Falls Sie eher so der Auto-Fahrer sind: Im ICE-Speisewagen gibt es am einen Ende das Bord-Restaurant, in dem sich die Gäste an Diner-artige Tische fläzen, und am anderen Ende das Bistro mit einem Stehtisch. Dort holen sich die Fahrgäste der 2. Klasse auch die Verpflegung ab und nehmen sie mit an ihren Platz.
Irgendjemand war bei der Bahn dann aber mal ganz früher der Meinung, dass im Speisewagen genug Platz sei für zwei getrennte Kassensysteme mit unterschiedlichen Preisen. Der Ansatz war ja eigentlich sehr sozial, wie es sich für eine Staatsbahn gehört: Wer mehr Service genießt, zahlt mehr. Wer seinen Proviant selber holt, spart Geld.
Nur war das System nicht praxistauglich. Typische Konstellation: Da kommt ein junges Pärchen so Anfang/Mitte 20 ins Bistro, sie bestellt am Ausgabe-Fenster einen Tee (3 Euro), und als sie gerade bezahlt, sagt er:
„Ach, weißt du was? Lass uns doch im Restaurant frühstücken.“
Neue ICE-Restaurant-Preise
Bitburger Pils 0,33 l:
früher: 3 Euro 30
jetzt: 3 Euro 20
(- 3,0 Prozent)
Erdinger Weißbier 0,5 l:
früher: 4 Euro 20
jetzt: 4 Euro
(- 4,7 Prozent)
2015er Riesling „Probus“, 0,25 l:
früher: 8 Euro 50
jetzt: 8 Euro 10
(- 4,7 Prozent)
Granini Orangensaft 0,2 l:
früher: 3 Euro
jetzt: 2 Euro 80
(- 6,7 Prozent)
Fassbrause Rhabarber 0,33 l:
früher: 3 Euro 50
jetzt: 3 Euro 20
(- 8,6 Prozent)
Bionade, 0,33 l:
früher: 3 Euro 40
jetzt: 3 Euro 10
(- 8,8 Prozent)
Doppelter Espresso:
früher: 3 Euro 20
jetzt: 2 Euro 80
(- 12,5 Prozent)
Er setzt sich, sie will gerade nachkommen, da prescht der Kellner hinterher:
„Das geht aber nicht! Sie können nicht den Tee im Bistro kaufen und sich damit dann einfach ins Restaurant setzen.“
Junger Mann mit Das-ist-ja-mal-wieder-typisch-Bahn-Gesicht:
„Äh, wieso nicht?“
„Wir haben zwei getrennte Kassen und außerdem ist der Tee im Restaurant teurer.“
„Ok, wie viel teurer denn?“
„20 Cent.“
Ich konnte schon am Tonfall des DB-Mannes hören, dass ihm diese Preisdifferenz plötzlich selbst nicht mehr sehr weltbewegend vorkam. Junger Mann:
„Wir diskutieren hier gerade über 20 Cent? Unsere Fahrkarten haben zusammen über 150 Euro gekostet. Hier haben Sie einen Euro, den Rest können Sie behalten. Ich hoffe, wir dürfen jetzt bei Ihnen im Restaurant frühstücken.“
Solch peinliche Konflikte gehören ab sofort der Vergangenheit an. Denn das zwei-Preise-System wurde im April abgeschafft.
Außerdem, so heißt es von den DB-Kellnern hinter vorgehaltener Hand, dürfen alle im Bordbistro angebotenen Snacks wie zum Beispiel eingeschweißte Sandwiches und Schokoriegel jetzt im Restaurant bestellt werden, auch wenn sie dort nicht auf der Karte stehen. „Das sollen wir zwar nicht proaktiv anbieten, weil wir da ja lieber die warmen Gerichte verkaufen wollen“, erklärt ein Mitarbeiter, „wir sollen es den Gästen aber auch nicht verwehren, wenn sie selber drauf kommen.“ Ich habe es Tags drauf probiert: kein Maulen. Die Angst vor Fehlern weicht an Bord dem Dürfen.
