Selber schuld. Der Lok-Führerkult, den die GDL um ihren Chef Claus Weselsky und seine Mitglieder dieser Tage betreibt, mag den Bahnern schmeicheln. Auf Außenstehende wirkt er einfach nur unfassbar anmaßend. Und so treten in der Öffentlichkeit die Ziele der GDL in den Hintergrund. Dank der Lokführer diskutieren die Deutschen stattdessen nun alles von "Ist da jemandem mental ein Radreifen gebrochen?" bis "Sollte man in systemrelevanten Firmen das Streikrecht beschneiden?"
Natürlich macht das Streikrecht Sinn. Durch nettes Lächeln allein gehen die Löhne nicht nach oben. Und es ist bestimmt ein herrlich kribbeliges Gefühl in der Seele der Lokführer, zu beobachten, was für eine Macht sie gemeinsam haben.
In der Lok merkt selbst der Bordcomputer häufig nur, dass ein Lokführer bei der Arbeit ist, wenn dieser in regelmäßigen Abständen auf den Totmann-Knopf drückt, um zu zeigen, dass er nicht eingeschlafen ist.
"Streikbrecher wird zum Kompliment"
Und welcher Fahrgast läuft schon vor an die Zugspitze, um nach der Fahrt Danke zu sagen? Jetzt heißt es: Ohne die Lokführer steht Deutschland still. Geil! Alleine für dieses Ego-Doping hat sich das Streikrecht schon gelohnt.
Aber man kann das, was erlaubt ist, auch missbrauchen. Und insgeheim sagen sich doch Tausende: "Streikrecht super. Aber diesem Dingsbums, diesem Witschnufski oder wie der heißt, dem sollte doch endlich einer das Handwerk legen."
Streikbrecher, früher noch ein Schimpfwort für unsolidarische Opportunisten, ist bei der Bahn mittlerweile ein Kompliment für einen Menschen mit Herz und Verstand.
Na, die Bundesregierung wird da hoffentlich Fakten schaffen. Auf dass die Arroganz der GDL so richtig schön nach hinten losgehe.
Aber bis es soweit ist, bleibt uns Kunden nur, unseren Frust zurückzuleiten. Dorthin, wo er hergekommen ist. In den Zug. Frust über eine vermurkste Woche. Allein in meinem Kollegen- und Freundeskreis entfallen am Wochenende bei rund einem Dutzend Leuten ein Kurzurlaub in Weimar, Reisen nach Berlin zu den Mauerfall-Feiern und ein lange geplantes Treffen unter Freunden in Süddeutschland. Die Leute sind allesamt am Brodeln.
Was die GDL erreichen will
Wie immer geht es zwischen Arbeitgeber und den Gewerkschaften um Einkommen, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen. Das Besondere an diesem Tarifkonflikt ist jedoch, dass zusätzlich die GDL (34 000 Mitglieder) mit der viel größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG (210 000 Mitglieder) um die Vertretungsmacht bei einem Teil der Belegschaft konkurriert. Die Bahn wiederum will Tarifkonkurrenz vermeiden. Für eine Berufsgruppe soll ihrer Meinung nach nur ein Tarifvertrag gelten.
Die GDL will die Verhandlungsmacht auch für rund 8800 Zubegleiter, 2500 Gastronomen in den Speisewagen, 3100 Lokrangierführer sowie 2700 Instruktoren, Trainer und Zugdisponenten. Das macht zusammen 17 100 Mitarbeiter. Mit den rund 20 000 Lokführern bildet die GDL daraus die Gruppe „Zugpersonal“ mit 37 000 Mitarbeitern. In dieser Gruppe habe sie die Mehrheit der Mitglieder. Die EVG hält von der GDL vorgenommene Zusammenführung für willkürlich und bezweifelt deren Zahlenangaben.
Das ist der heikle Punkt, weil die Gewerkschaften aus dem Organisationsgrad ihr Verhandlungsmandat für die jeweiligen Berufsgruppen ableiten. Wer stärker ist, soll in Tarifverhandlungen das Sagen haben. Die Frage ist jedoch, welche Organisationseinheit man dabei betrachtet: Einen Betrieb, ein Unternehmen im Konzern, eine Berufsgruppe? Je nach dem kann die Mehrheit mal bei der einen, mal bei der anderen Gewerkschaft liegen.
