So jung, und schon ein Opfer von Betrügern! Paul Schwarzenholz und Björn Kolbmüller sind mit ihrem Online-Shop Flaconi gerade frisch ans Netz gegangen. Bestellung Nummer drei kommt direkt aus der Nachbarschaft, nicht weit von der Torstraße in Berlin, wo ihre Firma sitzt. Aus Euphorie über den gelungenen Start beschließen die Gründer, die Ware ihrem Kunden persönlich zu überbringen. Doch die Freude währt nicht lange. Die Bestellerin sei nicht zu Hause, murrt ein junger Mann die Boten an, nimmt das Paket mit dem Damenparfüm von Chloé aber in Empfang. Auf die 80 Euro warten die Flaconi-Inhaber Schwarzenholz und Kolbmüller bis heute.
Was nach Pech aussah, erwies sich für die Jungunternehmer als Gefahr, die sie fast die Existenz kostete. "Im ersten Monat hatten wir eine Betrugsquote bei den Bestellungen von 30 Prozent", sagt Flaconi-Geschäftsführer Schwarzenholz. "Wäre es so weitergegangen, hätten wir den Shop gleich wieder dichtmachen können."
Unternehmen werden immer öfter Opfer von Betrügern
Das Startup-Duo von der Spree zählt zum wachsenden Kreis, der um sein wohlverdientes Geld fürchten muss. Ob Gründer oder Traditionsunternehmen, Handwerker oder Konzerne, Deutschlands Unternehmen werden immer häufiger Opfer halb- oder vollprofessioneller Betrüger, die, wo immer möglich, die Zeche prellen. Versandhändler wie Amazon, Otto oder Zalando, aber auch Telekommunikationskonzerne oder die Deutsche Bahn müssen immer dickere Brandmauern hochziehen, um der Plage Herr zu werden.
So beklagten kürzlich Tankstellenpächter in der Spritklau-Hochburg Nordrhein-Westfalen, in der ersten Hälfte dieses Jahres seien 7,5 Prozent mehr Kunden als im Vorjahreszeitraum davongebraust, ohne zu zahlen. Laut reden will über das Problem kaum ein Unternehmer. "Das Thema ist heiß, doch mit Blick auf die Wettbewerber diskutieren wir darüber nicht öffentlich", sagt der Manager eines großen deutschen Versandhändlers.
Zwei Prozent der Rechnungen bleiben offen
Einkaufen oder bestellen, ohne zu zahlen, scheint der neue Lieblingssport der Deutschen gleich nach Fußball und Steuerhinterziehung zu sein. Die Außenstände, die Unternehmen an professionelle Geldeintreiber abgetreten haben, summieren sich inzwischen auf 50 Milliarden Euro. Die Zahl hat der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen, in dem sich die hiesigen Geldeintreiber organisieren, unlängst zum ersten Mal ermittelt. "Wir waren selbst erstaunt über die Dimension", sagt Verbandspräsident Wolfgang Spitz.
Zwar leiden deutsche Unternehmen weit weniger unter Zahlungsausfällen als ihre europäischen Konkurrenten. Doch auch hierzulande wächst das Problem. So bleiben in diesem Jahr voraussichtlich mehr als zwei Prozent der Rechnungen für immer offen, nach 1,8 Prozent 2011. Das ergab eine Umfrage bei 400 Finanzmanagern kleiner und mittlerer deutscher Unternehmen durch die Inkassofirma EOS. Der Geldeintreiber gehört zum Hamburger Handelsriesen Otto-Group mit seinen zig Versandhandelsmarken wie Quelle, Baur, Manufactum und natürlich Otto sowie der Logistiktochter Hermes, die die Waren zu den Kunden schafft.
Unternehmen rüsten auf
Kaufhäuser und Supermärkte versuchen, mit Alarmanlagen am Ausgang und Safes für teure Waren Ladendiebe in den Griff zu bekommen. Trotzdem greifen Langfinger jeden Verkaufstag immer noch Waren im Wert von sechs Millionen Euro ab und verursachen einen jährlichen Schaden von rund 1,9 Milliarden Euro. Bei Online-Shops können Kunden zwar nichts in den Taschen verschwinden lassen, nutzen aber andere Methoden.
