Werner knallhart

Wieso rufen wir den Kellner mit "Entschuldigung"?

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Kurioserweise trifft es nicht alle Berufe:

"Frau Bundeskanzlerin" - das geht als Alternative zu "Frau Merkel".

"Herr Pfarrer" kann man gut sagen.

"Frau Doktor" auch. Die Ärzte sind für die meisten ja sogar der Herr Doktor oder die Frau Doktor, selbst wenn sie niemals eine Doktorarbeit geschrieben haben. Vor einiger Zeit war ich in einer Praxis, da sprach sogar die Assistentin von "Frau Doktor" über ihre unpromovierte Chefin, die Frau Ärztin.


"Herr Pilot" dagegen? Nein! Aber egal, mit den im Cockpit verriegelten und verrammelten Piloten spricht man als Passagier ja nicht. Komplizierter ist es mit dem Kabinenpersonal. Früher wäre ja noch ein höfliches "Stewardess!" möglich gewesen. Aber wem geht schon ein "Frau Flugbegleiterin" über die Lippen? Wenn alle Stricke reißen, gibt es ja noch den Service-Knopf in der Armlehne. Bingggg!

Im ICE gibt es das nicht. Was ruft man da? "Frau Schaffnerin"? Man hat auch immer Angst, dass man die Leute mit der falschen Berufsbezeichnung kränkt. Die ändert sich ja dauernd. "Das heißt nicht mehr Schaffner. Ich bin Zugführerin!"

"Herr Polizist!" Nein. Amerikaner rufen in den Filmen immer so schön "Officer!" Uns bleibt nur "Entschuldigung." Und im Notfall: "Hilfe! Polizei!"


Da würde sich Knigge im Grabe umdrehen
SchulmeisterereiOberlehrerhaftes Verhalten scheint typisch deutsch zu sein. Wachsender Trend: Deutsche schulmeistern gerne ihre Mitmenschen. „Sie sind ein schlechtes Vorbild für mein Kind, wenn Sie bei Rot über die Ampel gehen“ „Hier ist Ballspielen verboten“ „Hier raucht man nicht“: Schulmeistern hat nichts mit gutem Verhalten zu tun. Die Deutsche Kniggegesellschaft urteilt sogar: „Wir entwickeln uns zu einem Volk von Zurechtweisern. Das muss besser werden.“ Quelle: V.V.V.-Verlag
Sitz mit Aktentasche blockierenNerv-Trend Nummer zwei speziell bei Geschäftsreisenden: ein einziges Ticket kaufen und den Nebenplatz dennoch mit der Aktentasche blockieren. Andere Fahrgäste müssen stehen, das Gepäck hat´s bequem. Sehr effektiv, um von Hamburg bis Frankfurt ungestört zu sein, sozial aber nicht kompatibel, findet die deutsche Kniggegesellschaft. Quelle: dpa
Zu viele Löcher, labberige Hemden, kurze Ärmel mit KrawatteDer Businessmann macht laut der Kniggegesellschaft noch viel falsch. Darum: Perfekte Gürtel haben nur fünf Löcher, das Hemd muss zwei Zentimeter aus dem Ärmel schauen und kurze Arme mit Krawatte sind ein No Go. Damit sich diese Fashion-Fauxpas nicht wiederholen, raten die Benimm-Experten, auch als Mann mal hin und wieder einen Blick in eine Modezeitschrift zu werfen. Quelle: dpa
Lautstark in der Öffentlichkeit telefonierenEbenfalls auf der Kniggeliste steht der Handybrüller, vorzugsweise in Bus und Bahn. Den ganzen Waggon zu beschallen, ist schon ein Klassiker und bleibt dadurch weit oben auf der Liste der Benimm-Fehler der Deutschen. Dass leise und weniger und höflicher ist, ist immer noch nicht bei allen angekommen: Rechtsanwälte etwa posaunen immer noch die Namen und Aktenzeichen ihrer Mandaten durch den Zug (Gab´s da nicht eine Schweigepflicht?), andere lassen Mitreisende lautstark Anteil an Familien- und Beziehungsproblemen nehmen. Übrigens: Man kann auch leise in seinen Laptop hacken. Das muss nicht wie die alte Schreibmaschine MG klingen. Quelle: dpa
Vor dem Abbiegen nicht blinkenBlinken ist uncool, ist schon klar. Das machen nur Spießer. Der Selfmade-Man biegt ohne ab. Davon gibt es immer mehr, geißelt die Kniggegesellschaft. Da weiß man dann gar nicht, was der andere will und schon kracht es. Das ist extrem unsolidarisch. Also: Blink mal wieder! Quelle: dapd
Besteck falsch haltenJeder Zweite kann's nicht richtig, dabei ist es nicht schwer, Messer und Gabel richtig zu halten. Ein Messer ist kein Bleistift, also kein Grund, es wie einen Griffel zu halten. 50 Prozent der von der Knigge-Gesellschaft getesteten Besucher von Biergärten machten Besteckfehler beim Essen. Ein Vorsatz: Dringend Tischsitten updaten. In der Muße liegt der Genuss, dann klappt´s auch mit dem Knigge. Quelle: dpa
Daneben-Benehmen auf BetriebsfeiernAlle Jahre wieder immer dieselben Fehler. Vorsicht mit dem Alkohol, nicht Sexy-Hexy spielen und kein Geknutsche mit dem Chef. Das Betriebsfest ist nach wie vor vermintes Gelände. Hier enden immer wieder Karrieren. Überlebenstipp: Klappe halten, nichts ausplaudern und nicht am nächsten Tag krankfeiern. Quelle: dpa


Ach, es ist alles unschön bei uns. Die Franzosen haben ihr Monsieur und Madame, die Spanier ihr Señor und Señora. Deswegen gibt es als Lösung für all unsere Unhöflichkeiten beim Hinterherrufen nur eine Lösung: "Mein Herr! und "Meine Dame!" So wie Grobi als Kellner seine Gäste anspricht.

Altmodisch? Noch. Denn es ist auch stilvoll. Da lässt jemand in der U-Bahn seine Mütze liegen und Sie rufen nicht mehr "Hallo, Entschuldigung!", sondern: "Mein Herr, Ihre Mütze!" Irgendwie hat das was.

Wenn ich mir anmaßen darf, etwas vorzuschlagen, meine Damen und Herren: Schluss mit den Platzhalter-Entschuldigungen. So könnte es gehen:

Keinem Menschen ruft man so viel hinterher wie denen in der Gastronomie. Hier plädiere ich für eine spezielle Lösung: Geben wir "Herr Ober/Frau Oberin" und "Herr Kellner/Frau Kellnerin" eine Chance. Damit diejenigen, die uns dabei helfen, eine gemütliche Mahlzeit einzunehmen, endlich wieder sprachlich zur Persönlichkeit werden.

Alle anderen Dienstleister bekommen "mein Herr" und "meine Dame" - fremde Privatleute sowieso. Und wenn es passt, kann man sich ja von Fall zu Fall aus der Deckung trauen. "Frau Postbotin, hier bin ich! Ich war gerade unter der Dusche."

Hallo nur noch zur Begrüßung. Und Entschuldigungen nur noch, wenn man jemanden wirklich belästigt. Und das Kellner-Ruf-Problem wäre endlich gelöst.

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