Werner knallhart
Selbst einige Menschen aus der heutigen Senioren-Generation finden Gefallen daran, selber zu entscheiden, wann sie einen Film gucken wollen. Quelle: imago images

Wie lange gibt es noch das gute, alte Fernsehen?

Früher hieß es: Das Fernsehen ist das Ende des Kinos. Es kam anders. Wird es also Fernsehen mit festen Sendezeiten künftig trotz Streaming-Diensten wie Netflix geben? Hmm, gehen wir Zuschauer mal in uns…

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Meine Mutter guckt den Tatort jetzt in der Mediathek ihres neuen Smart TV. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass sich meine Eltern in den Achtzigerjahren gegen einen Videorekorder gesträubt haben, in den Neunzigern gegen Kabelfernsehen und CD-Spieler, Anfang des Jahrtausends gegen einen Festplatten-Rekorder und Ende des letzten Jahrzehnts gegen ein Handy mit Internet-Empfang.

Was ich damit sagen will: Selbst einige Menschen aus der heutigen Senioren-Generation finden Gefallen daran, selber zu entscheiden, wann sie einen Film gucken wollen. Weil es so intuitiv möglich ist. Wer in den Achtzigerjahren in der Lage war, einen Grundig-VHS-Player mit VPS zu programmieren, kann mit der Online-Mediathek im Smart TV umgehen.

Wenn über alle Generationen hinweg der Vorteil von Fernsehen auf Nachfrage und nicht nach vorgegebenen Sendezeiten sehr geschätzt wird – was heißt das für das Erste, ZDF, RTL, Pro Sieben und die anderen?

Die Mediatheken kommen zwar von den Sendern. Aber Netflix, Amazon Video und iTunes stammen aus Amerika. Und sie haben nicht nur ein großes Angebot, sondern auch ein vielfältiges und ein hochwertiges. Müssen die linearen Sender zittern?

Erkunden wir mal unsere eigene Zuschauerseele: Was ist der Vorteil von Kino im Vergleich zum Fernsehen? Von großer Leinwand und grandiosem Ton abgesehen, hat Kino eine Stärke: Man kommt unter Leute. Mit Popcorn und Cola bis unter die Achseln beladen werden Filme als gesellschaftliches Event zelebriert. Nicht umsonst fragt man: Warst du schon im neuen Marvel-Film? Im Film zu sein, dieses Gefühl gibt es nur im Kino.

Was ist aber nun am Fernsehen so besonders, dass es neben den komfortablen Streaming-Diensten überleben kann?

von Melanie Bergermann, Georg Buschmann, Milena Merten

Nennen Sie mir einen Grund, warum es besser ist, immer mittwochs um 22.15 Uhr eine neue Folge seiner Lieblingsserie vorgesetzt zu bekommen, wenn Sie sie ansonsten zu jeder beliebigen Zeit in diversen Sprachen mit diversen Untertiteln starten und unterbrechen können? Mir fällt keiner ein.

Nur einen Nachteil hat die Streaming-Konkurrenz: Die Dienste kosten zusätzliches Geld. Rund zehn Euro. So viel wie einmal Kino. Immerhin gibt es dafür Zigtausende von Serienepisoden und Filmen rund um die Uhr.

Die deutschen Produzenten für Film und Fernsehen packt denn auch mitunter die Panik. Als der Vorsitzende der Produzentenallianz Alexander Thies im Frühjahr die baldige Verdrängung der Privatsender durch Streaming-Dienste prophezeite, ging ein Aufschrei durch die Branche. Die eigenen Leute wetterten: Der Vorsitzende sollte eigentlich wissen, dass Serien für Streaming-Plattformen und Serien für private Free-TV-Sender zwei verschiedene Welten sind – viel zu unterschiedlich, um einander verdrängen zu können.

Na klar! Das klingt so, als wolle man seine eigenen Kunden, nämlich die Sender, nicht verschrecken. Ich als Fernsehzuschauer befürchte, Herr Thies hat recht. Was, wenn die Zuschauer sich einen feuchten Kehricht um die brancheninternen Genre-Definitionen scheren und einfach lieber bequem im Internet gucken – auf dem eigenen Fernseher?