Weil die Zechprellerei im Internet zulegt, rüsten die Unternehmen auf. Mit welchen Mitteln sie die Plage bekämpfen, gilt in den meisten Fällen als Betriebsgeheimnis. Nur wenige reden offen darüber, wie sie säumige Kunden jagen oder notorische Nichtzahler abwehren. Zu ihnen zählt die Otto-Gruppe, die der WirtschaftsWoche Einblick in ihr konzerneigenes Betrugsdezernat gewährt hat.
Kunden zahlen selten vor Erhalt der Ware
Die Taskforce von rund 20 Leuten sitzt in kommunikativen Vierer-Büros auf dem repräsentativen Otto-Campus in der Hansestadt Hamburg. Die Truppe aus smarten Angestellten passt nicht ins Klischee gnadenloser Ermittler, ist dafür aber umso effektiver. "Unsere Abwehr steht", sagt Hans-Georg Spliethoff, Leiter des Kreditmanagements bei Otto. Je stärker der Handel über das Internet boomt, desto mehr Schlingel und Zahlungsschwache filtern und sieben die Spürnasen aus dem gigantischen Heer der Besteller heraus. Das ist bei Otto besonders wichtig, weil kaum einer der Kunden vor Erhalt der Ware zahlt.
"Fast alle unserer Kunden – 99 Prozent – wollen auf Rechnung kaufen, weil diese Zahlungsart für sie am bequemsten und sichersten ist", sagt Otto-Oberjäger Spliethoff. Zugleich gehört der Kauf auf Rechnung für Versandhändler zum Geschäftsmodell, weil sie dadurch Kunden gewinnen und die Umsätze steigern – ein gefundenes Fressen für Betrüger.
Um denen auf die Schliche zu kommen, durchstöbern Spliethoffs Mitarbeiter alle zugänglichen Winkel der analogen und digitalen Welt. Sie schnüffeln etwa in düsteren Internet-Chatrooms, in denen notorische Abzocker unter Pseudonymen schamlos ihre neuesten Tricks herausposaunen: Bestellt euch einen teuren Laptop und ein paar billige T-Shirts dazu, riet unlängst ein Chatter, schickt dann die Klamotten zurück und behaltet den Rechner! Mahne der Versandhändler die Bezahlung an, solle man einfach behaupten, man habe alles zurückgeschickt. Der Händler würde dann annehmen, die Retouren fehlerhaft erfasst zu haben, und aufs Geld verzichten.
"Finger weg von Otto!"
Finden die Otto-Detektive Anhaltspunkte, ihr Arbeitgeber könnte auf diese Weise hereingelegt werden, können sie äußerst hartnäckig werden. In einem Fall verfolgten sie das Pseudonym aus einem Betrüger-Chatroom bis ins soziale Netzwerk Facebook, wo sie ein Nutzerkonto fanden, das schließlich den Klarnamen preisgab. "Finger weg von Otto!", heißt es inzwischen im Internet, "die schicken immer gleich die Bullen mit."
Gleichzeitig screent die Otto-Taskforce alle Bestellungen nach Verdachtsmomenten. Bei Unterhaltungselektronik, Markenklamotten und teuren Parfüms sind die Ermittler besonders wachsam. Oft ordern Betrüger zum Beispiel in hoher Zahl teure Artikel unter verschiedenen Namen, um nicht aufzufallen. Erkennt die Filtersoftware solche Muster, knöpfen sich die Otto-Fahnder die Bestellungen vor, indem sie etwa bei dem Kunden anrufen und die Ware erst einmal auf der Rampe lassen. "Einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag an Betrugsschaden verhindern wir pro Jahr", sagt Taskforce-Chef Spliethoff. Das ist ein Vielfaches dessen, was der Präventionstrupp kostet.
Dafür sorgen, dass Kunden bezahlen
Kein Wunder, dass solche Hebel auch das Geschäft der kommerziellen Geldeintreiber, also der Inkassofirmen, ankurbeln. Sie leben insbesondere von Unternehmen, die sich wie der Internet-Versand Flaconi keine eigenen Spezialisten nach dem Vorbild von Otto leisten können. Das Berliner Startup bedient sich des Frankfurter Inkassoanbieters Universum, um Problemkunden abzuwehren.
