
Das Chaos in der Mülltonne beginnt mit einem kaputten Kleiderbügel. Er ist aus Plastik, so viel steht für den Laien fest. Doch nach den strengen deutschen Trennungsvorschriften gehört dieser Bügel entweder in die gelbe Tonne – oder in den Restmüll.
Welche Tonne die korrekte ist hängt ganz davon ab, wie der Plastik-Bügel in den Kleiderschrank gelangte. Wurde der Kleiderbügel in einem Laden gekauft? Dann gehört er in die graue Tonne. Nur wenn ein Verkäufer den Bügel zusammen mit einem Hemd oder einer Bluse überreicht hat, gehört er in die gelbe Tonne. Denn dann gilt er als Verpackung – und der Mode-Hersteller hat im Idealfall eine Gebühr für die Entsorgung dieser Verpackung bezahlt.
Trotz solcher skurrilen Regeln: Die Deutschen gelten als Recycling-Weltmeister, als internationales Vorbild. Das deutsche System der Produktverantwortung – der Hersteller, der eine Verpackung in den Verkehr bringt, muss auch dafür bezahlen – wird im Ausland viel gelobt und oft nachgeahmt. Doch in dem System hinter der gelben Tonne hat sich über die Jahre viel Dreck angesammelt:
- Verbraucher sind verwirrt, und das nicht nur von der Kleiderbügel-Regelung, die viele ohnehin nicht beachten. Je nach Bundesland, je nach Stadt gibt es ein anderes System: Die einen haben gelbe Säcke, die anderen gelbe Tonnen. Und je nach Standort reihen sich an die gelben auch noch blaue, grüne, braune, schwarze oder grüne Tonnen.
- Die Recycling-Quoten stagnieren trotz dieses Aufwands. Von den etwa 2,4 Millionen Tonnen Kunststoff-Müll, die in den Haushalten in der gelben Tonne und dem Restmüll gesammelt werden, recycelt die Industrie nicht mal 900.000 Tonnen. Die Recyclingquote liegt damit nach Angaben des Umwelt-Bundesamtes bei gerade mal 34 Prozent. Der Rest des Mülls wandert in Verbrennungsanlagen zur Energiegewinnung.
- Auch das wirtschaftliche Konstrukt um die gelbe Tonne hat seine Schwachstellen: Idealerweise müssten die Unternehmen, die den Verbrauchern ihre Produkte mit Verpackungen verkaufen, eine Gebühr für die spätere Entsorgung an die sogenannten Dualen Systeme zahlen. Die sollten die Unternehmer dabei beraten, wie sie Müll vermeiden und Kosten sparen. Mit dem eingenommenen Geld aus der Lizensierung wiederum bezahlen die Dualen Systeme die Entsorger und Müllabfuhren für das Einsammeln des Abfalls. Doch stattdessen suchten Unternehmen nach Schlupflöchern, um ihre Kosten der Müll-Lizensierung zu senken. Die Tricks der Schummler hätten das Konstrukt im vergangenen Jahr beinahe zusammenstürzen lassen, weil sie ein Loch von knapp 100 Millionen Euro in das Finanzierungssystem rissen.
So funktioniert das Duale System
Seit 1991 gibt es in Deutschland das sogenannte Duale System: Angefangen hat alles mit dem Grünen Punkt. Dieses Erkennungszeichen druckte die Industrie auf ihre Verpackungen, für deren Entsorgung sie eine Gebühr an das Duale System Deutschland (DSD) zahlte. Diese Verpackungen sollen Verbraucher getrennt vom Hausmüll in gelben Säcken oder gelben Tonnen sammeln. Mittlerweile ist der Markt liberalisiert. Neben dem ehemaligen Monopolisten DSD machen auch Unternehmen wie Landbell, Bellandvision oder Reclay ein Geschäft mit der Lizensierung des Verpackungsmülls. Doch wie funktioniert das Geschäft genau?
Das besondere am Dualen System ist die sogenannte Produktverantwortung der Hersteller: Wer Plastikverpackungen produziert oder verkauft, muss in Deutschland für deren Entsorgung zahlen. Die Inverkehrverbringer der Verpackungen müssen ihre Müll-Mengen dabei bei den Dualen Systemen (also Unternehmen wie DSD, BellandVision, Landbell oder Reclay) lizensieren lassen. Die Dualen Systeme wiederrum bezahlen die Müllabfuhr, die den später in den Haushalten entsorgten Müll abholt. Die gesammelten Verpackungen werden dann an die Recyclingunternehmen und Verbrennungsanlagen weitergekauft. Oft stehen hinter den Dualen Systemen und den Recyclinganlagen dabei die selben Mutterfirmen.