Das positive Alleinstellungsmerkmal des linearen Fernsehens

Einige Sender bäumen sich schon auf - im Rahmen ihrer linearen Möglichkeiten. Super RTL mit Europas erfolgreichstem privaten Kinderfernsehen, der Marke Toggo, etwa geht voran und hat einen zweiten Sender: Der heißt Toggo Plus.
Das Konzept: das identische Programm wie bei Super RTL, nur alles eine Stunde später nochmal. So kommen die Werbekunden pro gebuchtem Spot auf einen besseren Preis pro erreichtem Zuschauer. Und die Kinder haben nun eine weitere Chance pro Tag, ihre Sendung von Anfang an zu sehen, wenn sie zur ersten Ausstrahlung noch an den Hausaufgaben sitzen.
Aber beim Streaming sind es unendlich viele Chancen. Am meisten wird die Kinder noch vom Streaming abhalten, dass die Eltern sie nicht lassen oder sie die Geräte dafür nicht in die Hände bekommen. Alles eine Frage der Zeit.
Was bleibt also das positive Alleinstellungsmerkmal des linearen Fernsehens? Ich finde, es gibt sogar zwei:
1. Nichts ist aktueller als Live-Infos. Live schlägt Video on Demand. Das sage ich jetzt nicht nur als Moderator eines Live-Magazins im WDR Fernsehen, sondern auch als Zuschauer.
Live-Nachrichten wie Heute, das Heute-Journal und die Tagesthemen, Live-Talkshows wie „Maybritt Illner“ und „Hart aber fair“ oder Live-Magazine wie das Morgenmagazin von ARD und ZDF. Infos und Meinung superfrisch – von jetzt.
Wenn der Moderator live auf seinen Laptop guckt und sagt: „Gerade erreichen uns hier Informationen über eine neue Entwicklung…“, dann spüre ich regelrecht, wie ich dabei bin, wenn die Welt sich bewegt. Das ist Fernsehen!

2. Viele Menschen über 40 betrauern Erlöschen der großen nationalen Lagerfeuer, das Ende von Sendungen wie „Wetten, dass…?“ oder ein bisschen auch „Schlag den Raab“. Doch manchmal gibt es sie noch, die große Live-Unterhaltung: Shows wie „Eurovision Song Contest“, „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ oder große Sportereignisse. Sendungen, über die alle in der Kantine sprechen. Die die Schlagzeilen bestimmen. Wie die Wette mit dem Lastwagen auf den Biergläsern damals.
Aktuelle Information und TV-Events. Das lässt sich nicht so leicht kaputt streamen.
Und deshalb sind die Öffentlich-Rechtlichen klar im Vorteil. Durch ihre Info-Kompetenz, höhere Info-Budgets, ihr hochwertiges Korrespondenten-Netz, ihr journalistisches Renommee – und durch ihren schon heute hohen Programmanteil von Informations-Sendungen – vor allem auch live. Aber auch durch ihre Übertragungsrechte bei großen Sportevents punkten ARD und ZDF.
Die Unterhaltungskompetenz im Bereich Serie und Film indes wandert mit Sicherheit mehr und mehr ins Internet ab. Wie Thies sagt. Und zwar mit Wucht zu den Streaming-Anbietern. Und manchmal reichen kleine emotionale Auslöser wie der Netflix-Knopf auf der Fernsehfernbedienung aus, um den Leuten die Hemmung zu nehmen umzusteigen. Eben: „Ach, das ist ja einfach“.
Ich würde mich als Zuschauer aber auch für die deutschen Produzenten und Unterhaltungssender freuen, wenn alle rechtzeitig erkennen: Zuschauern eine feste Uhrzeit vorzugeben, kann bei vorproduzierter Unterhaltung auf Dauer nicht funktionieren. Weil wir Menschen uns nur dann etwas vorschreiben lassen, wenn wir unterm Strich davon profitieren.
Ansonsten lockt der schnelle Druck auf diese ganzen neuen tollen Tasten auf der Fernbedienung. Meine Mutter geht da voran!

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