Wirecard-Bilanz Abstreiten, kleinreden und beschönigen ist zu wenig

Wirecard: Die Show geht weiter Quelle: imago images

Gute Zahlen und der Einstieg von Tech-Investor Softbank hieven den Kurs von Wirecard hoch. Die Probleme in Asien lassen sich damit jedoch nur bedingt überstrahlen. Zur Bilanz-Präsentation müssen Fakten auf den Tisch.

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Wenn am Donnerstag die Bilanz von Wirecard vorgestellt wird, dann wird vermutlich vieles so sein wie immer: Vorstandschef Markus Braun kann verkünden, dass der Umsatz des Zahlungsabwicklers deutlich gestiegen ist und das Ergebnis ebenso. Die Prognosen für die kommenden Monaten werden - ebenfalls wie immer - optimistisch sein. Noch dazu kann Braun einen spektakulären Deal erläutern: Gerade will der Technologie-Investor Softbank bei Wirecard einsteigen. Die Japaner wollen 900 Millionen Euro in eine Wandelanleihe des Zahlungsabwicklers aus Aschheim investieren. Braun wird den versammelten Journalisten und Analysten keinen Grund geben, das operative Geschäft zu kritisieren.

Es wird aber auch nicht das erste Treffen sein, bei dem das Kerngeschäft in den Hintergrund zu rutschen droht. Zu viel ist in den letzten Monaten geschehen.

Ende Januar schockte die britische Zeitung „Financial Times“ (FT) die Aktionäre mit einem Bericht über zweifelhafte Vorkommnisse bei Wirecard in Asien. Demnach könnte es vor allem in Singapur zu Bilanzmanipulationen gekommen sein. Von Scheinrechnungen und problematischen Geschäftspartnern ist die Rede. Bis März veröffentlichte die FT mehrere Artikel zu dieser Angelegenheit. Der Kurs der Wirecard-Aktie fiel mehrfach deutlich, obwohl das Unternehmen die Vorwürfe im Kern stets bestritten hatte und der im Raum stehende Schaden zu klein war, als dass erein Unternehmen mit zwei Milliarden Euro Jahresumsatz hätte zum Wanken bringen können.

Ermittlungen müssen sein

Die Aktie holte zwar mehrfach deutlich auf. Dennoch liegt der Kurs aktuell immer noch mehr als 20 Prozent unter dem letzten Höchststand von 170 Euro Ende Januar. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft München, ob der Kurs der Aktie womöglich mittels kritischer Berichterstattung gezielt nach unten manipuliert wurde, so dass Hedgefonds, die auf einen Kursverfall gewettet hatten, Kasse machen konnten. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hatte zeitweise sogar weitere Wetten auf einen Kursverfall verboten - was einen erheblichen Eingriff in den Finanzmarkt darstellt. Es ist völlig richtig, dass die Behörden ein Ermittlungsverfahren eingeleitet haben, auch wenn Untersuchungen wegen des Verdachts der Marktmanipulation nur selten erfolgreich sind. Der Fall ist zu groß und zu wichtig, als dass Bafin oder Staatsanwaltschaft ihn einfach ignorieren könnten.

Allerdings muss die Frage erlaubt sein, ob nicht gegen Mitarbeiter von Wirecard ebenso ermittelt werden müsste.

Warum?

Verkürzt ausgedrückt, darf ein börsennotiertes Unternehmen keine falschen oder irreführenden Angaben machen. Wird hierdurch der Aktienkurs beeinflusst, kann das eine Marktmanipulation darstellen. Während es noch relativ einfach ist, eine wahre von einer falschen Aussage zu unterscheiden, ist es ungleich schwerer eine irreführende Information zu identifizieren. Hier kommt es nicht allein darauf an, was genau gesagt oder geschrieben wurde, sondern wie das Gesagte oder Geschriebene bei einem verständigen Anleger ankommt oder ankommen sollte. Was war die Botschaft?

