Werner knallhart
Quelle: dpa

Hörzu & TV Spielfilm: Sind Sie nostalgisch genug für eine TV-Zeitschrift 2020?

Auf der Suche nach Corona-Zerstreuung habe ich mich im Presseshop umgesehen und gemerkt: Es gibt ja noch Abermillionen von Fernsehzeitschriften! Wie damals. Zwei habe ich gekauft. Und das Durchblättern fühlte sich an wie Freitagnachmittag nach der Schule im 20. Jahrhundert.

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Gibt es das heute noch? Leute, die in ihrer druckfrischen Fernsehzeitschrift mit dem Textmarker anstreichen, was sie kommende Woche gucken wollen?

Wenn ja, müsste man jetzt Textmarker-Aktien kaufen. Denn wenn es eine Zeit gibt, in der es sinnvoll ist, die Programmtabellen von Fernsehsendern durchzuackern, dann jetzt. Jeder Psychologe rät in diesen Tagen zum Thema zu Hause rumsitzen: Schaffen Sie sich Aufgaben. 

Jan Böhmermann hat in seinem Podcast mit Olli Schulz erzählt, er schreibt jetzt immer schön auf, was er am Tag kochen will. 

Ich habe heute meine Sockenschublade ausgemistet (was ich das letzte Mal… - nein, das habe ich noch nie getan.) Und ich habe gemerkt: Die gehen eigentlich alle noch. Ich habe jetzt einfach irgendein Paar aussortiert. Sonst hätte ich mir eingestehen müssen, mit meinem Stay-Home-Projekt gescheitert zu sein. 

Eine persönliche Fernsehguck-Liste für die kommende Woche zu erarbeiten, wäre insofern schlauer gewesen. Mein Problem ist nur: Ich gucke im Fernsehen immer das Gleiche. Es wäre reinste Textmarker-Verschwendung. 

Ich habe auch seit gut und gerne fünfzehn Jahren keine Fernsehzeitschrift mehr in Händen gehalten. (TV-Zeitschrift, wie sie sich selbst nennen. Keiner sagt TV zu Fernsehen. Außer Nina Hagen und die Fernsehzeitschriften.)

Aber jetzt habe ich es mal wieder getan. Ich habe zwei Exemplare gekauft. Aus einem Damals-war-alles-so-schön-Anflug. Jetzt, da alles anders ist. Und es fühlte sich an, wie ein Sprung in die frühen 80er-Jahre. 

Denn ich habe zum einen die „Hörzu“ gekauft. Und die war ja eine Weile DIE Zeitschrift für Leute, die beim Thema Fernsehen auf sich achten. Die gehörte auf jede Häkeldecke auf dem Couchtisch. Den jeweiligen Tag schon vormittags aufgeschlagen (obwohl das Programm damals ja erst nachmittags losging). Links ARD, rechts ZDF, in der Mitte unten das jeweilige Dritte. Sonst nichts.

Ich erinnere mich an einen furchtbar langweiligen Nachmittag nach der Vorschule. Meine Mama war zum Kaffee bei irgendeiner Frau eingeladen, ich war ihr +1, und nachdem ich mein Stück Tortenboden mit Dosenpfirsichen, Rindergelatine-Topping und gezuckerter Schlagsahne reingestopft hatte, war ich eigentlich aufbruchbereit. Aber die Damen hatten noch etwas aus meiner Sicht als fünfjährigem Mann sehr Unwichtiges zu beschnacken. Sehr lange. 

Also legte ich mich auf den Teppichboden, zupfte mir die „Hörzu“ vom TV-Bänkchen ran und blätterte sie durch. Nennenswert Kinderprogramm zum Markieren gab es in Vor-Kika-und-Super-RTL-Zeiten zwar nicht. Trotzdem rief ich „Mama, kann ich einen Stift?“ Die andere Frau brachte mir einen und dann machte ich: das Rätsel „Original & Fälschung“. Damit war ich dann sehr, sehr lange beschäftigt. 

Sie kennen das Ding? 

Unter dem Abdruck eines berühmten Gemäldes wird eine Fälschung dargestellt, in der angeblich zehn Unterschiede zum Original eingebaut wurden. Wobei ich als Kind der Meinung war, es seien immer so fünf bis sechs. Denn ich hielt eher die Redaktion für eine Bande von Tricksen, als mich für zu blind. 

Zu meinem Entzücken gibt es dieses „Hörzu“-Rätsel bis heute. Gerade gestern habe ich mich wieder dran gemacht. Und stelle fest: Die Kollegen tricksen immer noch dreist. Oder wahrscheinlich hat mir mein Smartphone-Display eher schon zu sehr die Augenmuskeln vernarbt. 

Spannender als früher sind heute aber die Fernsehprogrammseiten. Hinter der Doppelseite mit den drei Programmen kam früher in schwarz-weiß auf so einem rauen grauen Papier das Radioprogramm. Ich kannte einen einzigen Menschen auf der Welt, der diese Seiten genutzt hat, und das war meine Oma. 