Inkassofirmen kaufen Unternehmen deren Forderungen ab und treiben das Geld dann auf eigene Rechnung ein. Dafür bekommen die Gläubiger weniger als den Nennwert ihrer Rechnungen. Die Abschläge schwanken zwischen einem und 70 Prozent – je nach Qualität der Forderung. Mit diesem Geschäft erzielt die Inkassobranche rund 1,8 Milliarden Euro Jahresumsatz. Universum gehört mittlerweile der Valovis Bank, einer ehemaligen Tochter des Kaufhauskonzerns Karstadt. "Seit 30 Jahren sorgen wir dafür, dass Kunden bezahlen", wirbt das Unternehmen.
Keine kahlköpfigen Knochenbrecher
Der Slogan mag bei Fans des Boulevard-TV für Fantasien darüber sorgen, mit welchen Druckmitteln das Unternehmen arbeitet. Populäre Fernsehserien über die zweifelhafte Agentur Moskau Inkasso haben das Klischee vom kahlköpfigen Knochenbrecher auf Schuldnerjagd verbreitet. Doch ein solcher Außendienst mit dunklen Geländesportwagen rechnet sich höchstens für Privatgläubiger, die auf Rückzahlung eines hohen Einzelbetrags warten. Für das Millionenheer der Kleinschuldner, die hier ein Paar Jeans und dort ein Paket Parfüm nicht bezahlen, sind mobile Einsatzkommandos viel zu teuer. Zudem würden namhafte Auftraggeber wie Versandhändler oder Versicherer niemals rabiaten Methoden zustimmen, die ihren Ruf schädigen könnten. Daher bedienen sie sich lieber streng durchrationalisierter Eintreibmaschinerien.
Paradebeispiel für ein solches Fließbandinkasso ist das Unternehmen Sirius in Düsseldorf, das kürzlich den Sprung über die Marke von fünf Millionen eingetriebener Forderungen schaffte. Sirius gehört zum Essener Inkassokonzern GFKL, der mehrheitlich im Besitz des Finanzinvestors Advent International ist. Der Branchenriese GFKL beschäftigt in seinen zahlreichen Tochterunternehmen insgesamt 1300 Mitarbeiter, die sich zurzeit um unbezahlte Rechnungen im Wert von 22,5 Milliarden Euro kümmern.
In der Telefonnummer steckt der Erfolg
Das Sirius-Callcenter liegt verborgen hinter einem unauffälligen Bürogebäude nicht weit vom Düsseldorfer Hauptbahnhof. Dort laufen die Drähte heiß, wenn die Briefträger morgens ihre Runden quer durch die Republik drehen. Dann öffnen Tausende Schuldner, die Sirius angeschrieben hat, ihre Post. "Hello letters" heißen die Briefe, die Sirius an säumige Kunden von Versandhändlern oder Telekommunikationsanbietern verschickt. Die Schreiben enthalten die Außenstände und die dringende Bitte um Rückruf.
Die vergleichsweise samtene Methode funktioniert. Ein großer Teil der Angeschriebenen greift umgehend zum Hörer. Das Effizienzgeheimnis steckt in der jeweiligen Telefonnummer, die der Schuldner wählen muss. Denn diese ist per Datenbank mit dem Aktenzeichen der individuellen Forderung verknüpft. Ruft ein Schuldner über die ihm zugeteilte Telefonnummer an, erhält der Callcenter-Mitarbeiter auf seinem Bildschirm sofort alle Angaben über den Rechnungssünder.
Geldeintreiben ist Taktarbeit
"Big Brother" nennen einige der rund 220 Sirius-Mitarbeiter die Wählmaschine ihres Arbeitgebers, die dem Callcenter mit unbestechlicher Präzision den Takt vorgibt. Die unsichtbare Hand der Telefonanlage lotst jeden Anrufer automatisch zu der Kollegin, die gerade einen Schuldner verabschiedet hat. Geldeintreiben ist bei Sirius Taktarbeit. 120 000 Telefonate gehen jeden Monat durch die Drähte, 120 Gespräche schafft eine geübte Mitarbeiterin täglich, bevor sie zum Feierabend erschöpft das Headset abstreift. "Trotz dieser Fließbandmethode treffen unsere Leute individuelle Absprachen mit den Schuldnern", sagt Produktionsleiter Markus Krummen.
