Ich hatte als Student mal das Vergnügen, zur Feier des Tages in Italien in ein elegantes Sterne-Restaurant eingeladen worden zu sein. Als wir uns alle über unsere köstlichen Angelegenheiten beugten und das Leben genossen, tat es plötzlich einen dumpfen Schlag und ein Kreischen. Und unter dem Nachbartisch lag eine elegante Dame wie ein Käfer auf dem Rücken. Da war ihr doch tatsächlich der elegante Stuhl unter dem Hintern zusammengebrochen.
Und noch heute, wenn wir uns an diesen Abend erinnern, ist es ist der Abend, an dem in einem der besten Restaurants Italiens die Möbel zusammengebrochen sind.
Und so ist es auch bei der Deutschen Bahn. Selbst, wenn der Zug mal pünktlich ist: Es sind die ganzen Enttäuschungen nebenher, die einen auf die Frage "und wie war die Fahrt?" meist die Augen verdrehen lassen.
Wenn man herumfragt, kann jeder nach einer Fahrt in einem ICE wieder mindestens eine Anekdote erzählen, über die alle den Kopf schütteln: falsche Wagenreihung (allein das Wort schon!), geschlossene Bordrestaurants, defekte Toiletten, immer wieder völlig falsche Anzeigen an den Deckenmonitoren (kurz vor Köln: "Nächster Halt Bielefeld"). Sie kennen das Spiel. Ob der Zug am Ende nur drei Minuten Verspätung hatte, interessiert dann kaum mehr. Die Fahrt war trotzdem Mist. Und genau das ist, auf den Punkt gebracht, das "Problem Bahn".
Und man weiß gar nicht, woran man als erstes verzweifeln soll. Deshalb empfehle ich zur Abwechslung den noch recht frischen Aufreger WLAN. Da denkt sich die Bahn ja ständig neue Schoten aus, um den Flop am Köcheln zu halten. Dabei machen die das nicht, weil sie bösartig sind. Sondern weil sie dem Bedarf der Kunden hoch motiviert hinterher rennen.
Ab spätestens Ende 2016 wird in allen ICE der Deutschen Bahn ein funktionstüchtiges WLAN kostenlos in der 2. Klasse angeboten - hat die Bahn versprochen. Erst hieß es 2016, dann Mitte 2016, jetzt Ende 2016.
Wer die Bahn kennt, hat auch das nicht geglaubt. Und sollte recht behalten. Denn Bahnchef Rüdiger Grube hat jüngst unterstrichen: Kostenlos wird das WLAN nur sein bis zu einer bestimmten Datenmenge. Wer mehr Daten laden möchte, muss dafür bezahlen. Oder im Schneckentempo surfen.
Aber Moooooment!
Wenn es auf der Einladung zu einer Veranstaltung heißt: "Getränke sind kostenlos", und dann bekommt man am Eingang zwei Gutscheine für je ein Glas Milch, dann sind zwar Getränke kostenlos, aber eben nur diese zwei und nicht alle, wie man annehmen durfte.
Wenn ein Optiker wirbt: "Hier kostenloser Sehtest", aber bereits das zweite Auge kostet plötzlich fünf Euro, dann ist das zwar teilweise ein kostenloser Sehtest, aber nicht in der Form, wie man es erwarten konnte.
Wenn im ICE nur ein bestimmtes Datenvolumen kostenlos ist, dann ist das zwar auch kostenloses WLAN. Aber nur für eine Weile.
Getränke, Sehtest und zukünftiges ICE-WLAN haben eins gemeinsam. Sie sind Mogelpackungen. Und das ist einem Hightech-Unternehmen wie der Bahn einfach unwürdig.
Denn die Bahn macht diesen peinlichen Rückzieher ja nicht, weil sie die Kunden nun doch lieber abzocken will. Sondern sie kriegt es nicht hin, genügend Datenvolumen für alle anzubieten, und will die Kunden deshalb in ihrem Datenhunger bremsen. Mit Androhung von Kosten. Es ist also jetzt schon klar: Das Angebot wird nicht zum Bedarf passen.
Dabei vergleicht Grube die Bahn in diesem Vorgehen mit Fluggesellschaften. Die beschränkten das Datenvolumen schließlich ja auch. Der Vergleich hinkt aber. Im Flugzeug surft man in zehn Kilometern Höhe über dem Atlantik. Bei der Bahn klappt es heute mitunter nicht einmal mitten in Hannover.
