Werner knallhart
Quelle: imago images

Sitzplatz? Sorry, heute nicht! Das ist die wunderbar bequeme DB-Logik

Vier Stunden stehen im Toilettenbereich. Und dafür 4 Euro 50 zurück. Weil: „Leider gelten die Reservierungen in diesem Zug nicht.“ Dieses Chaos kostet die Bahn kaum mehr als ein müdes Sorry. Das muss so nicht bleiben.

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Was ist Ihnen eine Reise im Sitzen wert? Wenn ich mir immer so angucke, wie die Leute im ICE immer so über ihren Koffern liegend im Türbereich darauf hoffen, diese Reise möge bald zu Ende sein, da könnte ich mir vorstellen: In deren Ohren klingt „Sitzplatzgarantie“ wie Engelsgesang.

Und es gäbe (ja, Konjunktiv!) ja schon heute eine Lösung: Wer nicht auf dem ICE-Fußboden dahinvegetieren und im Winter die nassen Daunenjacken, im Sommer die behaarten Beine der Passanten durchs Gesicht gezogenen bekommen möchte, kann ja einen Platz für 4 Euro 50 (2. Klasse) oder 5 Euro 90 (1. Klasse) reservieren.

Hahahahahahaha! Leute! Abgestumpfte Vielfahrer wie ich finden es mitunter auf bedauernswerte Weise putzig, wie einige gutgläubige Fahrgäste einsteigen und ernsthaft glauben, dass sie mit dem Spruch „Aber ich habe doch reserviert“ irgendetwas anderes an Bord auslösen könnten, als Schulterzucken.

Wenn die armen Wenigfahrer noch frohgemut ihre Rollkoffer hinter sich her durch die Gänge und über Schuhe und Taschen hinweg ziehen, ihre Blicke mäandernd zwischen Reservierungsdaten auf ihrem Zettel und den Wagennummern auf den Deckenmonitoren. Auf dem Reservierungs-Ausdruck (oder dem Smartphone) steht „Wagen 36“. Aber irgendwie gibt es im Zug nur Wagennummern zwischen 1 und 10 oder so.

„Ja“, sagt die mit wehenden Haaren vorbeieilende Zugchefin mit mitleidiger (und völlig zurecht auch selbstmitleidiger) Miene. „Das ist ein Ersatzzug. Und der stammt aus einer anderen Zug-Baureihe. Hier sind die Wagen- und Sitznummern ganz anders. Am ursprünglichen Zug ist mal wieder irgendwas kaputt.“

„Toll, und jetzt?“ „Ja, Sie können sich die Kosten für die Reservierung erstatten lassen“, sagt die Frau in Weinrot mit der roten Armbinde noch und huscht an der gläsernen Automatiktür vorbei, um in den nächsten Wagen die gleichen Fragen wieder und wieder zu beantworten.

Der strapaziösen Baureihen-Effekt ist etwas, das Sie zurzeit häufiger erleben können. Den Eindruck habe nicht nur ich, das bestätigen Ihnen auch die Mitarbeitenden an Bord, die es längst leid sind, sich ständig für die Flops entschuldigen zu müssen, die ihr Arbeitgeber ihnen und vor allem den Kundinnen und Kunden Tag um Tag zumutet: Vom traditionellen KKK mal abgesehen (Klima, Kaffeemaschine, Klo) bis zur guten alten Signalstörung. Wie soll man da noch seinen Job lieben? Geschweige denn seine Reise?

Und jetzt, während ich dies hier gerade schreibe, sitze ich gerade wieder in einem solchen Zug „einer anderen Baureihe“. Wusste ich gar nicht. Aber gerade kommt die berühmte devote Durchsage: „Tut mir leid, aber…“ Witziger Zufall? Leider nein.

Denn das kommt wohl so: Lange Zeit war die Deutsche Bahn mit viel zu wenig Zügen ausgestattet, weil die rechtzeitige Bestellung neuer ICEs einst verpennt worden war. In diesen Zeiten fuhr dann zum Beispiel auf der Verbindung Köln-Berlin jahrelang praktisch ausnahmslos der ICE der Baureihe 2. Das ist der, mit dem die Gäste so oft ewig in Hamm rumstehen, weil er dort mit dem Zug aus Düsseldorf gekoppelt werden soll, was allerdings daran scheitert, dass der Zug aus Düsseldorf nicht da ist.

Mittlerweile sind endlich mehr Züge vorhanden, nachgeordert wurden aber natürlich nicht die ICEs alter Bauart, sondern zum Glück neue. So fährt auf der Strecke Köln/Düsseldorf-Berlin neben dem ICE 2 mittlerweile auch der ICE 4, manchmal der ICE 3 und wenn es hart auf hart kommt, auch der Pionier: der ICE 1 aus den 80er-Jahren.