Wirecard hat verschiedene Vorwürfe der FT in den vergangenen Wochen mehrfach tendenziell eher pauschal dementiert, woraufhin der Kurs von Wirecard wieder stieg. Gerade durch die ersten Stellungnahmen konnte der Eindruck entstehen, die Journalisten der FT seien Informationen eines Betrügers aufgesessen.

Nach und nach zeigte sich jedoch, dass doch nicht alles falsch war.

Wie alles begann - erstmal alles abstreiten

Zum ersten Artikel der FT Ende Januar veröffentlichte Wirecard auf seiner Homepage eine schriftliche Erklärung in der Sätze standen wie: „Es ist klar, dass der Journalist mit falschen Informationen versorgt wurde.“ Oder: „Die Grundlage für den Artikel und die Behauptungen sind sachlich falsch.“ Regelmäßige Überprüfungen der Governance- und Rechnungslegungspraktiken einer Wirecard-Tochter hätten zu keinen wesentlichen Compliance-Feststellungen geführt.

Als Leser dieser Mitteilung konnte man den Eindruck gewinnen: Bei Wirecard in Singapur hat es nie einen außergewöhnlichen Vorgang gegeben. Der erste Artikel der FT zu ominösen Vorfällen bei Wirecard in Singapur ist Unsinn.

Das stimmt aber nicht.

Alles frei erfunden?

Heute wissen wir, dass es in Singapur tatsächlich zweifelhafte Vorgänge gab. Welches Gewicht sie haben ist unklar. Fakt aber ist:

- Ein Mitarbeiter in Singapur hegte 2018 den Verdacht, dass sich einer seiner Kollegen strafbar gemacht hat und meldete diesen Verdacht der Compliance-Abteilung.
- Die Juristen in Singapur durchsuchten interne Mails und Unterlagen. Sie hielten die Vorwürfe des Whistleblowers für glaubwürdig.
- Die Kanzlei Rajah&Tann wurde mit der Aufklärung des Falls beauftragt. In einem vorläufigen Bericht hielten die Anwälte eine Reihe an Vorgängen fest, die ihnen im Mai 2018 nicht koscher erschienen. Von gefälschten Verträgen und Rechnungen ist dort die Rede. Selbst wenn sich ein Teil der Vorwürfe später auflöste, beziehungsweise sich die Folgen für Wirecard in Grenzen hielten: Zweifelhaft war das Treiben der beschuldigten Wirecard-Mitarbeiters allemal.
- Letztlich wurde der Umsatz für 2017 auch korrigiert. Die Wirecard-Bilanz für 2018 wird überprüft. Die Veröffentlichung wurde verschoben.
- Für die Staatsanwaltschaft Singapur waren die Unterlagen Grund genug, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

War der erste Artikel der FT zu der Asien-Affäre also wirklich so falsch?

Der zweite Akt - die Vorfälle als normal darstellen

Es folgte ein weiterer Artikel der FT. Wirecard veröffentlichte eine weitere Stellungnahme. Darin heißt es, dass es sich bei der Kanzlei Rajah&Tann um einer der vielen Rechtsberater des Unternehmens handele, die regelmäßig Compliance- und Governance-Beratungsarbeiten für Wirecard durchführe. „Es ist unwahr, dass Rajah&Tann jemals Feststellungen über ein wesentliches Fehlverhalten eines Wirecard-Mitarbeiters in Fragen der Rechnungslegung getroffen hat.“

Diese Stellungnahme kann man abermals so lesen, als habe es in Singapur nie einen ungewöhnlichen Vorgang gegeben. Eine solche Interpretation wäre jedoch falsch gewesen. Vielmehr wurde Rajah&Tann von Wirecard damit beauftragt, mögliche Verfehlungen eines Wirecard-Mitarbeiters aufzuklären. Eine turnusmäßige Prüfung dürfte das kaum gewesen sein. Ein im Mai 2018 verfasster Zwischenbericht der Kanzlei enthält eine Reihe von Indizien, dass es in Asien tatsächlich zu verdächtigen Transaktionen gekommen sein könnte. Ein bislang unveröffentlichter Abschlussbericht, wonach sich die meisten Vorwürfe in Luft aufgelöst haben sollen, lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor.

