Wirecard Die Moskau-Connections des Jan Marsalek

Geschasster Wirecard-Vorstand Jan Marsalek im Visier der Ermittler. Quelle: Wirecard

Jan Marsalek war ein häufiger Gast in Russland und hinterließ viele Spuren in dem Land, wo sein derzeitiger Zufluchtsort vermutet wird. Wenn es schlecht läuft, könnte Russland für den Ex-Manager am Ende zur Falle werden.

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Wenn Roman Dobrokhotov an Jan Marsalek, einen der derzeit meistgesuchten Männer der Welt, denkt, dann bleibt für ihn vor allem eine Frage: Wer ist hier der größere Gauner, Marsalek oder der russische Geheimdienst? Dobrokhotov ist einer der bekanntesten Investigativ-Journalisten Russlands. Er hat tagelang Dokumente, Einreise-Datenbanken der russischen Grenzbehörden und öffentlich zugängliche Flugdaten ausgewertet. Am Ende seiner Recherchen ist er sich sicher, dass Marsalek nicht nur mindestens 60 Mal in Russland gewesen ist, sondern auch mit dem russischen Geheimdienst zusammenarbeitet.

„Wir haben gesehen, dass bei den jüngsten Russlandreisen die Daten gelöscht worden sind, dass der FSB ihn mindestens einmal für einige Stunden nicht wieder aus dem Land ließ, und dass die russischen Dienste auch seine weltweiten Reisen aufgezeichnet haben“, sagt der Journalist. Vor dem Hintergrund von Marsaleks Geschäftsinteressen in Libyen ergebe sich ein klares Bild: Dobrokhotov hält Marsalek für eine Art Geldkurier der Russen.

Auf seinen Reisen nach Russland könnte der Österreicher zum Beispiel Datenträger mit Kryptowährung persönlich abgeholt und die Summen später an die nötigen Empfänger, etwa private Milizen, in Euro oder Dollar überwiesen haben. Weil Marsalek sich jedoch als Gauner erwiesen habe und wegen fehlender Milliarden bei Wirecard gesucht werde, stünden nun auch russische Geheimdienste am Pranger. „Aus meiner Sicht ist es der größte Fehlschlag der russischen Geheimdienste seit der Skripal-Affäre“, meint der Rechercheur. Er glaubt, Russland halte Marsalek nun versteckt, damit er im Falle einer Verhaftung nicht zu viel ausplaudere.

Die Geschichte wirkt auf den ersten Blick wie das Drehbuch zu einer Geheimdienst-Serie, mit reichlich Stoff für mehrere Staffeln. Insbesondere nach Berichten, Marsalek befinde sich nun nach einem Zwischenstopp in Weißrussland irgendwo westlich von Moskau unter Obhut des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Berichte, die von russischer Seite nur halbherzig dementiert werden. Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte lediglich, ihm sei nichts darüber bekannt. Die Nachrichtenagentur Interfax schrieb mit Verweis auf eine Quelle in Regierungskreisen, Jan Marsalek habe keinen der offiziellen Grenzübergänge Russlands passiert.

Tatsächlich erscheinen Dobrokhotovs Recherchen bei näherer Betrachtung zumindest nicht unplausibel. Dass Rechercheure interne Datenbanken der russischen Grenzbehörden in die Hände bekommen, ist nicht ungewöhnlich. Onlineshops im russischen Darknet, einem weitgehend anonymen Teil des Internets, der über spezielle Browser zugänglich ist, bieten Auskünfte über die Grenzüberquerungen von Personen bereits für 100 Euro an. Die Quellen sind meist korrupte Beamte auf unterem Level, die so ihr Gehalt aufbessern. Es sind jedoch vor allem die Schlussfolgerungen, die noch Fragen aufwerfen.

Gründe, Marsalek in Russland zu suchen, gibt es tatsächlich einige. Viele sind allerdings weniger spektakulär als die Geheimdienst-Story. Etwa so unspektakulär wie der vierstöckige Bürobau auf dem Moskauer Prospekt Mira Hausnummer 102. Dort hat die Wirecard OOO, eine GmbH nach russischem Recht, ihren Sitz im Büro Nummer 404.1. Seit 2019 war Jan Marsalek dort als operativer Geschäftsführer im Einsatz.



Dies bestätigt die Generaldirektorin der Firma, die ihren Namen nicht in der Presse lesen möchte. „Natürlich kenne ich Marsalek, ich habe ihn getroffen, allerdings selten in Person. Über seine Reisen nach Moskau hat er mich jedoch nicht informiert, wir hatten keinen engen Kontakt“, erzählt die Russin. Die russische Wirecard-Tochter habe mit dem aktuellen Skandal nichts zu tun. „Wir haben es in den zwei Jahren nicht geschafft, unser operatives Geschäft aufzunehmen und keine einzige Transaktion auf russischem Territorium durchgeführt“.