Der logische Effekt der Preis-Vereinheitlichung: neue Preise. Die treffen sich jetzt in der Mitte zwischen alten Bistro- und Restaurant-Preisen. Und jetzt suchen Sie sich bitte festen Halt: Das führt zu vielen niedrigeren Preise in Restaurant und Klasse 1! Vielfahrer und Erste-Klasse-Passagiere dürfen jubeln.
Da fühlt sich der gleiche Preis wie Sparen an
Bahn senkt Preise um 12,5 Prozent!
Das ist eine Schlagzeile, wa? Wer im Restaurant zehn Bionaden trinkt, trinkt die zehnte fast umsonst! Der zwanzigste Weißwein geht jetzt praktisch aufs Haus. Wer seinem Arzt versprochen hat, kürzer zu treten: Für Vielfahrer rechnet sich das natürlich auch über Wochen. Wie eine Rabattkarte. Nur ohne Stempel. Und das mit Service am Platz.
Im Bistro haben die Preise dafür in einigen Fällen angezogen. Das Pils kostete bislang 3 Euro, jetzt eben 3 Euro 20 (+6,7 Prozent). Ähnliches bei vielen heißen Getränken. Dies wiederum mit dem angenehmen Nebeneffekt fürs Personal: Krumme Preise haben ein höheres Trinkgeld-Potenzial. Und wer sich im Bistro abgezockt fühlt, bringt künftig einfach eigene Getränke mit oder setzt sich ins Restaurant. Da fühlt sich der gleiche Preis wie Sparen an.
Einige Preise sind im Restaurant gleich geblieben, dafür aber bietet die Bahn dort (wie auch im Bistro) nun bessere Qualität. Der Tee kommt nun nicht mehr von Ronnefeld (der mit den riesigen Papplaschen am Teebeutel, an dem sich das Wasser hoch zieht, an der Pappe abseilt und die Untertasse/den Tisch flutet), sondern von Eilles. Deren Beutel haben eine kleine pflegeleichte Fluppe und sind mit Bio-Fairtrade-Tee gefüllt.
Auch die heiße Schokolade ist jetzt Fairtrade- und Bio-zertifiziert - zum gleichen Preis wie zuvor. Der Kaffee ist jetzt zwar noch nicht Bio, aber immerhin Fairtrade.
Einiges wird aber auch für alle teurer. Der Filterkaffee kostet künftig nicht mehr 2 Euro 90, sondern 3 Euro (ist jetzt aber, ich sagte es schon, auch Fairtrade). Die Käsestreifen auf dem Salat kosten nicht mehr 1 Euro 90 extra, sondern happige 2 Euro 40, das Extra Räucherlachs 2 Euro 90 statt 2 Euro 40. Weder Käse noch Lachs sind aber nun bio oder sonst wie fair.
Was der neue Bahnchef Lutz jetzt angehen muss
2016 wurde das Ziel knapp verfehlt, dass 80 Prozent der Fernzüge pünktlich sein sollen - wobei die „Unpünktlichkeit“ nach Bahn-Definition erst sechs Minuten nach der Fahrplanzeit beginnt. Langfristiges Ziel sind 85 Prozent. Dafür ist einiges angeschoben, etwa Störungssensoren für Weichen und besser gebündelte Bauvorhaben. Und die Türen schließen jetzt 20 Sekunden, bevor der Uhrzeiger auf Abfahrtzeit springt.
Immer mehr Bahnsteige erhalten mehrzeilige Zuganzeiger, damit Kunden früher sehen, ob sie richtig stehen. 108 Bahnhöfe bekommen bis 2020 neue „DB Information“-Stände, wo es neben persönlicher Beratung Selbstbedienungsschalter gibt. Die Reiseauskunft per Internetseite und App wird mit aktuellen Verkehrsdaten gefüttert, um schnell entscheiden zu können. Auch die zweite Klasse im ICE hat kostenloses WLAN erhalten.