Bei den Lokführern ist die Sache klar: 20.000 sind bei der Bahn beschäftigt. Die GDL reklamiert 78 Prozent von ihnen als ihre Mitglieder, das wären etwa 15.500. Die EVG gibt ihre Mitgliederzahl unter den Lokführern mit 5000 an, davon seien 2000 Beamte. Das geht nicht ganz auf, selbst wenn alle Lokführer gewerkschaftlich organisiert wären. Aber: Das Kräfteverhältnis ist eindeutig, drei zu eins für die GDL. Schwieriger und umstritten ist es bei den übrigen rund 17.000 Mitarbeitern, die nach GDL-Definition zum Zugpersonal zählen. Die EVG sagt, 65 Prozent der Zugbegleiter und 75 Prozent der Lokrangierführer seien bei ihr organisiert. Das wären zusammen allein bei diesen beiden Berufsgruppen 9860 Beschäftigte. Die GDL macht eine andere Rechnung auf: 37.000 Beschäftigte (inklusive Lokführer) gehörten zum Zugpersonal. Davon seien 19.000 GDL-Mitglieder, das sei eine Mehrheit von 51 Prozent.
Für die GDL ist das sehr bedeutsam. Denn ein solches Gesetz könnte ihre Handlungsmöglichkeit einschränken. Möglicherweise verlöre sie in bestimmten Ausgangslagen das Streikrecht. Damit wäre die GDL wie andere Berufsgewerkschaften in ihrer Existenz bedroht. Die GDL hat bereits angekündigt, dass sie ein solches Gesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen würde.
Streiks in rascher Folge, Lähmung des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft sollen erschwert werden. Die Diskussion hatte durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes schon vor vier Jahren an Fahrt gewonnen. Die Richter stärkten die Tarifvertrags-Vielfalt und die Konkurrenz unter großen und kleinen Gewerkschaften. Der Grundsatz „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ wurde damals hinfällig.
Das schreit nach Rache am streikenden Zugpersonal. Aber nach welchem System? Ich wüsste da was: Missbrauchen Sie doch auch mal das Erlaubte. Nach dem Streik kann es direkt losgehen.
Rache an der Bahn
1. Beginnen wir mit den Lokführern. Der schwierigste Brocken. Die sitzen da vorne in ihrem Kabuff an ihrem Knopf - ganz ohne Kundenkontakt. Ein Kollege machte den Vorschlag: "Auf offener ICE-Strecke vorm anrasenden Zug einen Sprung auf die Gleise antäuschen."
Ich dachte kurz nach: "Och nö, bei dem Herbstwetter sind die Bahndämme so matschig. Das ruiniert die Schuhe. Und ein gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr steht im Strafgesetzbuch. Das ruiniert die Karriere."
Das sind die Bahngewerkschaften GDL und EVG
Die 1867 als Verein Deutscher Lokomotivführer gegründete GDL hat rund 34.000 Mitglieder. In ihr sind nach Gewerkschaftsangaben rund 80 Prozent der Lokführer bei der Deutschen Bahn und zahlreiche Zugbegleiter organisiert. Die GDL gehört dem Deutschen Beamtenbund an.
Die EVG entstand 2010 aus der Fusion von Transnet und GDBA und hat rund 210.000 Mitglieder. Die Vorgängerin Transnet wurde 1896 gegründet und gehörte zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Die 1948 gegründete Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamter und Anwärter (GDBA) hatte Mitglieder aus allen Sparten von Bahn bis Bus. Sie gehörte dem Deutschen Beamtenbund an, kooperierte zuletzt aber in einer Tarifgemeinschaft mit Transnet.
Nein, die Lokführer missbrauchen ihr gutes Streikrecht, missbrauchen wir doch einfach unser gutes Recht als Kunden. Wir bezahlen unser Ticket für einen Zug, der nach Fahrplan fährt. Kommt er zu spät in den Bahnhof eingefahren, reagieren Sie mit dem von mir so genannten Chronografen-Affront. Stellen Sie sich an den Bahnsteig, halten Sie Ihren Arm in die Luft und tippen Sie vor den Augen des Lokführers mit den Fingern auf Ihre Armband-Uhr. Eine kleine unhöfliche Geste mit großer Wirkung beim Lokführer: Da kommuniziert ein Fahrgast tatsächlich einmal mit ihm und dann gleich solch eine Provokation. Da geht der Puls hoch.
Das Gute: Wie beim Streik den Kunden, trifft es auch hier den Falschen. Denn meistens kann der Lokführer gar nichts für die Verspätung. Der fleißige Druck auf den Totmann-Knopf macht den Zug ja auch nicht pünktlicher.
Ich habe die Geste vor Jahren mal zusammen mit Freunden bei einer Straßenbahn ausprobiert, die ohne Info zwanzig Minuten zu spät kam. Vier Leute in einer Reihe am Gleis mit erhobener Uhr. Die Antwort kam nach dem Einsteigen per wutschnaubender Durchsage durch den ganzen Zug: "An die Herren, die gerade so doof an ihre Uhr geklopft haben: Was kann ich denn dafür, wenn auf der Strecke eine Baustelle ist?" Nichts. Aber so wussten wir wenigstens den Grund. Und als kleiner virtueller Tritt in den Hintern taugt die Armbanduhrgeste allemal.