Werner knallhart
Zugbegleiter der DB Deutsche n Bahn AG gehen mit ihrem Reisegepäck zu einem ICE im Hauptbahnhof Frankfurt, Hessen Deutschland *** DB Deutsche n Bahn AG train attendants walk with their luggage to an ICE train at Frankfurt central station, Hesse Germany Quelle: imago images

„Moment, die Zahlung ist nicht durch. Die Cola gehört Ihnen noch nicht!“

Viele Bahnangestellte machen das Beste aus Verspätungschaos, Restaurant-Pannen und Personalmangel an Bord und solidarisieren sich mit den Gästen. Doch manche wälzen ihren alltäglichen Ärger auf die Fahrgäste ab.

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„Es wird hier immer schlimmer“. Dieser wahre Satz stammt nicht aus dem Mund einer der Bahn-Kunden, sondern einer sympathischen Zugchefin an Bord eines ICE. Sie sagt ihn, nachdem ich sie gefragt habe, ob ich bei ihr einen Kaffee bestellen könne, was nicht so einfach ist.

Sie geht lächelnd an mir vorbei und als sie zurückkommt, entspinnt sich ein kurzes Gespräch, bei dem sie mir erzählt, dass sie als Zugchefin mittlerweile zwar auch dazu angehalten sei, gastronomische Wünsche in der 1. Klasse zu erfüllen (das war Jahrzehnte lang nicht der Job der Zugchefs), allerdings seien sie seit Monaten immer wieder derart wenige Kollegen an Bord, dass sie das mit der Gastro und der Ticketkontrolle nicht mehr schaffen würden: „Wir sind heute nur zu viert auf diesem langen ICE 1. Und zwei davon sind im Restaurant.“

Ich: „Kein Ding. Ich hole meinen Kaffee selber.“ Sie: „Nein, nein. Ich bringe ihn schon.“ Ich: „Das wäre mir jetzt unangenehm.“ Sie: „Bitte bleiben Sie sitzen. Ich bringe Ihnen den Kaffee.“ Und nachdem der Kaffee netterweise da ist, erklärt sie: Corona-Krankschreibungen, Baureihenwechselchaos, Teams, die in verspäteten Zügen hängenbleiben und dann im nächsten Zug fehlen. „Wir sind zu wenig. Und es wird hier immer schlimmer.“ Wenn jemand Ihnen so freundlich und ruhig ihre Not erklärt und trotzdem alles tut, um den Job gut hinzubekommen, dann ist das das Beste, was die Deutsche Bahn zurzeit aufzubieten hat.

Der Personalmangel ist ja nur das eine neben den neuerdings besonders vielen Verspätungen und den ganzen technischen Mängeln an Bord. Wenn einmal gegen alle Wahrscheinlichkeiten tatsächlich ein Zug auf die Minute pünktlich ist, die Reservierungsanzeigen stimmen und man für einen Gang zur Toilette nicht mehrere Waggons passieren muss, dann kommt mit Sicherheit noch die Ansage: „Leider können wir Ihnen im Bordrestaurant heute nur ein stark eingeschränktes Angebot an Speisen und Getränken bieten.“

Eine Reise, bei der von vorne bis hinten alles klappt, habe ich seit Jahren nicht mehr erlebt. Das Einzige, und das meine ich überhaupt nicht zynisch, was uns bei all dem dann noch wohlwollend auf die teuer bezahlte Dienstleistung Bahnreise blicken lässt, ist die Empathie mit den aufgeschmissenen Bahnangestellten. Motto: Die haben den Ärger täglich.

Nur dazu muss von Seiten des Dienstleisters, verkörpert durch unsere Bezugspersonen an Bord, dafür der Nährboden gelegt werden. Durch eine Kommunikation, die für Verständnis sorgt. Doch gerade in den vergangenen Monaten (und das kann ich als jahrelanger Vielfahrer genau beobachten) ist die Stimmung anscheinend am Boden. Einige Profis an Bord sind überfordert mit all den Tiefschlägen.

Und jetzt kommt’s: Einige von ihnen begehen nun den Kardinalfehler. Neben der Wahrnehmung ihrer selbst als Opfer (die nachvollziehbar ist), nehmen sie uns Kunden als die Mitttäter wahr: Der Konzern managet schlecht, wir können nichts dafür und bei wem beschweren sich die Kunden? Bei uns! Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. Diese Haltung ist so menschlich wie verheerend. Denn dann kommt es zu folgenden Konstellationen, die die Bahn in den Augen der Gäste der Lächerlichkeit preisgibt: der Effekt von „Kann ich nichts dafür, das müssen deshalb die Kunden ausbaden“. Werfen wir für Beispiele einen Blick ins Bordrestaurant, wo es dank der vielen Pannen viel Konfliktpotenzial gibt. Alle der folgenden Beispiele sind wirklich passiert. Entweder mit mir als Betroffenem oder als stillem Beobachter.