Und all diese Baureihen werden nun im Notfall (irgendwas ist mal wieder richtig kaputt) bunt untereinander ausgewechselt, dass es nur so quietscht. Und haben alle ihre eigenen Wagennummern, Sitzplatznummern und Wagenzuschnitte. Mit anderen Worten: Wechselt beim Austausch eines Zuges auch die Baureihe, dann können Sie Ihre Reservierung in aller Regel vergessen. Dann heißt es vermeintlich großzügig flexibel: „Setzen Sie sich gerne auf jeden verfügbaren Platz.“ Ja danke, erstmal einen finden!

Und jetzt zurück zur Ausgangsfrage: Was ist Ihnen eine Reise im Sitzen wert? Der Deutschen Bahn cleverer Weise nur zwischen 4 Euro 50 und 5 Euro 90. Fällt die Reservierung wegen technischer Mängel flach, dann stehen Sie im dümmsten Fall stundenlang und bekommen maximal knapp 6 Euro zurück. Weil das ja klar ist! Oder? Wie finden Sie das?

Soll die Bahn Ihnen weiterhin den zugesagten Sitzplatz jederzeit wieder wegnehmen und Ihnen die dafür berechnete Gebühr zurückerstatten dürfen? Übertragen wir diese Konstellation mal in andere Lebensbereiche.

Stellen Sie sich vor, Sie buchen ein Hotelzimmer. Auf der Buchungsplattform steht: Übernachtung im Doppelzimmer 70 Euro. Bett: 5 Euro. Sie denken sich: Was soll der Quatsch?, buchen für zusammen 75 Euro, öffnen mit Ihrer Schlüsselkarte die Tür und finden vor: Einen Fernseher und ein Badezimmer. Kein Bett. Sie müssen dann 8 Stunden im Stehen oder auf dem Fußboden schlafen. Und am nächsten Morgen bekommen Sie an der Rezeption ein großes Sorry und 5 Euro zurück.

Oder im Kino: Logenplatz 12 Euro, Vorführung des gewünschten Filmes 1 Euro. Sie sagen sich: „13 Euro für einen Kinoabend leiste ich mir.“ Am Ende sitzen Sie dort anderthalb Stunden und es kommt kein Film. Erstattung 1 Euro.

Autokauf: 30.000 Euro, Wunschfarbe grau: 100 Euro extra. Sie kaufen für 30.100 Euro. Das Auto kommt in gelb. Sorry, sie bekommen 100 Euro und müssen das gelbe Auto nehmen. Pizza 10 Euro, Belag 50 Cent, macht 10 Euro 50. Bei trockenem Teig ohne was drauf 50 Cent Cash back.

Der Irrsinn ließe sich beliebig fortspinnen. Ist es so gesehen fair, wenn eine Reise, die nicht 100 Euro kostet, sondern 104 Euro und 50 Cent, weil man unbedingt sitzen möchte, am Ende doch im Stehen absolviert werden muss, und Ihnen dann rund vier Prozent erstattet werden?

Man muss als Anbieter einfach die einzelnen Elemente der vertraglich geschuldeten Leistungen nur entsprechend gewichten, wie es einem passt, und kritische Teile des Vertrages auf diese Weise billig rechnen, die regelmäßig schlecht geleistet werden. Das ist die wunderbar bequeme DB-Logik – das Gebaren eines selbstherrlichen Monopolisten, der sich immer wieder in aller Seelenruhe darauf beruft, dass er es eben nicht besser kann. Das reicht nicht: Maßgeblich darf nicht sein, was die Bahn für angemessen hält, sondern wir. Uns allen gehört die Deutsche Bahn.

Dass wir uns an so viel Ungerechtigkeit fast gewöhnt haben, ist schlimm genug. Aber: Was wäre, wenn wir uns als Kundinnen und Kunden herausnehmen würden, was sich die Bahn erlaubt? Also einfach einseitig die vereinbarten Vertragsbestandteile stornieren. „Oho, dahinten ist noch ein nicht reservierter Platz frei? Dann gebe ich meine von mir bezahlte Reservierung wieder zurück. Ich bitte für die entstandenen Unannehmlichkeiten um Entschuldigung.“ Oder: „Ich fahre doch mit dem Auto. Bitte Geld für die Reservierung zurück. Sorry.“

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Die Reservierungsgebühr muss endlich eine echte Sitzplatzgarantie beinhalten. Wer sie bezahlt, erwirbt auf diese Weise auch den Anspruch auf Erstattung von 50 Prozent des Fahrpreises für den Fall, dass ein Zug eingesetzt wird, bei dem die Reservierungen nicht gültig sind. Und zwar unabhängig davon, ob genug alternativer Platz an Bord ist, denn manche möchten gerne gemeinsam am Tisch sitzen, manche in Fahrtrichtung gucken, das ließe sich anschließend nicht individuell nachhalten.

Die Mobilitätswende ist jetzt! Also muss die dösige DB-Methode Achselzucken endlich ein Ende haben. Weil es fair wäre. Das gilt übrigens nicht nur für die Reservierungen. Fortsetzung folgt.

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Unser Kolumnist Marcus Werner schreibt über die alltäglichen Nebensächlichkeiten in der Wirtschaft, die es wert sind, liebevoll aufgeblasen zu werden. Den Autor erreichen Sie auch über LinkedIn.

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