2. Die Fahrt
Meist gehen die Fahrten schon gut gelaunt los. Alles andere wäre seit Neuestem nämlich geschäftsschädigend.
Denn Fahrer, die pampig sind, saumäßig rasen, herumbummeln, Umwege fahren, zum Gepäck einladen nicht aussteigen, nach Rauch oder Zwiebeln stinken, mit einem gammeligen Auto anrücken oder die ganze Zeit mit dem Handy am Ohr herum gurken, müssen mit der Rache des Kunden rechnen. Und diese Rache per App hat zwei Stufen.
Stufe 1: Das Trinkgeld. Das kann bei MyTaxi per Knopfdruck gnadenlos verweigert werden. Das sieht der Fahrer dann noch, bevor der Fahrgast aussteigt. Bäng!
Stufe 2: Die Bewertung des Fahrers und des Autos. Das kann auch erledigt werden, wenn der Fahrer schon wieder weg ist. Für das Nachtreten aus sicherer Distanz.
Vorteil für den Kunden: Liegt auf der Hand. Denn aus dieser frisst einem jeder Fahrer, der weiß, wie wichtig ein guter Ruf mit vielen Sternen im Internet ist. Mehrere negative Bewertungen bedeuten faktisch eine Berufsunfähigkeit in der MyTaxi-Welt. Deshalb das neue MyTaxi-Lächeln.
Vorteil für den Fahrer: Mit einem sympathischen Auftreten und einem schicken Auto hat man endlich einen Vorsprung vor der Konkurrenz. Es zählt nicht mehr nur allein, wer zufällig in der Nähe ist. Die Kunden können gnadenlos sieben. Fahrer mit Dienstleistungsbewusstsein erleben hier eine Goldgräberstimmung.
3. Die Bezahlung
MyTaxi bietet dem Kunden voreingestellt als Vorschlag drei Trinkgeld-Buttons: 10 Prozent, 15 Prozent, 20 Prozent.
Vorteil für den Fahrer: Während 20 Prozent ja schon einem Heiratsantrag gleichkommen, ist auch 15 Prozent noch ganz ordentlich. Eine Fahrt von 18 Euro 70 wird so nicht etwa auf 20 Euro aufgerundet, sondern auf satte 21 Euro 50. Die über Jahre hinweg eher üblichen 7 bis 10 Prozent sind hier schon auf 10 Prozent angehoben - der niedrigste Geiz-Button. Wenn man bedenkt, dass MyTaxi mittlerweile nur noch 7 Prozent fixe Provision von den Fahrern verlangt, kann eine Fahrt mit solchen Trinkgeldern durchaus attraktiv werden. Ganz davon abgesehen, dass die App den teilnehmenden Fahrern ohnehin zusätzliche Fahrten vermittelt, zum großen Teil solche mit Geschäftsreisenden.
Vorteil für den Kunden: Kein Wechselgeld-Theater ("Kleiner hammses nich?") Wer die Quittung einreichen kann und nicht auf den Cent achten muss, ist mit zwei Klicks und einem Wisch schnell wieder raus aus dem Auto. Die Quittung kommt per E-Mail und kann direkt an die Buchhaltung weitergeleitet werden. Ohne Zettelkram. Wer die Trinkgeldsumme unter 10 Prozent senken möchte, muss allerdings null Prozent geben.
Das Faszinierendste jedoch hat Vorteile für Fahrer und Kunden: Das Taxi-Fahrvergnügen. Das ist zwar ganz eigennützig motiviert. Das Tolle ist aber der psychologische Kniff: Ist der Fahrer netter (egal warum), ist auch der Kunde besser drauf. Und ein gut gelaunter Kunde hebt die Stimmung beim Fahrer. Eine wahre Aufwärtsspirale der guten Laune. Wegen einer popeligen App!
Neulich fuhr ich in einem MyTaxi-Wagen durch Berlin. Der Fahrer roch nach Schweiß, dass es mir fast die Tränen in die Augen trieb. Sollte ich was sagen? Nein, lieber nicht. Nicht, dass er vor peinlicher Berührung die Kontrolle verlor. Ich öffnete das Fenster. Am Ende der Fahrt poppte in der App ein Feld auf: "Nachricht an den Fahrer". Sollte ich ihm von seinem Hygieneproblem schreiben? Aber wäre es persönlich nicht anständiger gewesen? Ich Feigling. Ich verachtete mich für mein fehlendes Rückgrat und gab dem armen, arglosen Fahrer zum Ausgleich fünf von fünf Sternen. Ich wollte nicht nur ein schwacher, sondern dann auch ein milder Richter sein.
So funktioniert Taxifahren heute.