Der Ton, mit dem die Callcenter-Mitarbeiterinnen – bei Sirius ausschließlich Frauen – säumige Schuldner ansprechen, ist höflich, aber bestimmt. Sie löchern den Anrufer nach seiner finanziellen Situation und nageln ihn auf Termine für die Raten fest, mit denen er seine offenen Rechnungen abstottern soll. Halten sich die Kandidaten nicht daran, haken die Sirius-Mitarbeiter nach. Das Callcenter fährt Schichten, um auch abends bei den Schuldnern durchläuten zu können, wenn diese mit großer Wahrscheinlichkeit zu Hause erreichbar sind.
Geld durch Prävention
Die Sirius-Briefe zu ignorieren bringt den Schuldnern nichts. "Big Brother" läutet dann automatisch bei denjenigen durch, die bislang nicht reagiert haben. Um keinen Mitarbeiter unausgelastet in der Warteschleife zu lassen, stellt das System erst die Verbindung her, wenn der angewählte Schuldner tatsächlich abhebt.
Längst hat die Inkasso-Branche erkannt, dass sie auch mit Prävention Geld verdienen kann, statt Zechpreller erst nach Platzen der Rechnung zu verfolgen. Universum Inkasso aus Frankfurt ist stark in diesem Geschäft. "Gerade Online-Shops mit Prestigeprodukten brauchen ein hohes Maß an Risikoabsicherung", sagt Geschäftsführer Hermann Heinze. Vor allem Smartphones oder Tablet-Rechner, aber auch Markenparfüm oder Designersonnenbrillen zögen Betrüger und säumige Zahler an.
Detaillierte Prüfungen im Hintergrund
Um diese von ihrem Unwesen abzuhalten, durchleuchtet Universum die Kunden, ohne dass der Komfort bei der Bestellung leidet. So verlangen die Händler in ihren Orderschablonen von den Kunden, dass diese bei der Bestellung im Internet den Abgleich ihrer Personalien zulassen. Dann prüft Universum über seine Datenbanken blitzschnell, ob es den Besteller überhaupt gibt, ob er zuvor immer brav bezahlt hat und ob er sich die Ware leisten kann. Passen Name und Adresse des Kunden nicht zusammen oder entpuppt sich dieser als notorischer Zechpreller, wird der Kauf per Rechnung gar nicht erst angeboten.
"Wenn Kunden im Netz einkaufen, laufen im Hintergrund detaillierte Prüfungen, von denen sie nichts mitbekommen", sagt Ulrich Zabel von der Unternehmensberatung Steria Mummert. So kann es passieren, dass ein langjähriger Kunde nach einem Umzug plötzlich bei seinem Lieblingsshop im Internet im Voraus zahlen muss, obwohl dies zuvor problemlos per Rechnung funktionierte. Grund sind dann Informationen der angeschlossenen Wirtschaftsauskunft, die unter der neuen Postleitzahl des Bestellers viele Zahlungsausfälle registrierte.
Zahlungsweisen und -fristen anpassen
Erste Händler bedienen sich neuerdings filigraner Datenbanken und Filterprogramme, die das individuelle Verhalten der Kunden detailliert auswerten. Das erlaubt Lieferanten ganz neue Einblicke, mit denen sie Forderungsausfällen vorbeugen, ohne zuverlässige treue Kunden abzuschrecken. "Computerbastler, die ihre Elektronikbestellungen stets pünktlich zahlen, nehmen es mit den Rechnungen für ihre Klamotteneinkäufe vielleicht nicht ganz so genau", sagt Berater Zabel. Shops könnten sich auf diese Trödelei einstellen und Zahlungsweisen wie -fristen dem Kundenprofil anpassen.
Gegen Zechpreller, die aus der Unsitte einen Sport machen, helfen solche Strategien allerdings kaum. Mit dieser besonderen Klientel müssen sich die vier deutschen Mobilfunkbetreiber T-Mobile, Vodafone, E-Plus und O2 herumschlagen. Sie haben wie Otto in Hamburg ebenfalls eigene Taskforces aufgestellt.
