„F*ck dich!“ So endete vorletzte Woche ein Disput zwischen zwei Passagieren in einem ICE zwischen Berlin und Düsseldorf. Nur ohne *. Und das kam so: In der 2. Klasse waren nur noch ein paar versprengte Plätze im BahnComfort-Bereich frei. Diese Sitzplätze sind eigentlich gedacht für Kunden, die innerhalb eines Jahres mehr als 2000 Euro für Bahntickets ausgeben. Pro Euro gibt es nämlich einen Punkt. Und ab 2000 Punkten erreicht man den BahnComfort-Status. Der steht dann auf der BahnCard. Mit der kommt man sogar ohne Fahrkarte auch in die Comfort-Bereiche der DB-Lounges rein, was die in Bahnhöfen wie Berlin und Köln mittlerweile mitunter überlaufen lässt. Denn mit den Kosten für BahnCard und ein Jobticket fürs ganze Jahr sind 2000 Punkte von Pendlern schnell gesammelt.
In den Lounges gibt es im Comfort-Bereich kostenlose Getränke. Wer in eine DB-Lounge rein will, zieht seine BahnCard mit dem sagenhaften BahnComfort-Prädikat durch ein Kartenlesegerät am Eingangs-Counter. Leuchtet an dem dann eine Lampe grün, darf man rein und sich an den Zapfautomaten gratis einen kugelrunden Cola-Bauch antrinken. In den Zügen gibt es bekanntlich kein Kartenlesegerät an den Sitzen. Und damit geht die BahnComfort-Scham los.
Es war also kürzlich in einem ICE nach Düsseldorf, da wollte ein Mann um die 40 Jahre gerade seinen Hintern in einen BahnComfort-Platz sinken lassen, als es von hinten dröhnte: „Hallo? Haben Sie BahnComfort-Status?“
Da stand eine Frau in Allwetter-Jacke und Halstuch und mit drei Kindern knapp unter Teenager-Alter hinter ihm (und direkt neben mir, der ich mit meinem BahnComfort-Status zum Glück aus dem Schneider war und in meinem Sitzplatz durchatmen konnte) und keuchte verschwitzt: „Weil ich habe nämlich BahnComfort-Status und ich brauche vier Plätze!“
Der Mann, Typ Kletterhallen-Betreiber, war augenblicklich alarmiert und bellte: „Ich habe auch BahnComfort-Status!“
Die Mutter traute dem Braten nicht: „Zeigen Sie dann mal bitte Ihren Status auf der BahnCard.“
„Sie sind weder die Schaffnerin noch von der Polizei. Zeigen Sie mir doch erstmal Ihre BahnCard!“
Sofort zückte die Dame ihre BahnCard 100, die dank ihres Preises von zurzeit noch über 4000 Euro den diskutierten Status sozusagen eingebaut hatte. Der Mann verdrehte seine Augen: „Ich will Ihre verdammte Karte gar nicht sehen, mein Gott. Setzen Sie sich doch irgendwo anders hin.“
„Aber wir sind vier Leute.“
Und dann fiel der Ausdruck mit dem *. Sozusagen als Kapitulationserklärung. Als Bahn-Comfort-Kunde hätte er die Frau entspannt zetern lassen können. Aber ohne war der Bluff in diesem Fall heikel. Die Mutter war augenscheinlich zum Äußersten bereit. Die hätte als Nächstes den Zugbegleiter herbei gebrüllt. Und der hätte den Mangel an Status dann vor aller Leute Augen offengelegt: „AHA!“ Welch eine Blamage. Oh, da zog der Statuslose lieber fluchend ab. Und sie befehligte prompt eines ihrer Kinder auf den eroberten Platz. Bevor sie es sich entspannt durchatmend auf dem Sitz neben mir gemütlich machte. Diese Schlacht hatte sie stolz gewonnen. Ihre Kinder waren entweder stolz auf sie – oder fühlten sich bis auf die Knochen blamiert.
