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Werner knallhart
ICE am Bahnsteig. Quelle: dpa

Das Problem der Deutschen Bahn ist der Kopfschüttelfaktor

Die Bahn soll helfen, die Klimawende zu schaffen, wirkt auf viele aber zu bräsig, umständlich und uncool. Der Kopfschüttelfaktor ist zu hoch. Ein paar Ideen eines leidenschaftlichen Vielfahrers, wie er sich senken lässt.

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Ein wichtiger Indikator für die Beurteilung des Bahn-Images ist der Kopfschüttelfaktor unterwegs. Seit Jahren habe ich eine BahnCard100 und meine Lieblingsbeschäftigung beim Reisen ist es, Passagiere und Bahn-Personal im Umgang untereinander und miteinander zu beobachten.
Aufgefallen ist mir dabei: Sagt jemand „typisch Bahn“, dann wird dazu stets der Kopf geschüttelt. Vergleichen Sie das mal mit „Typisch dm“. Kennen Sie jemanden, der etwas Unverwechselbares über die Drogerie-Kette erzählt und dabei verzweifelt den Kopf schüttelt? Ich nicht. Andererseits kenne ich keinen, der „typisch Bahn“ sagt und damit seine Begeisterung zum Ausdruck bringen will.

Und das ist schade. Das Gute ist aber: Das lässt sich ändern. Denn: Davon abgesehen, dass die Grundidee des Bahnfahrens gut ist, hat die Bahn ja schon jetzt einiges zu bieten.

Nach zwei Bahnstreiks soll es kein neues Angebot an die Gewerkschaft der Lokomotivführer geben. Die Bahn erwartet von GDL-Chef Weselsky, an den Verhandlungstisch zu kommen.

1. Den ICE. Die stärkste Marke der Deutschen Bahn (oder „der DB AG“, wie selbst führende Mitarbeiter umständlich sagen, was schon Teil des Problems ist). Der ICE ist schnell, komfortabel, modern und sieht gut aus. Selbst die InterCitys sind mittlerweile wieder ernstzunehmende Verkehrsmittel, die man ohne Ekel betreten kann (selbst die alten Wagen glänzen mit schicken neuen Waschräumen etc.).
2. Die tollen Bahnhöfe: Sie sind Kathedralen in den Zentren unserer Städte. Und kleinere werden aufgepäppelt, dunkle Angstecken werden beseitigt.
3. Das Unternehmen wird vollgeworfen mit Steuergeldern, weil es als gewichtiges Pfund in der Klimawende gilt.
4. Ein feingliedriges Schienennetz, das weltweit seinesgleichen sucht.
5. Die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen ich nach etlichen Gesprächen an Bord weiß: Sie nehmen für sich in Anspruch, von einem Eisenbahnerherz durchblutet zu werden. Eisenbahner zu sein, gilt als Berufung.

Ab Mittwochnachmittag ruft die GDL zunächst im Güterverkehr zum Streik auf. Thomas Bronnert, Logistik-Chef von Wacker Chemie, über das Risiko des Arbeitskampfes, und den Schaden für den Schienenverkehr.
von Christian Schlesiger

Was für ein Potenzial. Die Bahn versucht denn auch, darauf aufzubauen und das Image zu drehen Richtung mehr Herzlichkeit, Nähe und Modernität. Etwa die neuen schicken Uniformen, die sich in diversen Varianten kombinieren lassen. Statt in die Berufskleidung reingesteckt sehen die Zugchefinnen und Zugbegleiter nun aus, als hätten sie sich nach eigenem Geschmack eingekleidet. Das wirkt selbstbewusster und individueller. Und zeigt: Es sind Persönlichkeiten mit uns an Bord.
Oder mit dem grünen Streifen statt eines roten auf den Spitzen der Züge vorne und hinten. Das soll Öko symbolisieren. Sieht wirklich nicht gut aus. Aber sagt was aus. (Auch wenn die Aussage „100% Ökostrom im Fernverkehr“ die bekannte Augenwischerei ist. Allein das neue Kohlekraftwerk Datteln IV liefert zu einem großen Teil für die Deutsche Bahn. Der DB-Strommix ist nicht grün.)