Immer mehr Fernzüge kommen zum „Reset“, einer Grundreinigung mit Reparaturen und teils Sitzaustausch. Nach und nach löst der neue ICE4 ältere ICE-Züge auf den wichtigen Strecken ab. Zusätzliches Geld fließt, um große Bahnhöfe besser zu putzen, Sensoren sollen Störungen an Fahrstühlen und Rolltreppen melden.
Niedrige Spritpreise, Billigflieger und Fernbusse haben es dem Fernverkehr lange schwer gemacht. Zuletzt fuhren aber wieder Menschen mit ICE- und Intercity, vor allem weil es mehr Sparpreis-Fahrscheine gibt. Bei der Bilanzvorlage am Donnerstag wird Lutz verkünden, dass der Umsatz im Fernverkehr vergangenes Jahr um rund 100 Millionen Euro auf mehr als vier Milliarden Euro gewachsen ist. Schub dürfte auch die neue Verbindung Berlin-München bringen, die der neue Chef im Dezember eröffnet. Fahrtzeit: vier Stunden.
Ideen sind notwendig im Regionalverkehr, wo sich Bahn zuletzt bei Ausschreibungen immer mal wieder geschlagen gegeben musste, weil Konkurrenten günstiger waren. Im vergangenen Sommer lag der Bahn-Marktanteil am Regionalverkehr noch bei 70,8 Prozent.
DB Cargo ist seit Jahren ein Sanierungsfall. Abgesehen von Gütern wie Eisenerz und Kohle sind viele Transporte kleinteilig, es mangelt an Effizienz. Der Marktanteil sank auf 60,9 Prozent im vergangenen Sommer. 2016 gaben Umsatz und Transportleistung noch einmal nach. Ein eigener Vorstand soll den Sanierungsplan durchziehen.
Der Bau des Tiefbahnhofs und der Tunnelstrecken in und um Stuttgart bleibt ein Termin- und Kostenrisiko. Platzt der Rahmen von 6,7 Milliarden Euro, droht Streit darum, wer die Mehrkosten finanziert. In der Bahn-Führung liegt das Projekt bei Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla, dem Ambitionen auf den Chefposten nachgesagt wurden.
Lutz steht auch für einen bis Mitte 2016 auf 18,1 Milliarden Euro gestiegenen Schuldenberg. Der Bahn-Eigentümer Bund kündigte im September an, dem Unternehmen in den kommenden vier Jahren 2,4 Milliarden Euro extra für Züge und Technik zur Verfügung zu stellen.
Am Tag vor Lutz' Wahl forderte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) aber auch dringend, dass die Finanzsituation stabilisiert werde. Hier steckt Lutz in einer Zwickmühle. Als er vor einem Jahr tiefrote Zahlen präsentierte, sagte er: „Qualität mag Geld kosten. Aber Nichtqualität würde Kunden und damit die Zukunft kosten.“
Naja, da wird sich jemand wohl was dabei gedacht haben.
Bei einer Sache allerdings bin ich mir nicht so sicher: Die Milch zum Kaffee wird jetzt nicht mehr in kleinen spritzenden Plastikdöschen auf die Untertasse gelegt, sondern in Saucieren-artigen kleinen Milchkännchen serviert. Diese sind allerdings nicht klein genug, viel zu voll (die Milch würde für ein mittleres Müsli reichen), werden selbst zum Milchkaffee serviert, schwappen bei der Fahrt umher und werden meist voll oder halbvoll wieder abgeräumt. Würde man aber die gesamte Milch in den Kaffee gießen, liefe die Tasse über.
Ich sage Ihnen: Wenn Sie nicht bald mal das ICE-Restaurant ausprobieren, werden Sie diese Kännchen niemals kennenlernen. Und die neuen Preise gelten laut Karte erstmal nur bis Mai 2017.