Werner knallhart

Die Deutsche Bahn ist doch schon jetzt fantastisch

"Die Bundesbahn ist ja gar nicht so schlecht." Wer der Bahn ab und zu eine Chance gibt, der merkt: Zugfahren in Deutschland ist echte Lebensqualität. Einfach mal ein fröhlicher Blick auf die Sonnenseiten der Bahnreise.

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Ein ICE der Deutschen Bahn Quelle: dpa

Ich sitze gerade im Bordrestaurant des ICE 942 und gucke gemütlich aus dem Fenster auf die zartgrün in der Sonne leuchtenden Frühlingswälder Brandenburgs. Seit 55 Minuten warte ich auf den Kellner. Der braucht heute länger. Zwischendurch ruft er rüber: "Die Kasse ist leider kaputt. Ich muss alles manuell quittieren. Das dauert." Dabei guckt er demütig wie ein Welpe, der gerade eine Vase vom Couchtisch gerissen hat.

Ich lächele. Diese Panne hatte ich lange nicht mehr. Genügend Zeit für eine Liste - zur Abwechslung mal mit den schönen Seiten einer Reise mit der Deutschen Bahn.

Frei rumlaufen: Es gibt nur zwei Verkehrsmittel auf der Welt, in denen Sie sich entspannt die Füße vertreten können. Das Kreuzfahrtschiff und der Zug. Mit dem Kreuzfahrtschiff kommen Sie aber nicht von Göttingen nach Nürnberg.

Im Bus und im Flugzeug hingegen endet jeder Fußmarsch auf dem Klo. Oder man läuft ziellos umher wie ein Huhn, etwa um einer Thrombose vorzubeugen. Oder aber man steht dösig herum und streckt sitzenden Passagieren den flach gesessenen Hintern ins Gesicht.

Im Zug aber flaniert man. Ins Restaurant. Die Jacke bleibt als Platzhalter auf dem reservierten Sitz: "Können Sie einen Blick auf meine Tasche werfen, ich bin kurz im Speisewagen."

Im Bus muss man sich während der Reise anschnallen, im Flugzeug wird man sogar von der Toilette zurück in den Sitz gescheucht und festgezurrt. Im Zug gibt es noch nicht einmal Gurte. Das ist echte Reisefreiheit.

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BahnBonus comfort: Der Name ist sperrig, aber die Leistungen dieses Kundenbindungsprogramms haben es in sich. Ich kenne kein anderes Unternehmen, das derartig attraktive Prämien verschleudert.

Beispiel: Wer innerhalb von drei Jahren 500 Euro in Tickets investiert, sammelt 500 Punkte. Dafür gibt es schon ein Upgrade in die 1. Klasse für eine beliebig lange Fahrt innerhalb Deutschlands. Inklusive Zugang in die Erste-Klasse-Lounge.

Und jetzt festhalten. In dieser Lounge gibt es all you can eat: Ei-Sandwiches, Croissants mit Marmelade, Kuchen und Kekse, Vollkornstullen mit Salami, Schinken oder Käse, warme Eintöpfe und Obstsalat und im Sommer Eiscreme.

Nicht selten sieht man beschwipste Upgrader schon am frühen Vormittag guten Wein und Sekt und Bier in sich hinein schütten. Alles gratis soviel man will. Tee, Milchkaffee, Säfte und Limonaden laufen da nur nebenher. Es soll Leute geben, die extra einen Zug später nehmen, um in Ruhe zuschlagen zu können.

Eine solche Völlerei ist sowas von Neunziger. Und heute einfach typisch Bahn. All das an Abfahrts- und Ankunftsort und mit Service direkt bis an den kleinen, knubbeligen, knallroten Loungesessel. Selbstbedienung hingegen ist was für Vielflieger. Und die haben bis zu diesem Status deutlich mehr geblecht.

Zugpersonal mit Herz

Der feine Grat zwischen Vorschriften und Menschlichkeit. Vor einiger Zeit am späten Abend von Köln-Deutz nach Frankfurt. Da kommt die Schaffnerin durch. Eine ältere Dame hält sie auf und fragt mit zittriger Stimme: "Sagen Sie, wann kommt denn Köln Hauptbahnhof?"

"Der Zug hält nicht Köln Hauptbahnhof. Wir haben nur Deutz gehalten."

"Was? Oh Gott, was mache ich denn jetzt? Wie komme ich denn jetzt zurück?"

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"Unser nächster Halt ist Montabaur. Von da kommen Sie heute Nacht allerdings nicht mehr nach Köln zurück."

"Um Himmels Willen!" Die Seniorin schnappte nach Luft.

"Jetzt zeigen Sie mir erstmal Ihren Personalausweis."

"Aber warum das denn?"

"Ich will nur sehen, dass Ihre Meldeadresse nicht Montabaur ist. Es gibt da so eine Masche. Ticket bis nach Köln lösen aber dann bis Montabaur weiterfahren, weil man das mit Hauptbahnhof angeblich nicht wusste."

Die alte Dame eine schlitzohrige Schwarzfahrerin? Sie lief rot an: "Ich bitte Sie! WAS SOLL ICH DENN UM DIESE UHRZEIT IN MONTABAUR?"

Und jetzt geschah es. Die Schaffnerin hielt inne, atmete durch, flüsterte "Moment bitte", drehte sich auf dem Absatz um und verschwand.

Die alte Dame blickte ihr mit tränennassen Augen verdutzt hinterher: "Wo soll ich heute Nacht denn bleiben?"

Kurz darauf kam die Zugbegleiterin zurückgeeilt: "Sie fahren jetzt mit uns mit bis Frankfurt Flughafen. Dort wartet für Sie der letzte ICE des Tages Richtung Köln."