Gruppenfahrt auf einer Karte
Denn seit das Smartphone-Geschäft explodiert, nimmt auch der Betrug zu. Immer mehr Kunden schließen mit gestohlenem Personalausweis Mobilfunkverträge ab, um auf diesem Weg ein preiswertes, weil hoch subventioniertes, Edelhandy zu ergattern. Zwar haben die Mobilfunkbetreiber einen sogenannten Fraud-Prevention-Pool eingerichtet, eine gemeinsame Datenbank, um dem Betrug vorzubeugen. Doch gegen den Trick mit dem geklauten Personalausweis ist das System machtlos. Denn in ihm landen die Klarnamen von Vertragsnomaden, die von Anbieter zu Anbieter ziehen, ohne ihre Rechnung zu begleichen. Immerhin sorgt diese Liste aber dafür, das sich die Forderungsausfälle – wie es bei den Unternehmen heißt – "im Promillebereich des Gesamtumsatzes" bewegen und zum Teil sogar rückläufig sind.
Die häufigsten Tricks von Zechprellern
Abzocker nutzen den Kauf auf Rechnung, um auf den Namen solventer Nachbarn teure Markenklamotten, Sonnenbrillen oder Parfüms zu bestellen. Später fangen sie das Paket direkt beim Boten ab. Sie geben auch fremde Bankverbindungen an, stornieren Lieferungen, ohne die Ware zurückzuschicken, oder spekulieren schlicht darauf, dass dem Internet-Shopbetreiber die Mittel fehlen, seine Forderungen einzutreiben.
Um subventionierte Smartphones abzugreifen, schließen Betrüger mit fremdem Ausweis Verträge ab oder wechseln die Anbieter, ohne Rechnungen zu bezahlen.
Schlepper nehmen Mitfahrer zum Schnäppchenpreis auf Monatskarten bei Bahnreisen mit. Autofahrer brausen nach dem Tanken immer öfter davon, ohne zu bezahlen.
Gegen eine besonders perfide Methode der Zechprellerei kämpft die Deutsche Bahn. Ziel vieler Schnorrer ist das Angebot für Besitzer von Monatskarten, bei Fahrten am Wochenende bis zu vier Personen kostenlos mitnehmen zu dürfen. Zwar verbietet die Bahn, das Angebot geschäftsmäßig zu nutzen, doch das stört Schlepper nicht. Sie sammeln auf Bahnhöfen oder per Internet Mitreisende ein und nehmen sie zum Billigtarif mit. Ein Ticket etwa von Berlin nach Hamburg kostet regulär rund 70 Euro. Über Internet-Portale wie mitfahrgelegenheit.de wird die Strecke dagegen schon für 14 Euro angeboten. Hobby-Schlepper können bei reger Nachfrage mehrere Hundert Euro im Monat verdienen.
Preiserhöhung gegen Betrug
Die Deutsche Bahn kennt das Problem, hält die Zahl der Betrugsfälle aber bei den täglich Millionen von Bahnreisenden für "verschwindend gering". Dennoch dürften dadurch mehrere Millionen Euro pro Jahr an der Konzernkasse vorbei fließen. Der Konzern versucht nun mit seiner in der vergangenen Woche angekündigten Preiserhöhung, den Monatskartenbetrug einzudämmen. Das ist schlecht für ehrliche Kunden, denn künftig müssen drei der vier Mitfahrer Kinder sein.
Betrug mit der "schwarzen Mamba"
Von Betrugsversuchen – etwa mit gefälschten Bahncards – bleibt die Bahn trotzdem nicht verschont. Besonders beliebt ist eine Kopie der Bahncard100, von ihren Besitzern auch "Schwarze Mamba" genannt und Stolz aller Vielfahrer. Sie garantiert freie Fahrt durch ganz Deutschland, einschließlich Nahverkehr. Es reicht, sie zu zücken, und die Schaffner lassen einen in Ruhe. Manche bringen daher sogar Plagiate aus ihrem Thailand-Urlaub mit. Vor genauen Kontrollen schreckt die Bahn zurück, um es sich mit ihren exklusiven Vielfahrer-Kunden nicht zu verscherzen.