Der dritte Akt - den Fall kleinreden

Am 4. Februar gab Wirecard abermals eine Stellungnahme ab, die nun ein paar Details mehr zu dem Fall in Singapur enthält. Es wird eingeräumt, dass sich ein Mitarbeiter in Singapur an die dortige Rechtsabteilung gewandt und behauptet hat, dass es bei Wirecard zu Compliance-Verstößen im Bereich der Rechnungslegung gekommen sein soll. Zugleich aber gibt Wirecard Entwarnung: Eine interne Überprüfung habe ergeben, dass an den Vorwürfen nichts dran sei. „Darüber hinaus gab es Hinweise darauf, dass die Vorwürfe auch mit persönlichen Feindseligkeiten zwischen den beteiligten Mitarbeitern zusammenhängen könnten.“

Kurzum liest sich die Meldung zusammengefasst nun so: Es hat Vorwürfe gegeben. An denen ist jedoch nichts dran. Die Compliance-Abteilung hat alles gründlich überprüft. Womöglich wollte nur ein Kollege einen anderen anschwärzen.

Es erscheint jedoch zweifelhaft, dass sich der Fall auf einen Streit unter Kollegen reduzieren lässt. Der Whistleblower war schließlich nicht der einzige, der die Geschäfte seines Kollegen für krumm hielt. Auch die Compliance-Abteilung in Singapur war hochgradig alarmiert, genauso wie die Kanzlei Rajah & Tann. Recherchen der Süddeutschen Zeitung (veröffentlicht am 6. April 2019) legen zudem nahe, dass die Compliance-Abteilung vielleicht doch nicht ganz so unabhängig prüfen konnte, wie es scheinen sollte.

Die Süddeutsche zitiert am 6. April aus einem Gruppenchat an dem zwei Juristen von Wirecard aus der Dependance in Singapur und der deutsche Compliance-Chef von Wirecard teilnahmen:

Demnach schrieb einer der Anwälte aus Singapur: „Ich verstehe nicht, wie ein paar Leute etliche äußerst schwerwiegende Finanzdelikte begehen und dann ungestraft weitermachen können.“ Der deutsche Teilnehmer dieses Chats, er ist immerhin einer der wichtigsten Verantwortlichen für Rechtsfragen im Konzern, scheint auf Linie mit den asiatischen Kollegen zu sein. Auch er äußert den Verdacht, dass sich die Mächtigen im Unternehmen gegenseitig deckten. Sie „pinkeln sich nicht gegenseitig an“.

Viel Vertrauen verspielt

Weiter schreibt die Süddeutsche, dass der deutsche Compliance-Chef einige Tage später wohl von seinen Kollegen in Singapur abgerückt sei. Demnach schrieb er seinen Kollegen aus Singapur nun:

„Als Compliance müssen wir Partner des Managements sein. Unsere Compliance-Rolle ist es, Schaden vom Unternehmen fernzuhalten und die Graubereiche zu kontrollieren. Wir sind keine Staatsanwälte, die Einzelpersonen zur Rechenschaft ziehen.“ Und weiter heißt es: „Ich glaube, dass der Vorstand das Vertrauen darauf verloren hat, dass wir zum Wohle der Firma ermittelten.“ Dann wird der Mann in Aschheim sehr, sehr deutlich gegenüber seinen asiatischen Kollegen: „Compliance ist immer auch … politisch motiviert.“

Wenn eine Compliance-Prüfung „politisch motiviert“ ist, wie soll sie dann zugleich unabhängig sein?

Der vierte Akt - Noch eines drauf setzen

Wenige Tage später erscheint eine weitere Stellungnahme von Wirecard zu einem weiteren Artikel der FT, die im Kern die Stellungnahme vom 4. Februar wiedergibt. Sie schließt ab mit dem Satz: „Nichts an dem heute veröffentlichten Artikel ist wahr.“

von Melanie Bergermann, Volker ter Haseborg, Matthias Kamp

Ist an dem Artikel wirklich rein gar nichts wahr? Rein gar nichts? Haben die Redakteure der FT den Text also komplett erfunden?