Ein Raunen ging durch den Großraumwagen: So etwas stand in keinem Vorschriftenkatalog. Ich werde nie vergessen: Wir drückten uns alle fast die Nasen platt, als wir der alten Dame dabei zusahen, wie sie vier Gleise weiter im nächtlichen Flughafenbahnhof allein in die einzige Tür kletterte, die an dem hunderte Meter langen ICE noch offen stand. Ein Mann in DB-Uniform erwartete sie schon. Sie stieg ein, die Tür schlug zu und der Zug fuhr ab nach Köln.

Das Restaurant

Hartmut Mehdorn hatte einst überlegt, die Bordrestaurants abzuschaffen. Was wäre das für ein unverzeihlicher Fehler gewesen. Das Restaurant ist DAS Alleinstellungsmerkmal der Eisenbahn. Der ICE ist schnell. Aber das Flugzeug ist schneller. Der ICE ist flexibel nutzbar. Aber das Auto ist flexibler. Aber der Zug ist komfortabler als alles. Selbst ein Businessclass-Flug ist eben nur bequem im Vergleich zur Economy. Einem Vergleich mit dem ICE hält er nicht stand. Nur gut, dass der Flug kürzer ist.

Und das Bordrestaurant verleiht dem Zug Seele. Es belegt: Im ICE geht es auch um Genuss. Das Essen an Bord ist nicht so frisch wie im Lieblingsrestaurant um die Ecke. Für aufgewärmte Speisen wie Schweinerückensteak mit Schafskäsefüllung und Spinatbandnudeln sind ganze 14,90 Euro fällig. Das ist eben der Unterwegs-Aufpreis. Das zahlen Sie am runtergekommenen Flughafen Berlin-Tegel gut und gerne für ein geplatztes Paar Würstchen und ein Bier. Okay, fast. Aber dafür am Boden mit Blick auf abbruchreife Flure.

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Kenner bestellen im ICE einfach die Ofenkartoffel mit Quark und Räucherlachs und dazu einen kühlen Weißwein, alles für unter 15 Euro - inklusive Blick auf diesige Wiesen, grüne Wälder, blaue Seen, glitzernde Flüsse im Sonnenuntergang, auf romantische Burgen, gruselige Fabrikruinen und geheimnisvolle Hinterhöfe. Am besten der Moment an der Autobahn entlang: wenn man mit dem Weinglas in der Hand mampfend die Autofahrer überholt. Und am Tisch leuchtet ein kleines Stehlämpchen auf die weiße Tischdecke. Das Panorama kriegen Sie in keinem Firstclass-Flug in zehntausend Metern Höhe.

Das gigantische Netz: Viele Kritiker der Deutschen Bahn schwärmen von der Pünktlichkeit vom Skinkansen. Und wahrhaftig: Der japanische Rennzug ist selten mal mehr als eine Minute zu spät. Das liegt daran, dass der Shinkansen in seiner eigenen Welt unterwegs ist.

Anders als der ICE wartet der Shinkansen nicht auf Anschlusszüge. Er lässt die Leute einfach stehen. Er fährt im separaten Netz mit separaten Fahrkarten und separaten Zugängen in den Bahnhöfen. Er teilt sich die Gleise nicht mit dem Regionalverkehr und Güterzügen. Wer aber auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen muss, kann problemlos pünktlich sein. Typisch für das deutsche Netz ist das ausgeklügelt verzahnte Miteinander auf kleinstem Raum. Kleine Störungen lösen dort allerdings schnell eine Kettenreaktion aus.

Wer aber den stets pünktlichen Hochgeschwindigkeitszug in Deutschland will, der muss auch wollen, dass exklusive ICE-Trassen quer durchs Land geschlagen werden. Und ohne separate ICE-Bahnsteige in den Bahnhöfen geht dann auch nichts. Weiß jemand, wo der etwa im überladenen Kölner Hauptbahnhof hinpassen soll?

Bislang ist es in Deutschland noch nicht einmal möglich, der Energiewende zuliebe eine Stromleitung vom Norden in den Süden zu verlegen, ohne dass alle Anrheiner mosern, die geplante Stromleitung würde beim abendlichen Rotwein den Blick von der Terrasse im Reihenendhaus aus auf den Horizont trüben.

Fahren Sie bitte mal bei Gelegenheit mit dem TGV durch Frankreich (Atmosphäre wie im RegionalExpress), oder im Shinkansen durch Japan (Atmosphäre fast wie in der Disko bei Putzbeleuchtung). Dass ausgerechnet die so rationalen Deutschen den gemütlichsten und verspieltesten Hochgeschwindigkeitszug der Welt nutzen, ist doch nett. Und ein Segen. Mein Zug hat gerade exakt 29 Minuten Verspätung. Weil im hinteren Zugteil eine Bremse abgeschaltet werden muss, stehen wir vor Bielefeld auf offener Strecke. Dafür ist es hier drin so muckelig. Als hätte Siemens die eingebauten Zipperlein geahnt und gleich ein Trostpflaster mit dazu geplant.

Deshalb fahre ich trotz allem, was ganz schnell besser werden muss, gerne Zug. Und bei der nächsten Panne bestelle ich einfach noch einen Tee. Vielfahrer wissen schließlich: Mit Magengeschwüren kommt man auch nicht schneller an. Und wenn ich dann zu spät zum Termin komme, sage ich einfach: "Sorry, bin mit der Bahn da." Und alle winken mitleidig ab ("Du Armer!") und schwupps ist es verziehen. Eigentlich genial! Das bleibt hoffentlich trotz der neuen Bahn-Offensive noch lange so.

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