Eine Behauptung, die Experten in Russland infrage stellen. „Die OOO Wirecard hatte mindestens eine Partnerschaft mit der russischen RIF-Bank. Die Wirecard Acquiring und Issuing GmbH hielt zudem eine Mehrheit an dem russischen Online-Zahlungsdienstleister Moneta.ru“, berichtet Ilja Schumanow, stellvertretender Direktor von Transparency International in Russland. Tatsächlich blieb die Bilanzsumme der Wirecard OOO nach offizieller Auskunft aus dem russischen Handelsregister mit knapp 800.000 Euro und einer halben Million Euro Verlust im Jahr 2019 mehr als überschaubar. Diese Aktivitäten könnten jedoch zumindest einen Teil von Marsaleks Reisen erklären. Denkbar ist auch, dass Marsalek so Russland als möglichen Zufluchtsort für den Fall der Fälle ins Auge fasste.

Ob Marsalek tatsächlich Geld für die russischen Dienste transferiert hat, hält Schumanow für fraglich. Zwar benutze Moskau alle möglichen Finanzierungswege, von Bitcoins über Fake-Kredite bis hin zum althergebrachten Gold und Juwelen. „Eine öffentliche Aktiengesellschaft wie die Wirecard scheint mir eine etwas zu riskante Wahl zu sein, auch wenn ich das nicht ausschließen kann“. Fest stehe jedoch, dass Russland derzeit wohl zu den sichereren Zufluchtsorten vor dem Zugriff der europäischen Justiz sei.

Doch neben seinen geschäftlichen Aktivitäten führt auch eine andere Verbindung Marsaleks über den Umweg Libyen nach Moskau zum Russen Andrej Tschuprygin. Der 70-jährige Professor der Moskauer Higher School of Economics und Nahost-Experte reagiert mit einem lauten Lachen auf den Namen Marsalek, den er nur bei seinem Vornamen Jan nennt. Die „Financial Times“ hatte Tschuprygin in einem Bericht vor wenigen Wochen als einen Mann mit guten Kontanten zum Geheimdienst GRU bezeichnet. „Das ist alles Blödsinn, in meinem Alter denke ich eher an meinen Garten als an Geheimdienstspiele“, sagt Tschuprygin. Seinen Dienst beim Militär als Arabisch-Übersetzer habe er 1989 quittiert.

Ein typischer Rentner ist der Mann allerdings nicht. Regelmäßig spricht Tschuprygin auf russischen und internationalen Konferenzen, kommentiert Entwicklungen in Syrien und Libyen in der russischen Presse und hält Unterricht an der Uni. „Wie jeder gute Analyst habe ich natürlich auch meine Quellen vor Ort“, sagt er. Marsalek habe ihn selbst per Telefon kontaktiert. „Offenbar hat mich jemand empfohlen, ich bin schließlich eine öffentliche Person und in Expertenkreisen bekannt“, meint der Russe. Die Konsultationen seien für Marsalek kostenlos gewesen.

An mindestens zwei Treffen in Moskau erinnert sich der 70-Jährige. Dazu ein Treffen in München, bei dem auch zwei europäische Diplomaten dabei gewesen sein sollen und eines in Wien. All dies im Zeitraum zwischen 2016 und 2018. „Jan war mir sympathisch, sein Enthusiasmus ist ansteckend. Es ging ihm jedoch meines Wissens um wirtschaftliche Interessen in Libyen“, sagt Tschuprygin. Ein Interesse an Russland habe Marsalek bei den Treffen nicht gezeigt, ebenso wie er auch kein Wort Russisch sprach. Der letzte Kontakt der beiden soll zumindest ein Jahr her sein.

Tschuprygins Person gilt als einer der Anhaltspunkte für Marsaleks Kooperation mit russischen Geheimdiensten. Handfeste Beweise dafür, dass der Russe für den Geheimdienst tätigt ist, gibt es nicht. Genauso wenig, wie für den aktuellen Aufenthaltsort Marsaleks in Moskau und eine Kooperation staatlicher Behörden.

Für den Investigativjournalisten Dobrokhotov ist es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis diese Beweise auftauchen. Er selbst arbeite derzeit daran, den Aufenthaltsort von Marsalek zu finden. Sollte es tatsächlich Russland sein, könnte sich das für Marsalek am Ende als Falle herausstellen. „Die Russen haben allen Grund, böse auf Marsalek zu sein. Seine Machenschaften bei Wirecard könnten am Ende ganz andere Sachen ans Licht bringen“, glaubt der Rechercheur. „Ich würde ihm jedenfalls derzeit keine Lebensversicherung ausstellen“.

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