Diese Aussage von Wirecard ist so pauschal, dass sie gar nicht stimmen kann. So schreibt, die FT etwa dass der Börsenwert von Wirecard den der Deutschen Bank übertroffen hatte - was jeder nachrechnen konnte. Was ist daran falsch?

Auch die Absätze zu den Vorkommnissen in Asien können kaum vollständig falsch gewesen sein. So schreibt die FT, dass Compliance-Mitarbeiter die Vorwürfe des Whistleblowers in Asien für glaubwürdig hielten. Das stimmt. Weiter heißt es, dass es eine interne Untersuchung mit dem Codenamen „Project Tiger“ gab. Auch das stimmt. Weiter heißt es: der vorläufige Bericht einer eingeschalteten Kanzlei enthalte eine Vielzahl an Vorwürfen. Auch das stimmt. Möglicherweise hat die FT etwas dick aufgetragen. Möglicherweise sind die Vorgänge in Singapur nicht so relevant, wie es vielleicht zunächst schien. Möglicherweise haben sich mittlerweile einige Vorwürfe des Whistleblowers aufgeklärt oder in Luft aufgelöst - aber durfte man deshalb sagen, dass nichts von dem was die FT schreibt wahr ist?

Der fünfte Akt - die eigene Rolle beschönigen

Im Februar hat sich dann die Polizei eingeschaltet. Wirecard erklärte hierzu: „Heute morgen traf sich Wirecard mit der singapurischen Strafverfolgungsbehörde am Hauptsitz von Wirecard in Singapur und stellte der Polizei umfassendes Unterstützungsmaterial für ihre Ermittlungen zu den diffamierenden Behauptungen in der FT-Artikelreihe zur Verfügung. Wir möchten erneut bestätigen, dass die Vorwürfe gegen Mitarbeiter von Wirecard unbegründet sind. Wir arbeiten eng mit der Polizei von Singapur zusammen, um alle Vorwürfe auszuräumen.“

Es klingt wie ein Treffen unter Freunden. Die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft in Singapur hat nur einen ganz anderen Eindruck von dem „Treffen“ als Wirecard. Einem internen Bericht zufolge, ermitteln die Behörde gegen drei ehemalige beziehungsweise aktuelle Mitarbeiter von Wirecard. In die Untersuchungen involviert sind mehrere Wirecard-Töchter als auch mehrere Partnerfirmen. Es hat drei Hausdurchsuchungen gegeben. Nach Meinung der Staatsanwaltschaft haben die Wirecard-Mitarbeiter sich gerade nicht durch einen besonders ausgeprägten Willen zur Kooperation ausgezeichnet. Vielmehr vermitteln die Ermittler in dem Bericht eher den Eindruck, behindert worden zu sein. Das deckt sich nicht ansatzweise mit dem in der Stellungnahme von Wirecard vermittelten Eindruck.

Wirecard ist schon häufiger von zweifelhaften Personen und Fonds attackiert worden. Die diversen Vorwürfe, die gegen das Unternehmen in den vergangenen Jahren erhoben wurden und schon mehrfach dazu führten, dass der Aktienkurs zeitweise einbrach, hatten sich später stets als falsch oder kaum relevant herausgestellt. Vielleicht reagiert Wirecard auf die Angriffe der FT deshalb sofort mit einem Gegenangriff und wittert hinter der Kritik gleich kriminelle Energie. Das mag eine Erklärung sein. Eine Entschuldigung kann es nicht sein. Selbst wenn die Statements von Wirecard alle juristisch einwandfrei gewesen sein sollten: Ein Unternehmen das im Dax gelistet ist, sollte mit Krisen professioneller umgehen und sofort vollumfänglich alle relevanten Informationen auf den Tisch legen, statt immer nur so viel wie gerade nötig erscheint. Wirecard hat in den vergangenen Wochen viel Vertrauen verspielt.

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