Werner knallhart

Dank DHL und Hermes kennen viele erst ihre Nachbarn

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Wer meint, die Großstadt sei anonym, sollte einfach mehr online kaufen

Wenn man das weiß, geht es schneller. Egal, wie der Kiosk oder die Kindertagesstätte heißt (City-Spätkauf beziehungsweise Kita Abenteuerland oder so), es zählt der Name der Menschen darin. Auch wenn der nirgends an der Tür steht. Das eröffnet auf echt kleinem Raum ein Universum an Möglichkeiten.

Nun könnte ich hier fluchen und lästern. Aber ich habe mir vorgenommen, die Dinge positiv zu sehen. Das ist gesünder. Also: Die Rennerei hält auf Trab (Kalorienverbrauch) und - und das ist echt charmant - ich lerne meine Nachbarn kennen:

Den Leiter der Kindertagesstätte grüße ich jetzt, wenn ich ihm auf der Straße begegne. Und das nette Mädchen vom Kiosk winkt seitdem von drinnen und wenn das so weitergeht, spendiert die mir bald mal einen Kaffee bei sich im Shop.

Und außerdem weiß ich seit kurzem: Der ältere Herr, der mich in der U-Bahn kürzlich so freundlich angelächelt hatte, dass ich dachte, der ist schon nachmittags druff, der wohnt ja im selben Haus wie ich. Vier Stockwerke drunter. Das ist mir erst bewusst, seit er für mich die Lieferung neuer Kopfhörer angenommen hatte. Und kürzlich habe ich seit langer Zeit mal wieder mit der Ulrike (Name geändert, eigentlich heißt sie Daniela) von direkt unten drunter telefoniert. Das Gespräch begann mit den Worten: „Hallo, sagt mal, habt ihr einen Gartentisch im Internet bestellt? Der Lieferant steht hier gerade und will den bei uns abgeben“ und endete mit „Kommt doch demnächst endlich mal wieder auf ein Glas Wein runter.“

Die Kehrseite: Wer Nachbarn kennenlernen will, muss auch seinerseits Päckchen für sie annehmen, wenn er selber zu Hause ist.

Kürzlich raunte ein DHL-Bote durch die Wechselsprechanlage: „Können Sie Päckchen für Nachbarn annehmen?“ Und ich dachte, der Mann sei Migrant und verzichte der Einfachheit halber beim Sprechen auf die unbestimmten Artikel ein und einen.

Aber nein! Er war zwar Migrant, meinte aber in der Tat eine unbestimmte Vielzahl von Päckchen für mehrere Nachbarn.

Diesen Versandwegen vertrauen die Deutschen
Paket wird an den Nachbarn zugestellt Quelle: Fotolia
Paketkasten Quelle: dpa
Büro Quelle: dpa
Amazon-Drohne Quelle: dpa
Zustellung in den Kofferraum Quelle: dpa
Retour Quelle: Fotolia
Paketzustellung Quelle: dpa

Dass ich keine Sehnenscheiden-Entzündung vom Quittieren der Annahme bekommen hatte, war noch das Gute. Aber ich saß nun auf einem Stapel von rund zwölf Paketen. Eins sogar von einer Dame aus der Nachbarstraße.

Aber so erfuhr ich während all der netten Besuche innerhalb der drei/vier Tage danach, wie der Geschäftsführer des neuen kleinen Start-ups aus dem zweiten Stock aussah, dass die Kinder der Familie aus dem fünften Stock zurzeit abends so schlecht einschlafen, weil einer aus dem Haus dauernd noch nach 20 Uhr mit dem Schlagbohrer zugange ist, und dass demnächst wieder ein Grillfest im Hof geplant ist und dass da jeder entweder einen Nachtisch oder was Herzhaftes für alle mitbringen soll.

Also, ich kann jedem nur raten: Wer meint, die Großstadt sei so anonym, der soll einfach mehr online kaufen. Man kann das ja meist problemlos wieder zurückschicken.

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