Heute sendet jeder Radiosender praktisch jeden Wochentag nach dem gleichen Schema. Da braucht nun wirklich kein Mensch mehr abgedrucktes Radioprogramm. Dachte ich. Aber die „Hörzu“ bleibt ihrem Namen und ihren Anfängen treu: Sie hat nun neben zehn Seiten TV-Senderlisten pro Tag in der Mitte des Hefts den Beileger „Radio aktuell“. Noch so rau wie damals. Als bewährter Service für alle, die das Internet für überbewerteten Nerdquatsch halten. 

Meine Eltern sind damals allerdings nicht bei der „Hörzu“ geblieben. Wahrscheinlich war es eine Preiserhöhung, die die Beiden den Machern übelgenommen haben, was uns die „FunkUhr“ bescherte. Kein Heft begleitete „Ich heirate eine Familie“ und die Schwarzwaldklinik so schön allumfassend mit allem, was man wissen muss, wie die „FunkUhr“, fanden wir. Hach, wie Thekla Carola Wied (die Mutter der Nation) und Peter Weck auf dem Cover gemeinsam die erste Kerze auf dem Adventskranz angezündet haben, ohne sich am Streichholz die Pfoten zu verbrennen. Oder waren es Klaus-Jürgen Wussow und Gaby Dohm? Zumindest war einfach alles so gemütlich, so gut. 

Aber irgendwann regte sich in mir die Pubertät und ich wollte Marken setzen im Familienleben. Ich überredete meine Eltern, ab sofort die „TV Spielfilm“ zu kaufen. Denn bald sollten wir Kabelfernsehen bekommen (als letzte Familie von meiner Schule, glaub ich) und die „TV Spielfilm“ hatte damals schon acht oder zehn Sender auf der ersten Doppelseite. Und dann die knallharten Spielfilm-Besprechungen mit Daumen hoch, Daumen runter. Die waren wichtig, denn wer ohne Vorbildung zu viel Schrott aufnahm, verschliss bloß unnötig die VHS-Kassetten. 

Damals konnte keiner ahnen, dass Spielfilm-Tipps fürs Fernsehen in den 20er-Jahren des 21. Jahrhundert ganz plötzlich irgendwie wie von gestern wirken. Denn gerade Spielfilmfreaks kommen jetzt natürlich bei den Streamingdiensten auf ihre Kosten. Ganz ohne von Programmplanern festgelegte Startzeiten und Werbeunterbrechung. Auch das öffentlich-rechtliche Unterhaltungsprogramm gibt es in immer besser werdenden Mediatheken online, zu öffnen über die rote Taste an der Fernseh-Fernbedienung. Oder in den Apps. Und durch den Rundfunkbeitrag schon mitbezahlt, ohne Extrakosten, ohne Werbung. 

Selbst zu entscheiden, wann man was im Leben tun möchte, ist ein hohes Gut. Das gilt auch für den Start einen Film oder einer Serie. Ganz ohne Sendezeitentabellen.

Die wiederum lassen sich lauf zig Websites und Apps online abrufen. Etwa auch auf tvspielfilm.de und hoerzu.de, aber auch auf funkuhr.de, tvmovie.de und so weiter.

Man braucht die Fernsehzeitschriften eigentlich nicht mehr. Da hilft auch der halbherzige Versuch von „TV Spielfilm“ nicht, mit drei hinten versteckten Seiten „Streaming Neustarts und Tipps“ irgendwie den Anschluss in die neue Welt zu schaffen. Es steht auch hierzu alles viel ausführlicher online. 

Fernsehzeitschriften sind ein Relikt aus alten Zeiten, das sich aus Tradition und Gewohnheit in die Gegenwart rüber schleppen konnte. Wie die Lottozahlen mit diesem „ohne Gewähr“. 

Aber diese „TV“-Zeitschriften sind eben auch ein wohliges Stück analoges Leben in der digitalen Zeit. Mit journalistischer Hintergrundberichterstattung zum nächsten Tatort oder Texten von Redakteuren, die Produkte aus „Die Höhle des Löwen“ durchtesten. Ganz ohne Googlen, ohne Displays, ohne Ladegeräte. 

In Corona-Zeiten ist das eigene Wohnzimmer zur Steuerzentrale des Lebens geworden. Und der Fernseher ist unser Fenster nach draußen. Und so betrachtet ist die TV-Zeitschrift der Kompass auf dem Instrumentenbord Couchtisch. Sie passt gerade perfekt in die Bleib-zuhause-Zeit – wie Toffifee und Fischstäbchen. Einer Zeit, in der wir einfach nur Dinge tun, um nicht verrückt zu werden. Und in der wir uns die alten Zeiten zurückwünschen. TV-Zeitschriften durchzublättern war irgendwie komplett aus der Zeit gefallen. Und deshalb tut genau das gerade so gut.

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Marcus Werner schreibt über die alltäglichen Nebensächlichkeiten in der Wirtschaft, die es wert sind, liebevoll aufgeblasen zu werden. Eine Übersicht über alle bisherigen Folgen der Kolumne finden Sie hier.

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