Lassen Sie sich einfach kurz vor Abfahrt enttäuschen
Aber innerdeutsch konkurriert die Bahn hier mit dem Fernbus, der die Bahn mit seinem kostenlosen WLAN an Bord erst ins Schleudern gebracht hat.
Und wie soll das limitierte Kontingent denn berechnet werden? Im Flugzeug fliegen alle gleich weit. Bei der Bahn fahren einige Leute eine halbe Stunde von Köln nach Wuppertal, andere bleiben bis nach Berlin über vier Stunden an Bord. Bekommen die Weitfahrer mehr Volumen? Nur das wäre gerecht. Aber die Bahn hat darüber nach eigenen Angaben noch nicht einmal entschieden.
Ich persönlich will die Möglichkeit haben, auf meiner Fahrt von München nach Hamburg durchgängig und kostenlos Live-Nachrichten und Serien aus dem Internet zu streamen. Das ist zeitgemäßer Standard. Das bekommt man in jedem Uni-Café. Bei Netflix etwa bedeutet eine Stunde Streamen in mittlerer Auflösung 0,7 GB pro Stunde, auf einer Fahrt von München nach Hamburg macht das rund 4,2 GB, mit Verspätung 5 GB.
Das muss das Netz an Bord schon leisten. Und zwar durchgängig stabil.
Ob das klappt? Reisende der 1. Klasse werden schon seit vielen Monaten damit bezirzt, das WLAN unterwegs unbegrenzt nutzen zu können.
Und es fühlt sich an wie die Geburt des eigenen Kindes, wenn es tatsächlich mal hinhaut. Die Einführung des kostenlosen WLAN in der 1. Klasse hat den Datenverkehr derartig explodieren lassen, dass das Netz regelmäßig überlastet ist.
Auf sämtlichen Stichproben der vergangenen sechs Fahrten mit zwei iPhones und einem iPad war das Einloggen nach mehreren Versuchen, verteilt über mehrere Stunden, nur mit einem Gerät für etwa zwanzig Minuten möglich. In einem meist halb leeren Waggon. Wer an Bord arbeiten möchte und auf das Internet angewiesen ist, kann es vergessen. Zu heikel. Und dieser Service wird von der Deutschen Bahn selbstbewusst beworben! Wie soll das erst in der viel stärker frequentierten 2. Klasse werden?
Merkt man an Bord an, die versprochene und bezahlte Leistung nicht zu bekommen, hört man von der Zugbegleiterin heute noch mitunter: "Beschweren Sie sich bei der Telekom. Das WLAN ist nicht unsere Sache."
Und in knapp sechs Monaten soll alles anders sein - 2. Klasse inklusive? Es wäre ein Bahn-Wunder!
Die wichtigsten Firmenübernahmen der deutschen Bahn
Sparte: Spedition
Deutschland 2002
Wert: 2500 Mio. Euro
Sparte: Spedition
USA 2006
Wert: 1300 Mio. Euro
Sparte: Schienenverkehr
Großbritannien 2007
Wert: 370 Mio. Euro
Sparte: Schienenverkehr
Spanien 2007
Wert: 130 Mio. Euro
Sparte: Personenverkehr
Spanien 2007
Wert: 150 Mio. Euro
Sparte: Spedition
Großbritannien 2008
Wert: 170 Mio. Euro
Sparte: Spedition
Rumänien 2009
Wert: 100 Mio. Euro
Sparte: Schienenverkehr
Polen 2009
Wert: 450 Mio. Euro
Sparte: Personenverkehr
Großbritannien 2010
Wert: 3000 Mio. Euro
Quelle: Deutsche Bahn
Zurzeit sind neun ICEs testweise mit dem neuen Internet in Deutschland unterwegs. Folge: Gar kein Empfang für Passagiere. Nur für die Techniker. Welche Verbindungen davon betroffen sind, kann die Bahn nicht sagen. Lassen Sie sich einfach kurz vor Abfahrt enttäuschen.
Erst ab August, fünf Monate vor dem großen Rollout, wird dann mit Passagieren getestet.
Nach der Testphase müssen noch hunderte von ICE umgerüstet werden. Das Spektakuläre ist, dass die Bahn so kurz vor Start immer noch keinen endgültigen Rückzieher macht und das Startdatum nicht kassiert. Irgendwas scheint sie in Sicherheit zu wiegen. Irgendein rhetorischer Trick? WLAN ja, aber kein Internet? Oder vielleicht verteilen sie ab Silvester kostenlose Kekse der neuen Marke WLAN-Cookies und rufen "Hier! Euer WLAN! Reingefallen!"
In knapp sechs Monaten wissen wir es! Gott, ist das spannend.