Wirecard-Bilanz Abstreiten, kleinreden und beschönigen ist zu wenig

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Viel Vertrauen verspielt

Weiter schreibt die Süddeutsche, dass der deutsche Compliance-Chef einige Tage später wohl von seinen Kollegen in Singapur abgerückt sei. Demnach schrieb er seinen Kollegen aus Singapur nun:

„Als Compliance müssen wir Partner des Managements sein. Unsere Compliance-Rolle ist es, Schaden vom Unternehmen fernzuhalten und die Graubereiche zu kontrollieren. Wir sind keine Staatsanwälte, die Einzelpersonen zur Rechenschaft ziehen.“ Und weiter heißt es: „Ich glaube, dass der Vorstand das Vertrauen darauf verloren hat, dass wir zum Wohle der Firma ermittelten.“ Dann wird der Mann in Aschheim sehr, sehr deutlich gegenüber seinen asiatischen Kollegen: „Compliance ist immer auch … politisch motiviert.“

Wenn eine Compliance-Prüfung „politisch motiviert“ ist, wie soll sie dann zugleich unabhängig sein?

Der vierte Akt - Noch eines drauf setzen

Wenige Tage später erscheint eine weitere Stellungnahme von Wirecard zu einem weiteren Artikel der FT, die im Kern die Stellungnahme vom 4. Februar wiedergibt. Sie schließt ab mit dem Satz: „Nichts an dem heute veröffentlichten Artikel ist wahr.“

von Melanie Bergermann, Volker ter Haseborg, Matthias Kamp

Ist an dem Artikel wirklich rein gar nichts wahr? Rein gar nichts? Haben die Redakteure der FT den Text also komplett erfunden?

Diese Aussage von Wirecard ist so pauschal, dass sie gar nicht stimmen kann. So schreibt, die FT etwa dass der Börsenwert von Wirecard den der Deutschen Bank übertroffen hatte - was jeder nachrechnen konnte. Was ist daran falsch?

Auch die Absätze zu den Vorkommnissen in Asien können kaum vollständig falsch gewesen sein. So schreibt die FT, dass Compliance-Mitarbeiter die Vorwürfe des Whistleblowers in Asien für glaubwürdig hielten. Das stimmt. Weiter heißt es, dass es eine interne Untersuchung mit dem Codenamen „Project Tiger“ gab. Auch das stimmt. Weiter heißt es: der vorläufige Bericht einer eingeschalteten Kanzlei enthalte eine Vielzahl an Vorwürfen. Auch das stimmt. Möglicherweise hat die FT etwas dick aufgetragen. Möglicherweise sind die Vorgänge in Singapur nicht so relevant, wie es vielleicht zunächst schien. Möglicherweise haben sich mittlerweile einige Vorwürfe des Whistleblowers aufgeklärt oder in Luft aufgelöst - aber durfte man deshalb sagen, dass nichts von dem was die FT schreibt wahr ist?

Der fünfte Akt - die eigene Rolle beschönigen

Im Februar hat sich dann die Polizei eingeschaltet. Wirecard erklärte hierzu: „Heute morgen traf sich Wirecard mit der singapurischen Strafverfolgungsbehörde am Hauptsitz von Wirecard in Singapur und stellte der Polizei umfassendes Unterstützungsmaterial für ihre Ermittlungen zu den diffamierenden Behauptungen in der FT-Artikelreihe zur Verfügung. Wir möchten erneut bestätigen, dass die Vorwürfe gegen Mitarbeiter von Wirecard unbegründet sind. Wir arbeiten eng mit der Polizei von Singapur zusammen, um alle Vorwürfe auszuräumen.“

Es klingt wie ein Treffen unter Freunden. Die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft in Singapur hat nur einen ganz anderen Eindruck von dem „Treffen“ als Wirecard. Einem internen Bericht zufolge, ermitteln die Behörde gegen drei ehemalige beziehungsweise aktuelle Mitarbeiter von Wirecard. In die Untersuchungen involviert sind mehrere Wirecard-Töchter als auch mehrere Partnerfirmen. Es hat drei Hausdurchsuchungen gegeben. Nach Meinung der Staatsanwaltschaft haben die Wirecard-Mitarbeiter sich gerade nicht durch einen besonders ausgeprägten Willen zur Kooperation ausgezeichnet. Vielmehr vermitteln die Ermittler in dem Bericht eher den Eindruck, behindert worden zu sein. Das deckt sich nicht ansatzweise mit dem in der Stellungnahme von Wirecard vermittelten Eindruck.

Wirecard ist schon häufiger von zweifelhaften Personen und Fonds attackiert worden. Die diversen Vorwürfe, die gegen das Unternehmen in den vergangenen Jahren erhoben wurden und schon mehrfach dazu führten, dass der Aktienkurs zeitweise einbrach, hatten sich später stets als falsch oder kaum relevant herausgestellt. Vielleicht reagiert Wirecard auf die Angriffe der FT deshalb sofort mit einem Gegenangriff und wittert hinter der Kritik gleich kriminelle Energie. Das mag eine Erklärung sein. Eine Entschuldigung kann es nicht sein. Selbst wenn die Statements von Wirecard alle juristisch einwandfrei gewesen sein sollten: Ein Unternehmen das im Dax gelistet ist, sollte mit Krisen professioneller umgehen und sofort vollumfänglich alle relevanten Informationen auf den Tisch legen, statt immer nur so viel wie gerade nötig erscheint. Wirecard hat in den vergangenen Wochen viel Vertrauen verspielt.

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