Wäre Pinkeln auf der Autobahnraststätte Teil des Warenkorbs zur Berechnung der Inflationsrate, dann gute Nacht Deutschland. Aber die Kosten für Sanifair können unmöglich Teil der Berechnung sein. Denn das wäre viel zu kompliziert. Aus folgendem Grund:
- Ab Mitte November kostet der Besuch der Sanifair-Toilettenanlagen an unseren Tank-und-Rast-Autobahnraststätten einen Euro und damit über 40 Prozent mehr als heute. (Sparfüchsen, die das sich schließende Zeitfenster nochmal so richtig ausnutzen wollen, bleibt nichts anderes, als die kommenden vier Wochen vor jeder Fahrt mindestens einen Liter Wasser in sich einzuflößen.)
- Noch bis Mitte November erhalten wir für unsere 70 Cent nicht nur Zutritt zum hell erstrahlenden Fliesenflur der Sanifair-Anlage. Sondern direkt noch einen Wertbon über 50 Cent, den wir dann im angeschlossenen Raststättenrestaurant verprassen können. Ab Mitte November kostet das Ganze dann einen Euro, der Wertbon hat dann aber einen Wert von 1 Euro. Früher 20 Cent durch den Lokus raus, künftig null Verlust.
- Durch die Inflation steigen logischerweise auch die Preise an den Warmhalte-Theken der Raststätten. Die Sanifair-Bon-Kaufkraft steigt also real im Vergleich zu heute nicht in Höhe des Wertbonwertzuwachses.
Das bedeutet: Für einen um 30 Cent höheren Invest (plus 40 Prozent) steht uns im Tank-und-Rast-Universum 50 Cent und damit 100 Prozent mehr an Barmitteln frei zur Verfügung, die von der deutschen Inflation allerdings teilweise wieder aufgefressen werden.
Um in dieser Gemengelage zu berechnen, wie wir Autofahrer da unterm Strich wirtschaftlich bei wegkommen, bräuchte man meines Erachtens einen Quantencomputer und die sind ja noch nicht marktreif.
Das haben die von Sanifair natürlich extra gemacht. Für den undurchschaubaren „Dafür aber“-Effekt: „Dafür aber ist der Wertbon mehr wert.“
Jaja. Gäbe es da nicht auch den „Ich will von diesem unverschämt überteuerten Kantinenfutter aber nichts kaufen“-Effekt, der entsteht, wenn man erst auf die in Tafelkreide-Handschriftimitat-Type ausgefüllten Preistabellen oben an der Wand blickt, dann auf die halb ausgekratzten Warmhaltewannen unten vor einem und dann den Ein-Euro-Wertbon in der Manteltasche zerknüllt und denkt: Highway to hell.
Nur noch ein Wertbon pro Artikel? Abzocke!
Aber jetzt kommt die wahre Abzocke! Heute lassen sich ja sämtliche Wertbons mehrerer Autofahrten noch zu einer Mahlzeit kombinieren bis hin zu Schni-Po für lau. Das aber verbitten sich die Sanifair-Schlaumeier künftig. Nur noch ein Wertbon pro Artikel!
Tjaha! DAS ist die wahre Urinflation: Preisanstieg plus Konsumzwang im Überteuer-Segment. Wenn Sie also mit der fünfköpfigen Familie auf der Fahrt in den Urlaub von Bielefeld nach Garmisch dreimal für den Klogang eine Tank-und-Rast-Anlage ansteuern müssen, blechen Sie 15 Euro an der Sanifair-Bezahlschranke. Harndrang schlägt Sparzwang.
Wollen Sie die Wertbons nach dem Händewaschen nicht verfallen lassen, müssen Sie teure Produkte kaufen. Und zwar ganze 15 Produkte.
Schneller schlau: Inflation
Wenn die Preise für Dienstleistungen und Waren allgemein steigen – und nicht nur einzelne Produktpreise – so bezeichnet man dies als Inflation. Es bedeutet, dass Verbraucher sich heute für zehn Euro nur noch weniger kaufen können als gestern noch. Kurz gesagt: Der Wert des Geldes sinkt mit der Zeit.
Die Inflationsrate, auch Teuerungsrate genannt, gibt Auskunft darüber, wie hoch oder niedrig die Inflation derzeit ist.