Oder mit der Kampagne „Wir haben dich vermisst“, wo die Gäste jetzt nach der Zeit mit den Corona-Geisterzügen einfach mal geduzt werden, was ich persönlich ja sympathisch finde. (Was aber ein Ausreißer ist, denn sonst werden wir überall in der schriftlichen Kundenkommunikation gesiezt. Was denn nun?)

Oder mit einer Bordgastronomie, die Trends aufgreift, wie vegetarische Bowls, alkoholfreies Bier in zwei Sorten und Riegel aus ganzen Nüssen und mit wirklich guten Weinen. (Aber es werden eben keine Trends gesetzt oder Ikonen geschaffen wie etwa einst mit dem Lufthansa-Cocktail. Das einzigartige DB-Spiegelei-Sandwich oder die Käseplatte sind längst wieder Geschichte.)

Zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen ruft die Lokführergewerkschaft GDL zum Streik bei der Bahn auf. Unzumutbar findet das die Linke. Vom Fahrgastverband kommt neben Kritik auch verhaltendes Lob.

Die Ideen sind da, die gut gemeinten Bemühungen werden aber oft konterkariert durch: die Realität.

A. Die wirren Corona-Regeln

Dass die Bestrebungen zu 3G an Bord daran zu scheitern drohen, dass das Zugpersonal die Zertifikate an Bord nicht kontrollieren kann oder will, ist das eine. Man könnte ja auch sagen: Wir tun alles, damit sich unsere Gäste an Bord wohlfühlen. Und laut Umfragen wollen zwei Drittel der Menschen 3G an Bord der Fernzüge. Würden wir in Deutschland nur noch Vorschriften haben, deren Einhaltung flächendeckend kontrolliert werden kann, müssten wir sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen und Halteverbote aufgeben. Ich bin mir sicher: Deutschland wäre in der Lage, eine Lösung für 3G und Stichprobenkontrollen an Bord zu finden.

Mittlerweile werden in der 1. Klasse wieder Getränke und Essen in Keramikgeschirr und Glas serviert. Das Bordrestaurant jedoch ist weiter geschlossen. Man könnte das noch nachvollziehen, wenn es hieße: Im Restaurant nehmen (anders als in der 1. Klasse) schließlich alle ihre Masken ab, um zu essen und zu trinken. Das erhöhe die Infektionsgefahr. Aber warum werden dann Gäste, die sich ins Restaurant retten, weil es im Großraum zu eng ist, genötigt, etwas am Bistro-Fenster zu essen oder zu trinken zu bestellen? „Sonst müssen Sie sich umsetzen.“. Noch Montag fuhr ich mit zwei weiteren Gästen ab Berlin im sonst leeren Restaurantwagen. Wir wurden direkt nach Abfahrt bis Berlin-Spandau mehrfach klipp und klar aufgefordert, etwas zu kaufen (so früh bekam ich sonst in Zeiten mit Bedienung praktisch nie einen Kaffee), wofür wir ja dann im weiteren Verlauf die Masken abnehmen mussten. Warum wird nicht flexibel im Einzelfall entschieden? Restaurant voll: Bitte nur hinsetzen, wenn Sie etwas essen wollen. Restaurant leer: Machen Sie, was Sie wollen. Hauptsache, der Andrang an Bord entzerrt sich. Mehr Menschenverstand zutrauen. Den Gästen und dem Personal.

Die Manager um Richard Lutz kommen einer Forderung des Haushaltsausschusses nach. Schon 2020 hatten die Bahn-Vorstände auf ihre Boni verzichtet.

Und damit kommen wir schon zum nächsten Punkt:

B. Die Angst vor Kündigung

Bei Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Bord in klar: Betriebsvorschriften müssen allumfassend für jeden im Team gelten. Das führt aber im Alltag dazu, dass keine schnellen Lösungen zugunsten der Fahrgäste gefunden werden können. Der Druck, die wenigen Unzuverlässigen im Team einzuhegen, engt alle ein.
Sonntag war es auf einem ICE von Hamburg nach Berlin den Frauen in der Bordküche nicht möglich, das Kassensystem zu starten. Empfangsprobleme. Mal wieder (im Zug davor war Kartenzahlung nicht möglich). Das Restaurant war voll besetzt. Am Bistro-Fenster standen außerdem sieben hungrige oder durstige Leute aus dem Großraum. Ich habe dann vorgeschlagen: „Stellen Sie doch einfach Quittungen mit Kugelschreiber aus. Die Blöcke haben Sie doch da.“ Antwort: „Wenn wir rausgeben, was nicht in der Kasse verbucht ist, verlieren wir unseren Job.“

