Werner knallhart

Mit den Nachtzügen stirbt die Seele der Deutschen Bahn

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Bahnromantik kann doch lukrativ sein

Ich selber war vor zwei Jahren mit dem Coast Starlight von Los Angeles nach Seattle unterwegs. Nachmittags vorm Panoramafenster Strände mit Palmen, abends Dinner im Sonnenuntergang, am nächsten Morgen schneebedeckte Wälder und Berge vom Bett aus und Schluchten und Brücken bei der heißen Dusche im eigenen Zimmerchen. Unschlagbar. Unvergesslich! Nachzüge haben Charakter. Je nach Reiseroute, je nach Land. Die Deutsche Bahn könnte ihren ganz eigenen Stil erfinden. Wie es mit dem ICE auch getan hat.

3. Nachtzugfahrten: So bequem könnte es kein Reisebus. Mit Restaurant und Mondscheinbar, eigenem kleinen Badezimmer. Mal frei und groß denken: Warum nicht eine coole Cocktailbar mit Livemusik an Bord, abschließbare Miniabteile für Singles, Massageliegen zum Entspannen oder frisch an Bord gebackenen Croissants am Morgen? Es hätte seinen Preis. Aber den hat es im Hotel auch.

Stattdessen hat die Bahn die Nachtzüge vergammeln lassen, sich keine Mühe gegeben mit einem einfachen Buchungssystem, die Marken CityNightLine und den damaligen InterCityNight nicht klar geführt und erzählt nun: Nachts fährt keiner.

Das ist so, als wenn ein Supermarkt ständig verschimmelte Erdbeeren anbietet, auf ihnen sitzen bleibt und am Ende beleidigt feststellt: "Erdbeeren sind offenbar out. Wir nehmen sie aus dem Sortiment."

Jetzt will die Bahn statt der Schlafwagen mehr ICEs durch die Nacht rauschen lassen. Wer schon einmal versucht hat, in den neuen Sitzen ein Auge zuzumachen, der weiß, dass das keine Alternative zu einem Bett ist. Da knacken die Wirbel, da zerrt der Nacken. Besser schläft man im ICE-Kinderabteil in die Ecke gekauert.

Nachtzüge abschaffen ist unambitioniert. Vorher muss man den Erfolg doch erstmal richtig versuchen. Gucken Sie sich mal an, wie die Fluggesellschaften mit Liegesitzen, Privatkabinen und Gastronomie an Bord experimentieren. Weil Konkurrenz da ist. Die Bahn hat nichts Zeitgemäßes ausprobiert, weil sie einfach den Druck nicht hat. Da ist es schade, dass der eigene Spaß am Produkt Zug für die Motivation nicht ausreicht.

Liebe Bahner, nutzt den Nachtzug doch für ein großartiges europäisches Projekt und entwickelt mit unseren vielen Nachbarn ein Nachtzug-System. Gestern wurde auf parteiübergreifende Initiative von Bahnfans von Bund und EU in Berlin ein Alternativkonzept vorgestellt, wie Nachtzüge betrieben werden könnten, anstatt aufzugeben. Projektname Lunaliner. Die Idee: Das bestehende DB-Nachzugnetz muss international raffiniert verknüpft werden. Mit Umkoppeln und Verknüpfung von Waggons zu neuen Zügen an großen Knotenpunkten, während die Gäste schlummern.

Die österreichische Bahn kriegt es übrigens hin - trotz kürzerer Strecken in ihrem eigenen kleinen Land. Sie fahren international und machen 15 Prozent ihres Umsatzes im Fernverkehr nachts. Bahnromantik kann eben doch lukrativ sein. Dank Sachverstand und Bahnerherzblut.

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