesenportion an ambitionsloser, liebloser, teilnahmsloser, visionsfreier Duckmäuserei ist einem solchen Fest der Europäer einfach unwürdig. Jeder Freizeitpark ist da weiter.

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Mehr zum Thema: Marcus Werner schreibt über die alltäglichen Nebensächlichkeiten in der Wirtschaft, die es wert sind, liebevoll aufgeblasen zu werden. Hier finden Sie seine Kolumnen-Übersicht.

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