Es gibt aber auch Fälle, da tragen Unternehmen durchaus dazu bei, dass Betrüger Erfolg haben – indem sie möglichst wenig Geld für die Logistik bezahlen wollen. So nutzen böswillige Zeitgenossen aus, dass Briefträgern oder Zustellern etwa der Otto-Tochter Hermes die Stoppuhr im Nacken sitzt, weil sie pro abgelieferter Sendung bezahlt werden. Deshalb schaut der eine oder andere Bote im Zweifel schon mal nicht so genau hin, wem er die Sendung übergibt. Ein beliebter Trick ist deshalb die Bestellung auf den Namen eines solventen Nachbarn mit festem Job, der zuverlässig außer Haus ist, wenn der Paketdienst erscheint.
Methoden hebeln Sicherheitsvorkehrungen aus
Betrüger passen den Überbringer dann vor der Haustür ab und geben sich als Besteller oder netter Nachbar aus, der das Paket für den Abwesenden gern annimmt. Der geprellte Versandhändler merkt das erst, wenn der Strohkunde die Rechnung zurückweist, weil er ja nichts bestellt und nichts erhalten hat. Die Methode ist einfach aber wirkungsvoll, denn sie hebelt die Sicherheitsschleusen der Shops aus.
Kleinere Versender verlangen deshalb zum Beispiel Bezahlung per Einzugsermächtigung. Doch auch dies schützt vor Langfingern nicht. Diese Erfahrung machte Alexander Brand, Geschäftsführer und Mitgründer des Versandportals windeln.de, das junge Eltern beliefert. "In den ersten zwei bis drei Wochen hatten wir bei 15 Prozent der Bestellungen Zahlungsausfälle", sagt Brand. Manche Kunden waren schlicht so dreist und gaben fremde Kontonummern und Bankleitzahlen an.
Brand erkannte die Masche, als der Kassenwart eines Schützenvereins im Ruhrgebiet erbost die Abbuchung für einen nie erhaltenen Kinderwagen zurückforderte. Der Betrüger hatte die Bankverbindung des Vereins auf dessen Homepage gefunden und sich den teuren Kinderwagen von windeln.de im Wert von 500 Euro liefern lassen.
Zahlungsausfälle auf ein Prozent reduziert
Der geprellte Windel- und Schnullerverkäufer hat seinen Shop daher an die Datenbank eines Wirtschaftsauskunftsdiensts gekoppelt. Anbieter solcher Dienste sind Bürgl, Infoscore, die Schufa oder Creditreform. Brand wird jetzt alarmiert, wenn Bestellungen etwa aus Wohngebieten eintreffen, in die erfahrungsgemäß sehr häufig Mahnungen verschickt werden. Der Erfolg der Checks ist unübersehbar. "Wir haben die Zahlungsausfälle beim Lastschriftverfahren auf ein Prozent reduziert", sagt der Unternehmer.
Schlechte Zahlungsmoral lässt Kassen klingeln
Die Zechprellerei und die Jagd auf die Übeltäter machen inzwischen vor keiner Branche mehr halt. Das Düsseldorfer Unternehmen Adelta etwa lebt vom Verfall der Zahlungsmoral im Angesicht des Todes. Die Rheinländer sind Marktführer bei der Abwicklung offener Forderungen von Bestattern. Was bei Ärzten längst üblich ist, die Zahlungsabwicklung an externe Dienstleister abzugeben, hat Adelta auf das Sterbewesen übertragen. Die Meister des Sepukral-Geschäfts haben sogar eine Tochter namens GrabmalFinanz, die für Steinmetze das Geld eintreibt, wenn die Hinterbliebenen mit der Überweisung zögern.
Das Geschäft des Abwicklungs-Exoten floriert. Denn Angehörige drücken sich immer häufiger um die Kosten der letzten Ruhe, seit die Krankenkassen kein Sterbegeld mehr zahlen. Machte Adelta 2007 erst 15 Millionen Euro Umsatz, sollen es in diesem Jahr 132 Millionen Euro werden – rund neunmal so viel. Das Geschäft scheint krisensicher. Je ärmer die Rentner werden, die ihresgleichen unter die Erde bringen, desto mehr dürfte bei Adelta die Kasse klingeln.