1. Kommunikations-Fehler: Wenn die Technik patzt, zahlt der Kunde drauf

Vielfahrer mit entsprechend vielen Bahn-Bonus-Punkten erhalten seit diesem Sommer QR-Code-Gutscheine für ein paar kostenlose Getränke an Bord. Kunden mit Platin-Status sogar einen Gastro-Dauerrabatt von 30 Prozent. Ein Kunde vor mir bestellt ein Weizenbier und einen Tee und möchte beides mit 30 Prozent Rabatt bezahlen, eine Ersparnis von über 2 Euro. Doch dem Mann an der Kasse gelingt es nicht, den Code mit seinem Tablett-Computer einzuscannen. Er sagt: „Die haben sich da was Neues ausgedacht, was nicht funktioniert. Ich kann Ihnen keinen Rabatt geben.“

Der Kunde: „Ja, soll ich jetzt draufzahlen, weil Sie es nicht hinbekommen?“ Antwort: „Ich bin für Ihre Gutscheine nicht zuständig. Ich kassiere ab, was auf der Kasse steht.“ Der Mitarbeiter distanziert sich in seiner Not vom eigenen Unternehmen und lässt den Kunden mit dem konzerngemachten Problem allein. Als Ausdruck seiner Verzweiflung.

2. Fehler: Durstig und hungrig im geschlossenen Bistro: Personalwechsel hat immer Priorität

Auf der Strecke München-Berlin schließt im ICE 504 wegen Personalwechsel das Bordrestaurant geschlagene zweimal. Mitten auf der Tour! Für jeweils über eine halbe Stunde. Fahrgäste, die in der 1. Klasse einen Kaffee bestellen wollen, bekommen über eine halbe Stunde vor Ausstieg des Restaurant-Teams die Antwort: „Den müssen Sie beim nächsten Team bestellen. Ich steige in Nürnberg aus.“

Nur kommt nach Nürnberg niemand durch die Reihen und sagt: „Ich habe gehört, bei Ihnen wollte jemand vor Bamberg schon Kaffee.“ Natürlich nicht! Das ist wirklich typisch Bahn. Weil der Serviceanspruch nicht eingehalten wird. Es könnte so einfach sein. Aber so fragt man sich: Was rechtfertigt da eigentlich den enormen Erste-Klasse-Aufpreis von 122 Euro (309,80 Euro statt 187,80 Euro in der 2. Klasse)? Nur die größere Beinfreiheit? Die ist im Flugzeug in der Premium-Economy und am Notausgang billiger zu haben.
Nach Teamwechsel 2 auf 3 ist das Restaurant besonders lange geschlossen, weil neue Ware „verräumt“ werden muss. Und so sitzt ein junger Fahrgast, der keine Maske hat und sich eine kaufen möchte, mit nacktem Gesicht gelangweilt und schüchtern vor der geschlossenen Theke. Als die endlich, endlich öffnet, mault die Kassiererin als erstes pampig: „Hey, würde der Herr mal bitte eine Maske tragen?“ („Der Herr“ als ironisierte Herabwürdigung des Twen).

Auf den Hinweis anderer Kunden: „Der wartet drauf, eine kaufen zu können“, kommt die Antwort: „Ja, das kann ich ja wohl nicht wissen. Wenn der da am Boden sitzt, sieht das ja nicht gerade so aus, als wolle der anstehen.“
Ich: „Vielleicht wollte er einfach nicht so lange stehen, bis Sie endlich öffnen. Das hat ziemlich lange gedauert.“ „Tja“, mault die Kassiererin, „wenn Ware kommt, dann dauert das eben.“

Kein Wort der Entschuldigung. Kein Wort der Bitte um Verständnis. Warum? Wegen der inneren Haltung: Alle sind schuld und ich arme Angestellte muss das Problem auslöffeln. Diese Haltung schadet dem Kunden-Dienstleister-Verhältnis aber und macht es dem Personal an Bord zusätzlich schwer, weil dann Gegenwind kommt.