Der Verbraucher zahlt damit für das Abholen und die Weiterverwertung seines Mülls keine Gebühren. Allerdings rechnen die Hersteller ihre Kosten für die Entsorgung in ihren Preisen ein. Etwa 11 Euro zahlen Verbraucher dadurch jedes Jahr indirekt für das Duale System, erklärt der Bundesverband der Entsorgungswirtschaft (BDE).
Produzenten und Hersteller verkaufen ihre Joghurte, Waschmittel, Bettwäsche oder auch Gummi-Enten an die Verbraucher. Die entsorgen die entsprechenden Joghurtbecher, Flaschen und Folien in ihren gelben Säcken oder Tonnen oder auch im Restmüll. Die Müllabfuhr - dahinter stehen oft städtische Unternehmen, aber auch einige große private Entsorgungsfirmen wie zum Beispiel die Kölner Firma Alba - holen diesen Müll ab und bringen ihn zu Sortieranlagen. Dort werden gut recycelbare Materialien von Plastikmüll mit schlechter Qualität oder Papierresten und anderen Fehlwürfen getrennt. Die Wertstoffe mit guter Qualität können in Recycling-Anlagen zu neuen Plastik-Produkten verarbeitet werden. Der restliche Müll wird zur Energieerzeugung verbrannt. Auf Deponien darf heute in Deutschland kein Müll mehr gelagert werden. Doch wer zahlt für die einzelnen Schritte?
Die Kreisläufe haben einige Schwachstellen. Das zeigte sich zum Beispiel im vergangenen Jahr, als den Dualen Systemen auf einmal mehrere Millionen Euro zur Finanzierung des Systems fehlte. Das Problem: Viele Unternehmen versuchen ihre Lizensierungskosten so klein wie möglich zu halten. Außerdem landen auch viele Plastikprodukte wie alte Gummi-Entchen oder Barbie-Puppen in der gelben Tonne, für die nie jemand Gebühren bezahlt hat. Das kann zur Belastung für die Dualen Systeme werden.
Ein zweites Problem liegt in der Berechnungsweise des Geldstroms von den Dualen Systemen zu den Entsorgern: Die Dualen Systeme melden regelmäßig ihre Marktanteile an eine gemeinsame Clearingstelle. Die rechnet dann aus, wie viel Geld die Entsorger und Müllabfuhren von den Dualen Systemen bekommen - und welchen Anteil die einzelnen Dualen Systeme davon zahlen müssen. Dadurch entsteht für die Dualen Systeme ein Anreiz, ihre Marktanteile möglichst klein zu halten.
In einem neuen Gesetz will das Umweltministerium diesen Problemen nun entgegen wirken: Die Händler und Hersteller sollen in Zukunft auch für alle Kunststoff-Produkte, die keine Verpackungen sind, Gebühren zahlen. Und eine Zentrale Stelle soll die lizensierungspflichtigen Unternehmen, aber auch die Dualen Systeme besser kontrollieren.
Die Politik hat sich deshalb schon lange vorgenommen, das System um die gelbe Tonne zu reformieren. Seit mittlerweile drei Legislaturperioden diskutiert sie über ein Wertstoffgesetz, mit dem der Verbraucher und vor allem auch die Recycling-Erfolge endlich wieder in den Mittelpunkt gerückt werden sollen. Auf ein Eckpunkte-Papier haben sich die Regierungsparteien CDU und SPD bereits geeinigt. In den kommenden Wochen könnte es deshalb endlich so weit sein, dass Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ein Entwurf für das Wertstoffgesetz präsentiert.
Wie sollen die Probleme gelöst werden?
Noch ist unklar, ob das Gesetz die Probleme wirklich lösen kann – oder ob der Recycling-Meister Deutschland das Vorschriften-Chaos um die Mülltonnen damit nur ausweitet. Bei den Kommunen und der privaten Abfallwirtschaft herrscht deshalb schon jetzt Unruhe: Beide Parteien fürchten um ihre Privilegien.
Wichtigster Punkt des Eckpunktepapiers ist die Wertstofftonne. Sie soll zukünftig den gelben Sack oder die gelbe Tonne ersetzen, in denen bisher nur Verpackungen gesammelt werden durften. „Für den Verbraucher ändert sich durch das Gesetz kaum etwas", sagt Peter Kurth, Präsident des Verbandes der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) mit Sitz in Berlin. Größter Vorteil: Das Mülltrennen wird endlich unkomplizierter, denn in der neuen Wertstofftonne darf endlich aller Plastikmüll gesammelt werden.