Das Dilemma mit dem BahnComfort-Konzept
Das klappt nicht immer so. Denn das BahnComfort-Konzept ist gut gemeint, hat aber einen Haken, der oft gerade die Vielfahrer den Kürzeren ziehen lässt. Denn dieser Status ist nicht nur den Fahrgästen ohne Status lästig, sondern auch vielen Zugbegleitern. Ausgerechnet die viel umworbenen Stammkunden mit den mehr als 2000 Euro Umsatz jährlich kommen sich vor wie spießige Handtuch-auf-Poolliege-Werfer.
Dieser Haken ist typisch fürs Bahnfahren in Deutschland und heißt: Mischkonzept. Freie Platzwahl und Reservierungen in einem Zug. Jeder darf jederzeit ohne Vorankündigung an Bord springen. Aber Platzgarantie gibt es nur für die mit Reservierung.
Weil aber die BahnComfort-Plätze nicht einem bestimmten Fahrgast zugeordnet sind, sondern mit BahnComfort-Aufklebern an den Reservierungsanzeigen dauerhaft für eine unbestimmte Gruppe von Passagieren freigehalten werden, kann sich wiederum jeder ohne Reservierung dort setzen – und hoffen, dass die Plätze nicht von einem BahnComfort-Kunden eingefordert werden. Denn das passiert selten genug. Schließlich muss wiederum ja jeder Status-Kunde damit rechnen, dass die, die auf seinen geliebten Plätzen sitzen, ebenfalls den Status innehaben. Aber wissen kann er es nicht.
Das ist das Dilemma.
Letztendlich gibt es nur zwei Möglichkeiten:
1. Der Status-Kunde fragt in die Runde: „Hat von Ihnen jemand keinen BahnComfort-Status?“ Nun kommt es darauf an: Die abgebrühten unter den Herausgeforderten könnten nun ohne Weiteres lügen. Selbst wenn ein Status-Kunde wie die Allwetter-Mutter die Abgebrühtheit hat, den Wunsch zu äußern, die BahnCard zu sichten, muss dem keiner nachkommen. Nur die unerfahrenen Wenigreisenden outen sich dank ihres Unwissens: „Was für ein Ding? Ich glaube nein. Wieso?“ Und weg. Harte Auslese auf Schienen.
2. Der Status-Kunde könnte den Zugbegleiter herbitten. Das dauert mitunter viele Minuten, wenn sich vom Team überhaupt jemand zum Status-Check überreden lässt, denn wie ich schon zu hören bekommen habe: „Sie sehen doch, wie voll der Zug ist. Ich habe gerade echt Wichtigeres zu tun.“ Dabei ist ja gerade in vollen Zügen ein Reservierungsbereich für die Privilegierten von Wert. Oder, gerade heute hinter mir gehört – da sagt der Zugbegleiter kleinlaut zu einer verärgerten Kundin ohne Status: „Es tut mir ja auch leid. Aber was soll ich machen? Der Platz ist eben für Bahn-Comfort-Kunden.“ Was für eine Demütigung für den Gast mit Berechtigung zum Sitzen! Und es droht noch ein weiteres Fiasko: Wenn am Ende aller Kontrollen tatsächlich alle einen BahnComfort-Status vorweisen können, ist wertvolle Zeit vergangen, in der der Statuskunde im letzten Wagen noch schnell einen unreservierten Platz hätte ergattern können.
So sind die BahnComfort-Plätze im Grunde nur dann etwas wert, wenn der Zug noch leer ist. Am Startbahnhof machen die meisten einen Bogen um diese suspekten Plätze mit dem komischen Namen und gehen weiter. Das ist die Chance für die mit BahnComfort. Man umgeht die Suche nach unreservierten Plätzen. Ist der Zug aber erstmal gut gefüllt, sorgt der BahnComfort-Status oft nur noch für Knatsch, Neid, Blamagen und Fremdscham.
Dafür gibt es nur eine Lösung: Die zurzeit noch angebrachten Aufkleber mit dem Text „Dieser Sitzplatz ist reserviert für unsere Vielfahrer mit BahnComfort-Status“ müssten geändert werden in: „Bitte weisen Sie auf diesem Sitzplatz Ihren BahnComfort-Status unseren Vielfahrern gegenüber auf deren nette Nachfrage hin nach. Aber echt nur dann, wenn sie wirklich nett danach fragen.“