Es fehlt der souveräne Umgang der Bahn mit der Unzulänglichkeit

3. Fehler: Kasse hat keinen Empfang. Vorwürfe bekommen die Kunden.

Vergangenen Sonntag im ICE-Bordbistro: Ein Gast bestellt zwei Portionen Pommes und eine Cola light. Die Frau kassiert und liefert die Pommes. Die Cola fehlt. Auf den Hinweis des Gastes folgt die Antwort: „Ja, das habe ich nicht gehört, weil wir ja auch nur Cola Zero haben.“ Schnell noch eine Kausalität in den Satz rein gebastelt, die belegt: Der Gast ist schuld. Rückfrage: „Sie können den Begriff Cola light nicht hören, weil Sie die Sorte nicht führen?“ Gelächter im Wagen – auf Kosten der Bahn. Die Frau stellt ihm verstimmt eine Coca-Cola Zero hin und kassiert nach. Weil die mobile Kasse aber offenbar keinen Empfang hat, stockt der Bezahlvorgang. Der Kunde öffnet die Cola. Darauf die Kassiererin: „Moment, die Zahlung ist nicht durch. Die Cola gehört Ihnen noch nicht!“

Gelächter. Unterschwelliger Vorwurf: Sie trinken hier, ohne bezahlt zu haben (was fünf Meter weiter an den Sitzplätzen des Restaurants Usus ist: erst konsumieren, dann bezahlen). Ich frage: „Würden Sie dem Mann die geöffnete Cola wieder wegnehmen und sie weggießen, nur weil Ihr Gerät keinen Empfang hat?“ Antwort: „Ja, das habe ich schon öfters gemacht.“

Die Bordtechnik spinnt und wer muss sich den peinlichen Unsinn anhören? Wir Kunden. Sicher: Nicht jeder ist in Jobs mit Kundenkontakt gut aufgehoben. Aber viele der rhetorischen Fehlschläge sind Ausdruck des Bedürfnisses, sich gegen das Verhalten und die Ansprüche der Fahrgäste zu wehren. Diese innere Grundhaltung einiger der Bahn-Angestellten ruiniert allerdings das Image der Service-Qualität an Bord insgesamt und schadet so auch dem Renommee der anderen, hoch engagierten Mitarbeitenden, die das Leben im Zug lieben und gerne für ihre Gäste da sind.

Die Stimmungskiller an Bord sind eins der größten Imagekiller der Deutschen Bahn. Weil man so einfach nicht mehr großzügig über all die Patzer und Pannen hinwegsehen möchte, wenn man zusätzlich noch mit Miesepetern zu tun hat. Wir sind so einen Ton einfach nicht mehr gewohnt. Der souveräne Umgang der Bahn selber mit all den Unzulänglichkeiten hätte einen gewissen Charme des Unperfekten. Aber so?

Die Deutsche Bahn wäre gut beraten, hier dringend gegenzusteuern und die tief Frustrierten aus ihrer dunklen Seelenfalle herausführen. Indem sie ihnen ermöglicht, eine neue innere Haltung einzunehmen. Eine Haltung frei von der ewigen Erwartung, dass ihnen die Fahrgäste gleich schon wieder auf den Senkel gehen werden.

Stoßrichtung: Wir sind nicht perfekt und wir Angestellten leiden selber drunter. Aber Ihr Kundinnen und Kunden zahlt sogar noch dafür. Lasst uns alle zusammenhalten und uns gegenseitig den Tag schön machen. Diese Haltung lässt sich professionell antrainieren und immer wieder auffrischen.

Vorgestern auf dem Weg von Berlin Richtung Rheinland: Ein Gast bestellt ein süßes Frühstück mit Croissant. Es ist kein Croissant da. Die Kellnerin ganz pragmatisch: „Ich bringe Ihnen erstmal, was da ist, in Hannover bekommen wir mehr Ware. Zur Not bekommen Sie dann mehr Brötchen.“

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In Hannover geht sie von Bord, es wird kein Croissant geliefert, obendrein sind jetzt auch noch die Brötchen aus. Der Kunde beschwert sich (er hat ja mehr bezahlt als bekommen), der neue Kellner weiß natürlich von nichts. Am Ende sagt er: „Ein rollendes Restaurant ist nicht perfekt. Darf ich Sie dafür zu einem Kaffee oder etwas anderem einladen?“ Der Kunde winkt lachend ab: „Nein, ich wollte ein Croissant. Aber ist jetzt egal.“ Dass ihm gegenüber anerkannt wurde, dass die Bahn einen Grund hat, einen Fehler wieder gutzumachen, hatte ihm vollends gereicht. Wie gesagt: Es kann so einfach sein. Und Freude machen.

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