Die Angst vorm eigenen Arbeitgeber ist immer wieder das Argument für schlechte Performance gegenüber den Kunden: „Wenn jetzt eine Revision an Bord kommt“ - „wenn das rauskommt“ - „wir haben auch nur unsere Vorschriften“. Ich mache dem Bordpersonal da höchstens im Affekt Vorwürfe. Eigentlich sind sie unschuldig. Es braucht krisenfeste Freiheiten. Irgendwann kamen zwei Kinder dazu - mit Gutscheinen für ein kleines kostenloses Plastikspielzeug. Gerade noch bei der Ticketkontrolle geschenkt bekommen. „Selbst dafür darf ich nichts rausgeben, ohne den Gutschein zu scannen. Und das geht ja gerade nicht.“ Lange Gesichter bei den Kindern. Ob das am Ende der Deutschen Bahn nicht teurer zu stehen kommt als ein mögliches selbst eingebrocktes Kassenkuddelmuddel?
Vor zwei Wochen kam ein ICE ohne Restaurant-Wagen. Wir wollten aber essen und etwas trinken. Und in der App DB-Navigator war das Gabel-Messer-Symbol angezeigt. Murks. Die Zugchefin: „Setzen Sie sich dafür gerne in die 1. Klasse. Ich bringe Ihnen gleich kostenloses Wasser.“ So geht das. Danke!

C. Das Eisenbahnerherz: Hat der Vorstand auch eins?

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bordrestaurant klagen: „Mittlerweile dürfen wir nur noch Plastiktüten aufschneiden und in die Mikrowelle schmeißen.“ Selbst der Dampfgarer würde nicht mehr benutzt. Früher wurden noch Salatgurken und Cocktailtomaten zum Frühstück aufgeschnitten. Heute ist selbst das wegrationalisiert. Fahren Sie mal mit dem tschechischen EuroCity aus Prag nach Hamburg. Da werden noch Spiegeleier in der Pfanne gebrutzelt. Da riecht es nach Leidenschaft. Ich habe den jungen Kellner dort am Freitag gefragt: „Kennen Sie das Fertigrührei bei der Deutschen Bahn?“ - Da lacht er nur: „Jaja!“

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Die Deutsche Bahn führt funktionelle Bordrestaurants, wie man sie sich auf der ISS vorstellt. Die romantischen Nachtzüge wurden auch abgeschafft – lohnt sich nicht. Aber lieben echte Bahner denn nicht die Nachtzüge? Die Österreicher rollen jetzt den Nachtzugmarkt in Mitteleuropa auf. Im Winter bin ich in meiner eigenen Kabine in den Schwarzwald gefahren. Begrüßungssekt, heiße Dusche, weiße Puschen, heißes Abendessen auf Bestellung, ein Kaffee bei Sonnenaufgang. Weil das Lebensqualität auf der Schiene ist.
Bei der DB sind Nachtzüge normale ICE. Da können wir uns dann im Sitzen in unsere Jacken kuscheln und bei steifem Hals Schmerzmittel schlucken. Damit wir wieder gelöst den Kopf schütteln können. Für einfach schön sind leider andere zuständig.

Als Vielfahrer mit handfesten eigenen Interessen, aber auch mit einem Herz fürs Team an Bord und die Mitreisenden wünsche ich mir für unterwegs mehr Mut zu mehr Gelassenheit, mehr Leidenschaft im Vorstand, die in den Zügen ankommt, und mehr Freiheit, zugunsten der Kunden zu improvisieren.
„Typisch Bahn“ muss zum Kompliment werden. Es fehlt nicht viel bis dahin. Aber es muss halt echt was kommen.

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Mehr zum Thema: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer bewertet ihre Arbeitskämpfe als Erfolg. Dabei hat ein Team unter Managerin Melanie Gruner im Fernverkehr der Bahn erstaunlich gut gegengehalten – trotz erschwerter Bedingungen.

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