Um die Inflationsrate zu bestimmen, werden sämtliche Waren und Dienstleistungen herangezogen, die von privaten Haushalten konsumiert bzw. genutzt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) beschreibt das wie folgt: „Zur Berechnung der Inflation wird ein fiktiver Warenkorb zusammengestellt. Dieser Warenkorb enthält alle Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte während eines Jahres konsumieren bzw. in Anspruch nehmen. Jedes Produkt in diesem Warenkorb hat einen Preis. Dieser kann sich mit der Zeit ändern. Die jährliche Inflationsrate ist der Preis des gesamten Warenkorbs in einem bestimmten Monat im Vergleich zum Preis des Warenkorbs im selben Monat des Vorjahrs.“
Eine Inflationsrate von unter zwei Prozent gilt vielen Experten als „schlecht“, da sie ein Zeichen für schwaches Wirtschaftswachstum sein kann. Auch für Sparer sind diese niedrigen Zinsen ein Problem. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent an.
Deutlich gestiegene Preise belasten Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie können sich für ihr Geld weniger leisten. Der Privatkonsum ist jedoch eine wichtige Stütze der Konjunktur. Sinken die Konsumausgaben, schwächelt auch die Konjunkturentwicklung.
Von Disinflation spricht man, wenn die Geschwindigkeit der Preissteigerungen abnimmt – gemeint ist also eine Verminderung der Inflation, nicht aber ein sinkendes Preis-Niveau.
„Mobil in Deutschland e.V.“ hat die durchschnittlichen Preise von Tank & Rast für 2021 ausgerechnet. Nehmen wir an, beim ersten Stopp kaufen Sie drei Flaschen Cola (à 2 Euro 64) und zwei kleine Cappuccinos (à 3 Euro 93), beim zweiten allen je ein Käsebrötchen (à 3 Euro 81) und beim dritten Stopp allen je ein Magnum-Eis (à 3 Euro 34), dann sind Sie – aus purer Liebe und dem irrationalen Drang, die unheilvollen Coupons zu verwerten – 51 Euro 53 los. Ein Brötchen, ein Softdrink und ein Eis für fünf für über 50 Euro. Das muss man sich leisten können. Wertbons wegschmeißen wäre wirtschaftlich vernünftiger.
Dieser Trick aus Schulzeiten hilft Ihnen
Aber es gibt einen Trick. Ich habe ihn einst in Zeiten knapper Kasse als Schüler entwickelt. Damals sind wir mit dem Auto in die Dorfdisko gefahren, wo der Eintritt zwar frei war, aber an vier Mark Mindestverzehr gebunden. An den Abenden, an denen ich der Fahrer war, blieben mir für meine Vier-Mark-Gutscheine nur zwei Optionen. Entweder eine für mein jugendliches Dafürhalten überteuerte Cola, oder – und jetzt kommt’s – acht Hanutas zu je 50 Pfennig.
Weil kein anderer Mensch in dieser Disko im größeren Stil an Schokoladenwaffeln interessiert war (es galt als unsexy oder so), war immer genügend von diesem kleinen Thekensnack vorrätig. Und so saßen wir da: die anderen mit Bierflaschen, ich mit meinem Stapel Hanutas.
Das Dorfdisko-Prinzip funktioniert heute noch für Sanifair! Ich zitiere noch einmal „Mobil in Deutschland“. Durchschnittlicher Preis für den Kinderriegel 22 Gramm: 93 Cent. Das ist im Vergleich zum Supermarkt-Preis zwar deutlich teurer. Aber sehen Sie es mal so: Gepflegt austreten plus Schokoriegel für einen Euro – also da würde ich mich vorrangig über andere Weltprobleme aufregen.
Wenn Ihnen die dann sieben vergeudeten Cent schwer im Magen liegen, dann sehe ich allerdings nur eine alternative Lösung: Brechen Sie aus. Verlassen Sie das System. Verschenken Sie die Bons und verkaufen Sie das Auto. Steigen Sie um auf die Bahn. Beim kleinen Cappuccino kommen Sie an Bord sogar mit 3 Euro 60 hin. Und worauf es ankommt: Es ist eine Austret-Flatrate im Ticket integriert.
Ferienstaus, Spritpreisschock, Neuwagen-Knappheit, Parkplatzmangel, 9-Euro-Ticket. All das hält uns vom Autofahren nicht ab. Aber wer weiß: Manchmal reicht ein kleiner Nadelstich und ein ganzes System kippt. Die schmerzende Blase, die wir uns aus reinem Stolz bis zum Zielort antun, während wir eine Raststätte nach der anderen an uns vorbeiziehen lassen und uns denken: Meine sieben Cent kriegt ihr nicht.
Der Kinderriegel oder die BahnCard 100. Ich sehe keinen weiteren Ausweg aus der Urinflation.
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